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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

(unter dem Namen Levee-Ratten ein Schrecken aller ruhigen Leute) werden zusammengetrommelt, und ca. 2000 Mann stark wird an dem dem Arsenale entgegengesetzten Ende von St. Louis ein Lager aufgeschlagen, so daß die Stadt zwischen zwei sich bis auf den Tod hassenden Truppenkörpern liegt und jeden Augenblick einen Kampf in ihren Straßen erwarten muß.

Am letzten Donnerstag, den 9. Mai, landet nun noch ein Dampfschiff, zieht die Secessionsflagge auf und schifft für das Secessionslager vier Kanonen und eine gewaltige Masse Gewehre nebst Munition aus, und Alles geht, ohne das geringste Hinderniß zu finden, durch die Stadt nach seinem Bestimmungsorte. Die Deutschen sind in gewaltiger Aufregung, und die Entrüstung, daß der Commandant des Arsenals so ruhig der Verstärkung offener Landesverräther zusieht, ist allgemein. Aber der Kommandant hat mit Vorbedacht so gehandelt: die ganze Ladung war aus den südlichen Arsenalen der Ver. Staaten gestohlen, und jetzt hat er ein Recht, den Rowdies zu Leibe zu gehen.

Am Freitage Mittag durchzieht eine Macht von ca. 5000 Mann, mit Artillerie versehen, aus dem Arsenale kommend, die Stadt, die gesammte deutsche Heimathswehr ist daneben auf ihren Alarmplätzen versammelt, und die Stadt ist in fieberhafter Aufregung. Die Geschäfte schließen sich – aber wer nicht durchaus an sein Haus gebunden ist, eilt zu Pferde und Wagen, mit der Straßeneisenbahn oder zu Fuß nach dem Platze der Entscheidung – es scheint nicht ein Treffen, sondern eine aufregende Schaustellung bevorzustehen, und die „Ladies“, selbst Frauen mit Kindern machen einen ziemlich bedeutenden Theil der Neugierigen aus. So ist nun einmal der Amerikaner, und wenn die Kartätschen fliegen, er muß es sehen. Die Dispositionen waren so gut getroffen, daß das Secessionslager von den Unionsmannschaften wie mit einem Schlage völlig eingeschlossen war, und, jeder Hoffnung gegen die Uebermacht baar, giebt sich der Commandirende mit seinen Mannschaften gefangen. Die ganze wilde Bande wird, obwohl zähneknirschend, entwaffnet, und wer sich weigert, den Kampf gegen die Ver. Staaten abzuschwören, soll den Marsch nach dem Arsenal als Gefangener antreten. Unter der Zuschauermenge, die fast ganz aus secessionistischen Amerikanern besteht, ist die Erbitterung furchtbar – in jetzigen Zeiten geht Niemand zehn Schritte weit, ohne mit einem geladenen Revolver bewaffnet zu sein – und dem Rowdygelüste folgend, geben einige der Zuschauer auf die Unionstruppen Feuer; dies ist nur für Andere ein Signal, rechts und links, besonders aus den Wagen, fallen Schüsse: Steine fliegen sogleich von allen Seiten, und der so plötzlich attakirte Theil der Truppen schlägt an – die Angreifer stürzen unter die Masse der Frauen, die Wagen jagen davon. Alles zermalmend, was auf ihrem Wege ist, das Pelotonfeuer kracht, und heulend zerstiebt Alles – das Feld aber ist mit Leichen beiderlei Geschlechts bedeckt.

Düster treten die Truppen, ihre Gefangenen in der Mitte, den Heimmarsch an, in St. Louis sind die Straßen gespensterhaft todt – Jeder fürchtet einen Ausbruch des Rowdythums innerhalb der Stadt, die Home-Guards stehen die ganze Nacht unterm Gewehr, aber der Schlag war zu tiefgreifend, und nur an einzelnen Ecken standen lärmende Versammlungen echten Gesindels, deren Redner den Kreuzzug gegen die Deutschen und deren radicale Vertilgung predigten. Noch am Morgen desselben Tags hatte das unter der Autorität des Gouverneurs erscheinende „State Journal’ den Passus gebracht: „und dieser Krieg wird geführt werden, so lange noch ein Deutscher ein Leben auf dem Boden von Missouri zu verlieren oder ein Haus zu verbrennen hat!“ – was sollten sich also die Rowdies geniren? Blieb aber auch die Nacht äußerlich ruhig, so wurde doch im Geheimen gearbeitet – die reichen Amerikaner, meist sämmtlich Sclavenhalter und deshalb geschworene Feinde der Deutschen, thaten ihre Geldkasten auf, und wo nur eine Feuerwaffe zu kaufen war, wurde sie um jeden Preis erworben.

