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durchaus nicht geneigt, obwohl er vielleicht angenommen worden wäre; er hätte nach seiner Ansicht damit ein Unrecht seinerseits zugegeben und das Recht der Gegner anerkannt. Das Publicum nahm vielfach für die armen Verwandten Partei, und Ohnerast ward nicht selten mit Mißtrauen betrachtet. Diese Wahrnehmung und die Sorge um den Proceß überhaupt übte auf die Stimmung des ehrliebenden, vielleicht auch durch seine rastlose Thätigkeit geistig angegriffenen Mannes den schlimmsten Einfluß aus. Er ward erst still und einsylbig, konnte sein Geschäft nicht mehr hinlänglich verwalten, und indem er dies fühlte, steigerte sich seine Schwermuth mehr und mehr bis zu gänzlicher Willenlosigkeit, stundenlang saß er vor seinen Geschäftsbüchern, sah starr auf einen Fleck und seufzte. Der Zustand ward endlich so bedenklich, daß ein Irrenarzt zu Rathe gezogen werden mußte, welcher erklärte, daß eine schleunige Beendigung des Processes den Kranken am besten heilen werde. Obwohl unsere Sache günstig stand, so war dies doch nicht sobald möglich, denn es war Taktik des Gegners, der die Lage der Sache wohl sah, uns durch fortwährendes Appelliren, wo möglich, zu ermüden und dadurch zur Anbietung einer Vergleichssumme zu bestimmen. Ein Vergleich würde aber nur von den schlimmsten Folgen auf Ohnerast gewesen sein. So blieb nur noch übrig, ihn aus seiner Umgebung weg und in eine Privatirrenanstalt zu bringen, wo es zwar den Bemühungen des menschenfreundlichen und geschickten Arztes gelang, zuweilen den Kranken zu zerstreuen und wenigstens den Fortschritt der Geisteslähmung zu hemmen, allein eine Heilung nicht erzielt wurde.

Es gelang mir zwar mit Hülfe einiger Geschäftsfreunde, sowie des etwa sechzehnjährigen Sohnes Ohnerast’s, welcher ganz den Geist seines Vaters geerbt hatte, den Fortgang des Geschäftes zu sichern, allein nur mit schweren Opfern. So vergingen beinahe zwei Jahre, ehe der Proceß und zwar völlig zu Gunsten des armen Ohnerast entschieden wurde. Ich eilte mit seiner Frau und dem ältesten Sohne in die Anstalt, um ihm diese Mittheilung in Anwesenheit des Arztes, der ihn schon vorbereitet, zu machen. Wie fand ich den rüstigen Mann, der kaum 50 Jahre zählte, verändert! Sein Haar war schneeweiß geworden, die Gestalt gebückt, das Auge erloschen, und tiefe Furchen durchzogen sein gelbes Antlitz. Fast nicht minder hatte der Kummer an seiner Frau gezehrt; zwei Jahre ihres Lebens hatten die sonst so glücklichen Menschen in Kummer verloren, ihre Ehre war angezweifelt worden, und die bedeutenden Vermögensluste erschienen noch als das Mildeste bei diesen, herben Geschick. Ein einfacher schriftlicher Nachweis über das wahre Verhältniß, in welchem Beimann zum Geschäfte stand, hätte all das Unglück erspart! und jeder Advocat würde Ohnerast auf die Nothwendigkeit eines solchen aufmerksam gemacht haben.

Nur allmählich und schwer gelang es, den Unglücklichen zu seiner früheren geistigen Energie und Lebendigkeit zurückzuführen; am günstigsten wirkten auf ihn ein die Bemühungen seiner ältesten Tochter, eines gebildeten, sanften Mädchens, welches auf die schmiegsamste Weise sich ihm anzupassen verstand. Sie führte ihm bald einen braven Schwiegersohn als Compagnon zu; und so sehr er Ohnerast’s volles Vertrauen besaß, so unterließ letzterer doch nicht, einen ganz genauen, nach allen Seiten hin erwogenen Societätsvertrag durch meine Vermittelung mit ihm abzuschließen.




Glarus nach dem Brande am 10. Mai 1861.
Nach einer Photographie von Rob. Geyser in Zürich.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_412.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2023)