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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

kauen hatten! – in stiller Gesellschaft um das Gaslicht herumstehen.

Wie die Londoner Straßenbuben, werden diese Rinder der Bundeshauptstadt auch ganz schlau und diebisch gesinnt, und dabei scheint denn in ihnen sogar etwas wie ein böses Gewissen entwickelt zu werden. Ich beobachtete einmal eine dieser – soll ich sagen entarteten oder civilisirten? – Straßen-Kühe beim Stehlen. Ein Krämer hatte mehrere Mehlsäcke vor seine Thür auf die Straße hinausgestellt. Sie waren alle geöffnet, und man sah das reinliche, schneeweiße Mehl, den gelblichen Gries, die Graupen und den Grütze recht appetitlich daraus hervorschimmern. Eine arme, magere und hungerige Kuh, die von diesem Anblicke angelockt wurde, schlich von der Straße heran. Sie setzte ihren Fuß vorsichtig über den Rinnstein, blickte sich rechts und links um, und auch in die offene Thür des Ladens hinein, und da sie Niemanden in der Nähe gewahrte, so stelzte sie ganz auf das Trottoir hinüber und vertiefte ihre Nase in einen der Graupensäcke, indem sie anfing, mit vollen Backen und mit allen dreißig knöchernen Mühlsteinen ihres Maules zu mahlen und zu schlingen. Ich war der einzige Mensch, der zuletzt auf dem Trottoir dahergeschritten kam, und da ich es für eine eben so große Sünde hielt, ein Wesen während der Stillung seines Hungers, als während des „heiligen“ Schlafes zu stören, so ließ ich ihr Zeit, hielt ein wenig an und sah, wie sie sich mit lang und etwas schüchtern ausgestrecktem Halse auf Kosten des reichen Kaufmanns erlabte. – Endlich wollte ich diesem Unachtsamen doch auch den Schaden nicht gar zu groß anwachsen lassen, schritt vor und scheuchte die Kuh fort. Sie sah mich schon von weitem kommen, nahm endlich noch ein tüchtiges Maul voll, zog sich dann mit weißgepuderter Schnauze ganz eilig und stolpernd auf die Straße zurück und trabte weit weg – wie gesagt, als mache ihr Gewissen sie eines Diebstahls bewußt. – Doch hiermit für heute genug hierüber! Ich schließe diese Mittheilung mit der Wiederholung der Bemerkung, daß man über das zuletzt erwähnte Thier-Gesindel, welches die Straßen vieler amerikanischen Städte bevölkert, manche psychologische Beobachtungen und Untersuchungen anstellen könnte, und daß ich vielleicht ein ander Mal diese Untersuchungen in der Gartenlaube vortragen will.




Ein italienischer Priester!

Von Moritz Hartmann.

General U… erzählt:

In meiner Jugend einmal, also schon vor geraumer Zeit, machte ich in Begleitung mehrerer Freunde und Diener von Neapel, meiner Vaterstadt, aus eine Reise nach Salerno. Obwohl wir als Neapolitaner an die schauderhaftesten Mord- und Räubergeschichten aus den Provinzstädten und Gebirgsdörfern gewöhnt waren, hatte das, was wir von dem damals höchst verfallenen Neste Salerno zu hören bekamen, unsere Neugierde so sehr gereizt, daß wir uns trotz aller Gefahren zu diesem Ausfluge entschlossen. Salerno hatte für uns die Anziehungskraft des Schauderhaften, Unheimlichen; die Reise den Reiz eines Ausfluges in längst vergessene Zeiten, in denen sich zugetragen, was heute unglaublich und romantisch erscheint. Es hieß, daß sämmtliche Einwohner Salerno’s sich in Räuber und Mörder umgewandelt haben, und es war gewiß, daß dort eine geschlossene Gesellschaft bestehe, die für Geld in ihrer Gesammtheit oder in einzelnen Mitgliedern zu jeder That, zu Mord, Ueberfall, Raub, Entführung bereit war. Das Leben des Menschen war da so sehr im Preise gesunken, die Gewissen so verhärtet, daß man auf einen Vorübergehenden schoß, nur um Pulver zu probiren.

Wir begaben uns in dieses Nest ohne Sorgen. Nicht weil wir zahlreich und bewaffnet waren, sondern weil die Salernitaner bei Ankunft solcher Galantuomini, wie wir, voraussetzten, man komme mit ihnen ein Geschäft zu machen, oder mit andern Worten, Individuen zur Ausführung irgend einer blutigen Rache oder einer andern ähnlichen Unternehmung zu miethen. In solchem Falle war man ganz sicher; ja man wurde mit Zuvorkommenheiten, mit Gastlichkeit, mit allen möglichen Rücksichten aufgenommen.

