Seite:Die Gartenlaube (1861) 397.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Deutsche Herzen, deutscher Pöbel.

Erzählung von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)

In dem Saale des Kriegsgerichts sah ich auch die Richter des jungen Mannes. Ich begegnete nur strengen, harten, mitunter stumpfen Soldatengesichtern. Der Präsident allein, ein Stabsofficier, zeigte einen anderen Zug, als den der dienstlichen Unempfindlichkeit, aber er schien das Menschliche, das sich in ihm regte, seiner Umgebung gegenüber zurückdrängen zu müssen. Hatte der Angeklagte von diesen Richtern eine Hoffnung?

Das bekümmerte Gesicht seines Vertheidigers, jenes kräftigen, stattlichen Mannes, den ich schon vorhin durch das Fenster gesehen hatte, suchte mit Anstrengung den Ausdruck der Zuversicht festzuhalten, wohl nur, um dem Angeklagten nicht seinen Muth zu nehmen. Aber es bedurfte dessen für diesen nicht; mochte er Hoffnung oder keine Hoffnung haben, mochte er aus diesem verhängnisvollen Saale in die Arme seines Weibes, seiner Kinder zurückkehren, oder mochten sie ihn unmittelbar von hier zu der abgelegenen grünen Wiese führen, wo die sieben Todeskugeln seiner harrten, er stand ungebeugt, stolz und muthig da, und der Stolz und Muth waren auch ferner in ihm nicht zu brechen.

Sie kennen ihn ja, fuhr der junge Erzähler zu mir fort, jenen edlen Angeklagten, Sie haben mit ihm, er hat mit Ihnen gekämpft für Deutschlands Freiheit und für Deutschlands Einheit. Dieser Sohn eines der edelsten deutschen Geschlechter, dieser Mann der ausgezeichnetsten Bildung, des einnehmenden Wesens, des wohlwollenden Herzens, des eisenfesten Charakters, der glühendsten Vaterlandsliebe. Ich erkannte ihn; ich hatte ihn nie gesehen, ich hatte nur am Tage vorher flüchtig seinen Namen gehört; ich war ja am Tage vorher noch der leichtsinnige Student.

Ich sah ihn. Ich sah ihn, wie er so stolz und muthig, wie er so groß kämpfte für sein Leben, nein, noch immer für sein deutsches Vaterland, für das er sein Leben eingesetzt hatte, für das er noch jetzt es einsetzte. Seine Liebe zu seinem Vaterlande, seine Aufopferung für sein Volk, das waren seine Verbrechen geworden, wofür auf der stillen grünen Wiese die sieben Soldatenkugeln ihn treffen sollten. Ich sah den Gatten jener unglücklichen Frau, mit dem schönen, leichenblassen Gesichte, wenige Schritte von ihm in Todesangst um ihn bebend.

Der Vertheidiger schrieb etwas. Der alte Diener, den ich suchte, stand vor ihm; er schien auf das Geschriebene zu warten. Der Greis war der Diener auch des Angeklagten; er vermochte nicht den Blick auf seinen Herrn zu richten, es hätte ihm das Herz brechen müssen; die alten Augen standen ihm voll Thränen.

Der Präsident setzte, während der Vertheidiger schrieb, die Verhandlung fort; sie war bis nahe zu ihrem Schlusse gediehen. Die Zeugen waren vernommen, der anklagende Officier hatte die Anklage aufrecht erhalten. Der Vertheidiger hatte geantwortet; ich hatte ihn vorhin durch das Fenster gesehen, als er seine Rede hielt.

Der Präsident richtete, während ich eintrat, die gewöhnlichen Schlußfragen an den Angeklagten:

„Angeklagter, haben Sie noch etwas zu Ihrer Vertheidigung anzuführen?“

Es waren die letzten Worte, die er jetzt zu seinen Richtern zu sprechen hatte. Sie konnten entscheidend für ihn sein, die Würfel über Leben und Tod, selbst jenen kalten, starren Richtern gegenüber. Die letzten Worte eines Angeklagten üben oft eine wunderbare Macht aus.

Der Angeklagte verlor nichts von seiner Ruhe, seinem Stolze, seinem Muthe.

„Meine Herren Richter,“ sprach er mit fester, klarer Stimme, „ich habe an dem Kampfe Theil genommen, der in diesem Lande gekämpft wurde. Sie nennen ihn die Revolution. Sie haben in diesem Augenblicke ein Recht dazu, denn Sie sind die Sieger.“

Unter den Zuschauern wurde es unruhig, er kümmerte sich nicht darum, er fuhr ruhig fort:

„Aber, meine Herren Richter, es wird eine andere Zeit kommen, und sie muß kommen, sie kann nicht mehr fern sein, da werden Sie für das Nämliche kämpfen, für das ich, für das wir gekämpft haben, für ein einiges Deutschland. Denn nur für –“

Er wurde unterbrochen; ein lauten Lachen erhob sich in dem Zuhörerraume. In den vorderen Reihen, unter den vornehmsten und elegantesten Damen begann es höhnisch; lauter pflanzte es sich von Reihe zu Reihe fort, bald hatte es den ganzen Raum erfüllt. Dem aristokratischen Pöbel war der Angeklagte ein Ueberläufer aus dem Lager der Aristokratie in das der Demokratie.

