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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


in der Sitzung geschrieben hatte. Sie durchflog es. Es enthielt keinen Trost für sie. Der Vertheidiger schien sie, um ihr keine vergeblichen, grausamen Hoffnungen zu machen, auf das Schrecklichste vorbereitet zu haben. Man las es in ihren Zügen. Sie zuckte einen Augenblick zusammen, wie unter ihrem eigenen Todeskampfe. Aber dann hatte sie sich erhoben.

„Adolph ist gefaßt, schreibt mir der Vertheidiger. Er läßt mich bitten, daß auch ich es sei, möge kommen, was da wolle. Ich will es sein. Ich will seiner würdig sein. Die Verhandlung ist zu Ende, wenn ich recht gesehen habe. In wenigen Minuten muß die Entscheidung folgen. Sie wird mich stark finden, wie sie meinen Gatten groß finden wird. Bleibe Du hier, Konrad. Und auch Sie, mein Herr. Sie haben mir Ihren Beistand bisher gewidmet, verlassen auch Sie mich nicht.“

Sie war wunderbar gefaßt. Ihr edles Herz war auch ein starkes. Sie kehrte zu ihrem Fenster zurück. Sie hatte es wieder geöffnet. Der Diener und ich waren ihr gefolgt. Man konnte tief in den Saal hineinsehen, weiter als ich an dem andern Fenster es früher gekonnt hatte. Man sah den Vertheidiger und zugleich den Angeklagten. Das Gericht war noch nicht zurückgekehrt.

Der Angeklagte saß auf seinem Platze. Er hatte seine Ellbogen auf seine Kniee gestützt und das Gesicht in die Hände gelegt. Welche Empfindungen, welche Gedanken mochten ihn durchströmen in diesen Augenblicken, so nahe vor der Entscheidung über sein Schicksal! Daß die Gattin in seiner Nähe war, daß ihr Auge ihn sehen konnte, er hatte keine Ahnung davon. Wie viel schwerer hätte es ihm das Herz machen müssen!

Der Vertheidiger ging unruhig auf und nieder. Seine Bewegung litt ihn nicht auf seinem Platze. Das Publicum verhielt sich ruhig. Jene Mahnung des Präsidenten wirkte wohl noch nach. Zu ihrer Ehre wollen wir glauben, daß auch das Schwere, Furchtbare des Moments selbst auf jene Menschen seine Einwirkung ausübte.

Die Gattin des Angeklagten blieb gefaßt. Das Gericht kehrte noch nicht zurück. Sie erzählte dem Diener, wie sie im Gasthofe auf seine sich mehr und mehr verzögernde Rückkehr zuletzt nicht mehr habe warten können und daher, indem sie Niemanden gefunden, dem sie sich anvertrauen mochte, sich allein hierher zu der schon gestern gemietheten Stube auf den Weg gemacht habe. Unterwegs, setzte sie großmüthig hinzu, habe sie meinen Schutz angenommen.

Wir Alle hatten unterdeß die Blicke unverwandt nach dem Gerichtssaale gerichtet. Das Gericht war noch immer nicht zurückgekehrt. Es waren furchtbar peinliche Momente des Wartens. Sie waren in der tiefen Stille, die umher herrschte, um so schrecklicher.

Die Mitternachtsstunde war längst vorüber. Die Tanzgesellschaft neben dem Zimmer, in dem wir uns befanden, hatte sich während der Zeit, daß ich abwesend gewesen war, entfernt. Im Hause war Alles still. Aus dem Gerichtssaale drang kein Laut hervor. Einen Augenblick wurde die arme Frau von ihren Gefühlen überwältigt.

„Wie sie entsetzlich lange ausbleiben!“ rief sie.

Ich suchte sie aufzurichten.

„Sollte es nicht ein günstiges Zeichen sein? Es zeigt eine Uneinigkeit der Stimmen, einen Widerspruch gegen das härtere Urtheil. Wie leicht kann da die mildere Meinung siegen!“

Aber sie schüttelte schmerzlich das bleiche Gesicht.

„Bei diesen Richtern nicht. Sie können nur hassen. Sie sollen es nur.“

Dann hatte sie sich wieder gefaßt. Dem Hasse konnte sie nur Größe entgegensetzen. Sie nahm ihren Platz am Fenster wieder ein.

Endlich entstand in dem Gerichtssaale eine Bewegung. Man hörte dort eine Thür sich öffnen. Das Militärgericht trat wieder ein, der Präsident an der Spitze. Sie begaben sich zu ihren Plätzen.

Hunderte von Herzen schlugen in banger, furchtbarer Erwartung. In meiner eigenen Brust hörte ich das laute Klopfen. Ich glaubte auch das unruhige Pochen in der Brust der Frau an meiner Seite zu vernehmen. Es herrschte in diesem Augenblicke rund um uns her die tiefste Stille. Sie trug die Schritte des zurückkehrenden Soldatengerichts aus dem Saale zu uns herüber. Die Fenster waren noch geöffnet, das des Saals, wie das, an dem wir uns befanden. Wir mußten jedes Wort verstehen können, wenn der Präsident jetzt das Urtheil verkündete.