In der That gesellten sich in der Nähe von Salerno einzelne Individuen zu uns, die auf’s Höflichste ihre Dienste anboten, uns die Wege zeigten, auf mancherlei Interessantes aufmerksam machten und von den Heiligenbildern, an denen wir vorüberritten, mit Andacht und Glauben Legenden erzählten. Mit einem kleinen Gefolge kamen wir auf dem Marktplatze an. Dort waren wir bald von einer ebenso zuvorkommenden Bevölkerung umgeben, die uns aber trotz ihrer Zuvorkommenheit nicht zum Besten gefiel. Es waren meist die Weiber, die sprachen und uns offenbar zum Sprechen bringen wollten. Sie klopften auf den Strauch, sie versicherten, daß die Salernitaner tapfere Leute seien und zu jeder That bereit. Das Lächeln und die lauernden Blicke, mit denen sie ihre Worte begleiteten, machten ihre großen schwarzen Augen und die breiten schwellenden Lippen, die von Natur schön gebildet waren, nicht schöner. Einzelne Männer standen in unserer Nähe, malerisch an den Brunnen gelehnt oder auch ferner an den Häusern, und beobachteten uns schweigend, nur daß sie manchmal mit einer Bewegung oder einem lauten Auflachen die deutlichsten Anspielungen der Weiber begleiteten. Sie näherten sich mit einem Male von allen Seiten, als einer unserer Reisegefährten, ein leichtsinniger Marinelieutenant, auf die Anspielungen der Weiber einging und verrieth, daß er sie verstehe. Ich glaube, wir hätten in diesem Momente auf offenem Markte und vor hundert Zeugen ein Geschäft von hundert blutigen Rencontres abmachen können. Ich fürchtete, die Zwecklosigkeit unserer Reise zu verrathen, und benutzte die späte Stunde, um zur Ruhe aufzufordern und ein Gasthaus aufzusuchen. – „Bravo,“ rief eine Alte mit Beifall, „der Herr, Se. Excellenz wollen wichtige Geschäfte mit ausgeruhtem Geiste, in der Frische des Morgens abmachen! Man lasse die Herren in Ruhe: Niemand folge ihnen in die Herberge!“ – Ich nickte ihr zustimmend und so einverständig als ich vermochte.

Im Gasthause, einem alten, verfallenen, weitläufigen Gebäude, das ehemals ein Kloster gewesen sein mag, wollte man uns mehrere Zimmer anweisen, wir aber zogen es vor zusammen zu bleiben und bereiteten unser Lager gemeinschaftlich in einem großen Saale, durch dessen Decke hie und da der blaue Himmel mit lächelnden Sternen blickte. Als Alles im Hause stille war, versäumten wir nicht, die Thüre zu verriegeln, sogar ein wenig zu verrammeln. Auch wachten die Diener abwechselnd an der Thür sitzend. Doch verging die Nacht vollkommen ruhig, ohne die geringste Störung, ohne das kleinste Abenteuer.

Andern Morgens durchzogen wir die Stadt – immer von einigen einheimischen Individuen gefolgt – besahen mehrere alte Gebäude, die an die wissenschaftliche Größe des mittelalterlichen Salerno erinnerten, und traten endlich in eine Kirche. Hier beginnt die Geschichte, die ich eigentlich erzählen wollte und die viele Neapolitaner bestätigen können, denn sie machte damals viel Aufsehen und war in Neapel Stadtgespräch.

Die Kirche war ziemlich besucht. Die Gläubigen, Männer und Weiber, knieten auf dem Steinpflaster und beteten mit jener Heftigkeit, mit der man anderswo zankt und die man nur im tiefsten katholischen Süden an Betenden beobachten kann. Ihre Lippen bewegten sich so rasch und ausdrucksvoll, als ob sie Jemand Vorwürfe machten, oder als ob sie Drohungen aussprächen; die Hände hielten den Rosenkranz, als ob sie einen Dolch hielten, mit dem sie erzwingen wollten, was man ihren Bitten oder Drohungen nicht gewähren würde. Der Geistliche stand am Altar und las die Messe. Er machte das heilige Geschäft wie viele andere Geistliche handwerksmäßig ab und sah auch aus wie hundert andere neapolitanische Geistliche; gut genährtes, doch nicht dickes Gesicht, braune Farbe, magere Hände mit langen Fingern und eine unverhältnißmäßig große Tonsur auf spitzigem, eckigem Kopfe. Er wäre uns weiter nicht aufgefallen, wenn nicht der Ministrant, ein hübscher Junge von ungefähr zwölf Jahren, unsere Aufmerksamkeit auf den Altar und die Messe gelenkt hätte. Wir standen in der Nähe und konnten bemerken, daß der kleine Junge sehr zerstreut war. Er ließ oft lange auf die sacramentalen Antworten warten, fuhr sich dann, wenn ihn der celebrirende Priester zornig ansah,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_409.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)