Die unglückliche Frau da hinten an ihrem einsamen Fenster – sie konnte dort ihren Gatten sehen – ihr Herz, wenn auch nicht ihr Ohr, hatte seine Worte vernommen; dieses rohe, gemeine Gelächter war die Antwort darauf – wie mußte es ihr Herz zerreißen!

In den Augen des Präsidenten des Kriegsgerichts blitzte ein edler Unwille; aber erst eine ernste, strenge Ermahnung konnte den Ausbruch der Gemeinheit zum Schweigen bringen.

Der Angeklagte hatte sich stolzer erhoben.

„Ja,“ fuhr er fort, „nur für unser Vaterland, nur für Deutschlands Einheit, Freiheit und Größe haben wir gekämpft. Jetzt hat nur das deutsche Volk den Kampf aufgenommen, aber wie gerade vor einem Menschenalter Deutschlands Heere und Fürsten mit dem Volke sich vereinigen mußten, um das Vaterland, das sie leider nicht einig machen konnten, und das deshalb seitdem auch nicht wieder groß werden konnte, wenigstens wieder frei zu machen, so wird nochmals eine Zeit anbrechen, in der das gesammte deutsche Volk wieder für seine Freiheit und dann auch für seine Einheit und Größe kämpfen wird, mit seinen Fürsten und seinen Heeren, oder wenn die Fürsten nicht wollen, ohne sie; und das deutsche Vaterland wird dann einig und groß werden, und an das Wort Revolution – wer möchte dann daran denken wollen, denken können? – Doch, meine Herren, das ist erst eine Sache der Zukunft. Sie haben über Thatsachen der Vergangenheit und der Gegenwart zu richten, ich weiß es. Und dafür habe ich Ihnen nur noch wenige Worte zu sagen; urtheilen Sie über mich, wie Ihr Gewissen es von Ihnen fordert. Erwägen Sie dabei zweierlei: zuerst, kein unlauterer Gedanke hat mich geleitet; und dann, ich habe ein edles Weib, das mich liebt – ich habe drei unmündige Kinder. Dürfen Sie milde gegen mich sein, seien Sie es um der Armen willen.“

Es herrschte doch tiefe Stille in dem weiten Saale; ein Schluchzen unterbrach sie. Der alte Diener konnte das laute Weinen nicht mehr zurückhalten; er hatte von dem Vertheidiger ein Billet empfangen. Er war geblieben, um die letzten Worte seines Herrn zu hören; er mußte aus dem Saale hinausstürzen, wenn er nicht zusammenbrechen wollte.

Ich mußte ihm folgen, in dem entscheidendsten Momente. Die Verhandlung war beendigt; die Richter mußten sich jetzt zurückziehen, um ihr Urtheil zu berathen, in wenigen Minuten mußten sie zurückkehren, um das gefundene Urtheil dem Angeklagten zu verkünden, Leben oder Tod. Der Greis hatte sich erschöpft draußen an einen Thürpfosten gelehnt, ich trat zu ihm.

„Ihre Herrin erwartet Sie, sie ist hier.“

Er erschrak.

„Hier die Arme? Führen Sie mich hin.“

Er erzählte mir unterwegs; er kam aus der Residenz. Der alte Vater des Angeklagten, der höchsten Aristokratie angehörig, selbst in seinem hohen Alter unvermögend zu reisen, hatte den greisen Diener mit einer Bittschrift für das Leben seines Sohnes an die Regierung gesandt. An zweihundert Bauern von den Gütern des Angeklagten hatten eine gleiche Bittschrift beigefügt. Der Bote hatte die Gesuche in der Residenz übergeben; sie waren zurückgewiesen. Er hatte dem Vertheidiger die unglückliche Antwort in die Gerichtssitzung gebracht. Er mußte sie jetzt noch seiner Herrin mittheilen.

Aber die arme Frau kannte sie ja schon. Sie hatte an ihrem Fenster ihn in den Saal treten, ihn mit dem Vertheidiger sprechen, darauf diesen trostlos gesehen. „Es ist Alles vorbei!“ hatte sie dann gerufen.

„Es ist Alles vorbei!“ stürzte sie dem Diener entgegen.

„Bei den Menschen, die von Gottes Gnaden sprechen,“ sagte der Greis. „Aber hoffen wir doch noch auf die Gnade Gottes.“

Er überreichte ihr ein Billet. Es war das, welches der Vertheidiger


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_397.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)