Ich zitterte am ganzen Körper. Die unglückliche Frau hatte krampfhaft eine Stange gefaßt, die sich an dem Fenster befand. Der alte Diener hatte sich zur Seite niedersetzen müssen. Er hatte sein Gesicht mit beiden Händen verhüllt. Der Präsident des Gerichts erhob sich. Er nahm ein Papier in die Hand. Es war das Urtheil, das er nun verkünden wollte.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Ein Bild aus den jetzigen amerikanischen Zuständen. St. Louis, Mitte Mai. Es giebt ein Wort in der englischen Sprache, für welchen der Deutsche keine völlig bezeichnende Uebersetzung hat, weil in seinem Leben ganz der Begriff dafür fehlt. Es ist das Wort „rowdy“, das einen Menschen bezeichnet, der, keck und verwogen, bei den kleinsten Gelegenheiten mit Messer und Revolver bei der Hand ist, dem ein Menschenleben nichts gilt und dessen Gemüthsrohheit alle bessern Eigenschaften, wenn er deren hat, paralysirt. Der genauere Beobachter amerikanischer Zustände aber erkennt bald, daß dieses Rowdy-Element den Grundzug des gesammten männlichen Amerikanerthums, vom Vereinigten-Staaten-Senator herab bis zum Sackträger, bildet – bei den gebildeteren Ständen von einem Firniß gesellschaftlicher Höflichkeit überzogen, der indessen im Zustande der Erregung sofort abspringt; bei den arbeitenden Classen offen zu Tage getragen und hier eine eigene Kaste professioneller Rowdies bildend, die sich hart an jede Art noch schlimmerer Gewerbe anschließt. Diesen Grundzug nennt der Amerikaner Unabhängigkeitsgefühl und respectirt ihn in seinen Kindern so, daß er dem zehnjährigen Knaben bereits den Gebrauch der Feuerwaffen gestattet und seiner Rohheit als ein Zeichen kräftigen Charakters völligen Raum läßt – und so sind blutige Messergefechte zwischen Schulknaben und jede Art der vulgärsten Kraftworte etwas Gewöhnliches – schlimmerer Dinge nicht zu gedenken.

Dieser durchgehende Rowdygeist ist der Fluch der amerikanischen Republik, die kein Mittel zu seiner Bändigung hat; er erzeugt die Prügeleien im Congresse und macht jeden Ort, an dem sich verschiedenartige politische Elemente bis zur Erhitzung reiben, zu einem blutigen Schlachtfelde, und den Messern und Revolvern erliegt gewöhnlich die gute Sache.

Der Süden wird in diesem Augenblicke völlig und allein von diesem Geiste regiert, und die Furcht vor dem Strick und Revolver, der Peitsche und dem Theeren und Federn hält jeden Ausdruck von Sympathie mit der Union nieder – in den Grenzsclavenstaaten aber, wie Virginien, Maryland, Tennessee, Kentucky und vor Allem Missouri, welche neben der Partei der Sclavenbesitzer eine unabhängige, freisinnige Bevölkerung einschließen, in denen das eingewanderte Element zahlreich vertreten ist, kämpft das Rowdythum für die südliche Partei noch um die Macht, und wo es hier und da die Ueberhand bekommt, jagt es die friedlichen Landbewohner von Haus und Hof, sengt und brennt und versucht durch den Schrecken jeden Widerstand zu ersticken.

St. Louis war noch die einzige Stadt in diesen Grenzsclavenstaaten, in welcher das deutsche Element, verbunden mit einem kleinen Theile unionstreuer amerikanischer Bevölkerung, die Rowdymacht der Secessionisten oder Anhänger der Südpartei niedergehalten hatte. Der Staats-Gouverneur, halb wahnsinnig vor Begierde, es den andern südlichen Staaten gleich zu thun, hatte umsonst alle Minen springen lassen, um den Widerstand des „fremden Elements“ zu brechen. Er kündigte dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, welcher die Stellung von Miliz-Regimentern für die bevorstehende Execution gegen die Baumwollen-Staaten gefordert, den Gehorsam – in Zeit von acht Tagen aber hatte das deutsche Element von St. Louis aus sich selbst fünf vollzählige Regimenter dem Präsidenten zur Disposition gestellt, welcher auch sogleich ihre Aufnahme in das hiesige Ver. Staaten Arsenal anordnete, um so einen kräftigen Schutz für die Unionsleute von St. Louis gegen das sich immer stärker erhebende Rowdythum der Secessionisten zu gewähren. Damit war aber aus der deutschen Bewohnerschaft auch die ganze junge wehrhafte Kraft gezogen, und zur Abwehr für augenblickliche Gefahren traten die Familienväter zusammen, eine „Home-Guard“ oder Heimathswehr von ca. 6000 Mann bildend. Jeden Tag marschirte ein Theil derselben nach dem Arsenale hinaus, um sich einschwören und mit Gewehren und Munition versehen zu lassen.

Mit Wuth waren Seitens des Gouverneurs und der Secessionisten-Partei diese Maßregeln wahrgenommen worden, und die ingrimmigste Rache ward Allem, was deutsch hieß, geschworen. Zwei Compagnien bereits einexercirter und gut bewaffneter Amerikaner, die sich „Minutenmänner“ nannten, vereinigten sich mit einer amerikanischen Miliz-Compagnie, um den Deutschen innerhalb der Stadt Widerpart zu halten; der Gouverneur aber, die Geringfügigkeit dieser Macht erkennend, ordnet die Bewaffnung des Staats an, stiehlt zu diesem Zwecke mit Hülfe des secessionistischen gesetzgebenden Körpern den Schulfond des Staats sammt den zur Bezahlung der Zinsen für die Staatsschuld bestimmten Geldern und befiehlt die Zusammenziehung eines Militair-Lagers bei St. Louis. Die ganze Hefe der Staats-Bevölkerung, das professionelle Rowdythum, die Hafenarbeiter


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