Der Sonnabend kam, und die bleischwere Angst lag auf der Stadt, die Geschäfte blieben geschlossen. – Rowdy-Haufen durchzogen die Straßen, jedes deutsche Gesicht, das sich zeigte, wurde insultirt, bald blieb es nicht mehr dabei; Hetzjagden wurden auf offener Straße angestellt, und wo es Widerstand gab, ward gefeuert – die Home-Guard war kaum erst organisirt und nur gegen stärkere Auflaufe zu gebrauchen – so zählte man schon zehn meuchelmörderisch Erschossene bis Mittag; mit jeder Minute aber ward der Fanatismus größer; „Tod den Deutschen!“ war das immer häufiger werdende Geschrei – die deutschen Quartiere aber waren wohl genug bewacht, und so, als es keine Menschen mehr zu morden gab, richtete sich die tolle Wuth gegen Hunde und Pferde – nur um knallen zu hören und Blut zu sehen.

Am Nachmittag wurde es eine Zeitlang still – es schien etwas vorbereitet zu werden und gegen 5 Uhr kam es schrecklich zum Vorschein. Die letzte Abtheilung der Home-Guard war nach dem Arsenal gegangen, circa 1000 Mann stark, um dort eingeschworen zu werden und ihre Waffen zu erhalten. Scharf geladen treten sie ihren Rückmarsch an; kaum passiren sie aber die oberhalb einer dortigen Kirche nur von reichen Amerikanern bewohnte Walnut-Straße, als vor und hinter ihnen ein Regen von Büchsen- und Revolverkugeln, theils aus der Kirche, theils aus den Häusern, theils von einem offenen Trupp Secessionisten gefeuert, auf sie einschlagen – die überraschten Bürger machen Front nach allen Seiten und geben Feuer, die Spitzkugeln säubern auf fürchterliche Weise die Straße, dringen in die Häuser und vertilgen, wo sie etwas Lebendiges treffen – 25 Leichen bedecken in drei Minuten das Pflaster; dann marschiren die Angegriffenen in guter Ordnung weiter – aber noch zwei Mal haben sie erneuerten Attaquen zu stehen, von allen verborgenen Plätzen schlagen Kugeln in ihre Reihen, und ihre Todten mit sich tragend erreichen sie endlich ihr Hauptquartier. Der Amerikaner hätte jedes Haus demolirt, aus dem auf ihn geschossen wurde, der Deutsche aber fühlt sich in seiner plötzlich so selbstständigen gefährdeten Existenz noch so unsicher, daß er erst die rechte Besinnung wieder erhält, wenn er sich in seinem heimathlichen Viertel findet. Da weiß er, was er zu thun hat.

Heute ist Sonntag, der Regen gießt in Strömen, und so ist es bis auf einzelne hie und da abgefeuerte Schüsse ruhig geblieben. Was morgen wird, mag Gott wissen – nur Belagerungszustand und Kriegsrecht kann einem allgemeinen großen Unglücke vorbeugen. Eine peinliche Gedrücktheit liegt auf der Stadt, die Schulen sind geschlossen, und die Familien fliehen über den Mississippi nach dem freien Boden von Illinois. Das ist der Anfang dessen, was sich erst noch entwickeln soll.


Drei Tage später.

Gestern kam Hecker mit seinen zwei Söhnen und trat als Gemeiner in eins der freiwilligen Regimenter ein. Die Deutschen jubeln ihm entgegen. Dowiat, der schon einige Monate den Baumwollen-Baronen die Schuhe putzt, soll jetzt Feldprediger in einem südlichen Regimente sein.

O. R. 




Ein Dohlenpaar. Seit einer Reihe von Jahren, erzählt uns Herr Menge, der Thürmer des Nicolaithurms in Leipzig, nistete in einer Maueröffnung neben dem Krahnbalken auf meinem Thurm ein flottes Dohlenpaar und war in dieser ganzen Zeit wahrscheinlich niemals ernstlich gestört worden. Im vorigen Frühjahr nun hatten dieselben wieder ihr altes Nest bezogen, Eier gelegt, dieselben ausgebrütet, und flogen den ganzen Tag ein und aus, die Jungen mit Futter zu versorgen, zu welchem Zwecke sie auch Besuche auf den Fenstersimsen meiner Wohnung machten, um die kleinen Abfälle, welche für sie hingelegt wurden, in der größten Geschwindigkeit wegzuholen. Dies war für mich und meine Familie eine bekannte Sache, da das Pärchen seit 10–12 Jahren regelmäßig im Frühjahr sein altes Nest wieder bezog.

