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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Porter – so’?“ erwiderte der Andere mit einem Ausdruck von Laune, während seine Augen sich auf’s Neue der ganzen Erscheinung des vor ihm Stehenden bemächtigen zu wollen schienen, „Porters sind jedenfalls äußerst nützliche Personen, nur weiß ich nicht, welcher Seite des Geschäfts sich so viel Geschmack abgewinnen läßt, daß es möglich wird, sich ihm ganz zu widmen.“

Reichardt’s Augenbrauen zuckten wieder. „Die Noth, Mr. Frost, die Sie allerdings nicht kennen werden, lehrt Geschmack an Manchem finden, das sonst nicht munden will. Ich bin mit Empfehlungsbriefen an mehrere der besten Häuser nach New-York gekommen und glaube, daß ich allen nicht übertriebenen Ansprüchen genügt hätte. Ich habe nirgends einen Platz für mich finden können und ehe ich wieder, wie ich es zu Anfang gethan, mein geringes musikalisches Talent zum Tanzfiedeln oder möglicherweise zur Biermusik verwende, habe ich nach einer Beschäftigung gegriffen, die mich ehrlich nährt und mich wenigstens nicht ganz aus meinem eigentlichen Wirkungskreise bringt. Das ist Alles, Sir!“

Das Gesicht des jungen Frost hatte während der erregten Worte des Sprechenden seinen bisherigen Ausdruck verloren. „Ich habe mich vielleicht zu weit gehen lassen,“ sagte er, mit einem höflichen Ernst seinem Gesellschafter die Hand bietend, „ich habe Ihnen nicht weh thun wollen, Sir! – Und wie lange sind Sie bereits in dieser gezwungenen Stellung?“ fuhr er fort, als Reichardt ihm leicht seine Hand gereicht. „Sie müssen meine Neugierde entschuldigen, der nur das Bedauern über dis Schicksal eines so talentvollen Mannes wie Sie zu Grunde liegt –“

„Ich bin seit zwei Monaten hier, Sir!“ erwiderte der junge Deutsche, als wolle er damit weitere Höflichkeiten abschneiden, und mit einem: „Dank Ihnen, Sir, und nochmals Entschuldigung!“ wandte sich der Andere von ihm, raschen Schrittes nach der wartenden Equipage zurückgehend. Reichardt sah ihm eine Secunde lang nach, dann aber, als wolle er sich für den Augenblick aller Gedanken entschlagen, begann er mit Hast seinen Besen wieder zu rühren und hielt nicht an, bis die begonnene Arbeit gründlich vollendet war.

In dem untern Raume des Hauses stand William Johnson, sich mit dem Hunde beschäftigend, und hob bei Reichardt’s Eintritte den Blick, ihn aufmerksam in dessen Gesicht ruhen lassend. „Sie kennen den jungen Mr. Frost? “ fragte er.

„Ich bin früher mit der Familie in Saratoga zusammengetroffen !“ erwiderte der Eingetretene leichthin und wandte sich nach dem hintern Theile des Raumes. Johnson blickte ihm nach, als sei er unschlüssig, ob er noch weitere Fragen thun solle, stieg dann aber langsam die Treppe nach der Office hinauf.

Reichardt hatte seinen Besen in die Ecke geworfen, setzte sich, als er sich allein sah, hinter den Fässern auf die überlaufenden Lagerbalken nieder und drückte die Augen in seine beiden Hände.

Das war also der junge Frost gewesen, mit dem er gesprochen – Margaret hatte ihn trotz Besen und Schmutz wieder erkannt und den Bruder nach ihm abgeschickt. Aber was konnte der Grund zu dem auffälligen Schritte sein? Hatte er doch in Saratoga kaum zwei Worte mit dem Mädchen gesprochen und, von Harriet in Beschlag genommen, ihr nicht die kleinste Aufmerksamkeit erweisen können, die übrigens seine damaligen Verhältnisse ohnedies verboten haben würden. Worin lag das Interesse für ihn, das sogar den Bruder vermochte, seinetwegen den fashionablen Johnson bei Seite zu lassen? Und der junge Frost schien seine Fragen als so natürlich, selbstverständlich betrachtet zu haben, daß er sich nicht einmal die Mühe gegeben, einen andern Grund dafür anzugeben, als theilnehmende Neugierde. Nun ja, war denn das zuletzt auch nicht Grund genug? Man hatte ihn als fashionablen Menschen, dann als Tanzfiedler mit einigem Talente gesehen, von Harriet war er als Organist weggesandt worden, und nun fand man ihn die Straße fegend. Die Neugierde war jetzt befriedigt, vielleicht folgte ein bedauerndes „schade um ihn!“ und damit war Alles zu Ende. Noch einmal ließ Reichardt Margaret’s feines, kindlichklares Gesicht, in welchem die beiden tiefblauen Augen wie ein paar stille, milde Sterne standen, vor seiner Seele aufsteigen, dann erhob er sich rasch, mit der Hand über das Gesicht fahrend, als wolle er damit jeden Gedanken an das eben stattgefundene Ereigniß hinwegstreichen. „Schaffe Dir keine Bilder, Max, mache Dir keine Hoffnungen, die sich kaum verwirklichen können,“ sprach er halblaut vor sich hin, „Du machst Dir die Gegenwart nur noch schwerer!“ und doch war es ihm, als er an seine weiteren Arbeiten ging, immer und immer wieder, als sei ihm eine neue Hoffnung erblüht – aber als drei, vier Tage vergingen, ohne daß das Geringste die Eintönigkeit seines gewöhnlichen Lebens unterbrach, da erblaßte auch das eigenthümliche Vorgefühl einer bessern Zukunft, das er mit sich herum getragen, und eine trübe Empfindung von Täuschung, die er sich doch selbst nicht gestehen wollte, nahm von seiner Seele Besitz.