Nun hatte ich schon lange gewünscht, eine junge aber flügge Dohle in meinen Händen zu haben, um dieselbe genau besehen zu können; ich erstieg zu diesem Zwecke mittelst einer Leiter das Nest, um nachzusehen, ob die Jungen noch da wären oder ob sich dieselben schon fortgemacht hätten, denn einige Tage vorher hatte ich noch beim Füttern das Piepen und Gluchzen derselben gehört. Es saß richtig noch ein Junges, schon ziemlich flügge, auf dem Neste und stemmte, sperrte und zischte gewaltig, als ich es ergriff und wegnahm. Die Alten waren bei diesem Raube nicht zugegen, konnten also auch bei ihrer Zurückkunft nicht wissen, wo ihr Junges hingekommen war; trotzdem sahen sie es im Augenblicke ihren Ankommens auf der Gallerie sitzen, wohin ich es mittlerweile, nachdem ich es meiner Familie gezeigt gebracht hatte; mit lautem Geschrei und Gekrächze umflogen sie den Thurm unaufhörlich, bis auf einmal das Junge, welches noch sehr steif und ungelenk war, mir unter den Füßen wegflatterte, durch das eiserne Geländer kroch und hinunter in eine Rinne des Kirchdaches stürzte, wo es ruhig sitzen blieb. Mit einer ungeheuren Geschwindigkeit schossen die Alten nach, setzten sich neben dasselbe hin, besahen es von allen Seiten, gackelten und gluchzten um es herum, und da sie es unbeschädigt fanden, erhoben sie sich wieder und flogen in der Richtung nach Schönefeld davon.

Die Rinne, in welcher das Junge saß, befand sich dicht unter einem Dachfenster, so daß ich, als ich hinunter kam, es bequem wieder erfassen und nochmals heraustragen konnte; dieses Mal setzte ich es aber nicht wieder auf die Gallerie, sondern in sein altes Nest, wo ich es weggenommen hatte, und eilte nun wieder in der größten Geschwindigkeit hinauf, um die Alten beobachten zu können. Ich brauchte auch nicht lange zu warten, da kamen dieselben wieder zurück, aber nicht allein, sondern in Gesellschaft von wenigstens 12–14 andern Dohlen, wahrscheinlich den nächsten Freunden und Verwandten, umkreisten unter unaufhörlichem Geschrei fortwährend den Thurm und suchten das während der Zeit verschwundene Junge.

Endlich mochte die Mutter doch wegbekommen haben, daß sich ihr Kind wieder im Neste befand, denn sie setzte sich auf den Krahnbalken, blickte aufmerksam hinein, horchte und lockte, bis sie sich überzeugt hatte, daß nirgends mehr Gefahr drohte, krächzte laut, wahrscheinlich um die Andern zu rufen, und kroch nun in das Nest hinein.

Was nun im Innern vorging, kann ich nicht sagen, allein nach einigen Minuten kam auch der Vater, lief auf dem Krahnbalken bis hinter an das Nest, während die Verwandten fortwährend den Thurm umkreisten, erfaßte das Junge mit dem Schnabel an dem Flügel, und zog und zerrte dasselbe, während die Mutter hinten schob und hackte, bis auf die äußerste Spitze des schrägen, dachartig mit Eisenblech beschlagenen, also sehr glatten Balkens; dort angekommen ließ der Vater nun los, hüpfte von dem Balken hinunter, blieb aber schwebend dicht unter demselben, und nahm nun das Junge, welches wahrscheinlich vor Angst zitterte, da es die ungeheure Tiefe vor sich sah, und welchem die Mutter noch einen derben Stoß mit dem Schnabel versetzt hatte, sodaß es von dem schrägen Eisenblech herunter mußte, auf den Rücken, die Mutter flog sofort neben ihm so dicht, daß man das Zusammenschlagen der Flügel hören konnte, und nahm nun die Hälfte der Last auf sich, indem das Junge, mit jedem Fuße auf einem der Alten stehend und mit den Flügeln schlagend, wie ein Kunstreiter in der Luft davon zog, begleitet von dem laut jubelnden Schwarme seiner Verwandten und Freunde, welche wahrscheinlich vor Freude außer sich waren über die glückliche Rettung ihres jungen Vetters.

Dieses Jahr habe ich vergebens auf die Wiederkehr unserer alten Bekannten gewartet; sie sind nicht erschienen, wenigstens nicht im Neste zum Legen und Brüten, sondern nur auf Besuch, um sich einige fette Bissen aus dem Fenster zu holen, worauf sie sofort wieder verschwanden; ihr altes Nest ist noch ganz in dem Zustande, wie sie es verlassen haben, und einstweilen von einem Paar zärtlicher Thurmtauben eingenommen, und ich glaube auch nicht, daß jemals wieder Dohlen sich darin ansiedeln.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_399.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)