Es war am Morgen des fünften Tages, als Reichardt von dem Buchhalter nach der Office gerufen ward. „Es sind da Erkundigungen über Sie bei uns eingezogen worden,“ begann der Alte hustend, „kann nicht sagen, zu welchem Zwecke, vermuthe aber, Sie werden sich nach einer andern Stelle umgethan haben. Sind wir Ihnen nicht gut genug, oder haben Sie sich über etwas zu beklagen?“

Wie ein Lichtstrahl allen stillen Hoffnungen plötzlich ihre frischen Farben wieder gebend, war die Mittheilung in Reichardt’s Seele gedrungen. Sein Auge glänzte auf, der Blick des Buchhalters aber, der des jungen Mannes Gesicht beobachtete, ward nur noch unmuthiger.

„Ich hatte weder Zeit noch Gelegenheit, mich nach einem andern Platze umzusehen,“ erwiderte der letztere, frei in das Gesicht des Alten blickend, „und kann Ihnen auch für die Behandlung in meiner jetzigen Stellung nur danken, Mr. Black. Daß ich aber in dieser Stellung nicht an meinem rechten Platze bin, so sehr ich auch bestrebt war, sie auszufüllen, daß ich, nachdem ich meine frühere Zeit nur hinter dem Comptoirpulte zugebracht, von Herzen gewünscht habe, wieder eine gleiche Beschäftigung zu erhalten, darf ich Ihnen ebenso offen gestehen, und Sie werden nichts Unrechtes darin finden –“

„Weiß nichts von einer Clerkstelle,“ brummte der Buchhalter, sich halb wegkehrend, „es ist nur nach Ihrer Zuverlässigkeit und Ihrem sonstigen Leben gefragt worden, und die Clerks sind nicht so selten, daß man sie unter unsern Porters suchen müßte – aber das geht mich nicht weiter an. Was ich sagen wollte, ist nur, daß ein ordentlicher Mann, wie ich Sie kenne und wie ich Ihnen auch das Zeugniß gegeben habe, nicht ohne Weiteres seinen Platz verläßt, sobald er etwas Besseres zu haben glaubt, und daß ich, der ich allein die Noth bei jedem Wechsel habe, wenigstens drei Tage Kündigung von Ihnen verlange –“

„Ich will Ihnen das gern versprechen, Sir,“ unterbrach ihn Reichardt, seiner innern Spannung nachgebend, „noch weiß ich aber nicht einmal, um was es sich handelt!“

„Sie sollen sich um elf Uhr in der Office von Augustus Frost einfinden, und ich will Ihnen wegen Ihrer Zeit nichts in den Weg legen,“ entgegnete Black, sich mit unzufriedener Miene nach seinen Büchern wendend. „Sie mögen jetzt gehen, aber,“ fuhr er den Kopf wieder zurückdrehend fort, „wenn es nicht gerade ein großes Glück ist, was sich Ihnen bietet, so denken Sie daran, daß Johnson und Sohn ebenso viel thun können, wenn es verlangt wird, als andere Leute. Im Uebrigen habe ich Ihr Wort.“ Mit einer Art Knurren schlug er jetzt das messingbeschlagene Hauptbuch auf und schien von Reichardt’s Anwesenheit keine weitere Notiz nehmen zu wollen.

Dieser hatte rasch die Thür hinter sich; in dem äußern Raum aber blieb er stehen und faßte mit beiden Händen seinen Kopf. „Betrüge Dich nicht, Max, bleibe kalt und hoffe lieber nichts – es ist nirgends ein Grund da, der ein mehr als gewöhnliches Interesse für Dich geweckt haben könnte!“ sprach er mit halblauter gepreßter Stimme vor sich hin. Im nächsten Augenblicke aber streckte er dennoch erregt beide Arme von sich: „Gott, wenn sich trotzdem eine Aussicht für mich eröffnete!“ Er sah nach der Uhr – noch hatte er fast eine Stunde Zeit, und in wenig Sprüngen war er in dem engen Verschlage unter der Treppe, das sein Lager und seine Reisetasche enthielt. Sorgfältig reinigte er sich und kleidete sich um. Der meist für seinen Gebrauch im untern Raume befindliche Wohnungs-Anzeiger wies ihn nach dem Südende der Stadt, dem Viertel der Banken und großen Commission-Häuser, und nach kaum zwanzig Minuten schritt er, auch äußerlich wieder ganz Gentleman, nach der Straße hinaus.

Je näher er der bezeichneten Stadtgegend kam, je weniger konnte er einer nervösen Erregung Herr werden, und als ihm endlich die gesuchte Firma in altehrwürdigen, halb verblichenen goldenen Lettern, die in voller Harmonie mit der verwitterten Außenseite des großen steinernen Hauses standen, entgegenblickte, mußte

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