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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

ein halbes Dutzend lebendiger Beispiele zeigen. Lieber mit der niedersten reellen Arbeit angefangen – Jeder hat da einen Weg vor sich, wie er ihn sich selbst zurecht zu machen versteht.“

„Ja doch, ich acceptire jede Arbeit, deren mein Körper fähig ist,“ erwiderte Reichardt eifrig; „aber was, wie, wo?“

Der Kupferschmied hatte noch immer seine Buchstaben gemalt, begann sich aber jetzt mit vollen Kräften hinter dem Ohre zu kratzen. „Ich wüßte wohl etwas,“ sagte er endlich, auf den Tisch schlagend, „aber ich weiß doch, daß es nicht geht. Wenn Sie mit Ihrer Violine in der schmutzigsten Bierstube stehen, so können Sie mit jedem Striche zeigen, daß Sie wo ganz anders hin gehörten, und schaffen sich eine Befriedigung daran – hier aber handelt es sich um die einfache, nackte Erniedrigung bei Ihren Kenntnissen, und es ist ungewiß, ob es überhaupt einmal anerkannt wird, was Sie verstehen.“

„Gut, Meißner, so sagen Sie wenigstens, wie diese Erniedrigung heißt; das Musikmachen ist nichts für mich als die letzte Retirade vor dem Hunger, und ich will gern das irgend Mögliche ergreifen, das mich davor schützt. Wollen Sie noch etwas hören, so sage ich Ihnen, daß mir mit dem Verluste meiner Violine noch die letzte Poesie geschwunden ist, die sie mir in das Musikanten-Gewerbe legte, und daß dieser letzte Schlag nach meinem übrigen Unglücke mir nur wie das Siegel zu der unsichtbar geschriebenen Warnung vorkam: Suche Dein Heil auf einem andern Felde!“

„Und also war ich mit meinen Worten zum nachdrücklichen Postscriptum bestimmt!“ nickte der Andere mit einem Anfluge von Satire, „so mag denn auch die unsichtbare Macht das Uebrige auf sich nehmen. Einer von unsern Porters wird heute noch kündigen, und ich denke, daß ich so viel Einfluß habe, um Ihnen die Stelle zu verschaffen, wenn nämlich, wie gesagt –“

„Porter, was ist das?“ unterbrach ihn Reichardt.

„Porter – well,“ erwiderte der Kupferschmied zögernd, und in seinem Gesicht spielte es halb wie Humor, halb wie eine Art Verlegenheit, „in ehrlichem Deutsch: Hausknecht, nach amerikanischen Begriffen nämlich –“

Er hielt inne; Reichardt hatte den gespannten Blick plötzlich niedergeschlagen, sich dann rasch erhoben und durchschritt mit schnellen Schritten die ganze Länge des Locals. Langsam kam er wieder zurück. „Beantworten Sie mir gewissenhaft die eine Frage, Meißner,“ sagte er, vor dem Dasitzenden stehen bleibend, „würden Sie die Stelle annehmen, wenn Sie eben nichts Besseres hätten?“

„Ei, ich habe sie versehen, bis die Herren ausfanden, daß ein Kupferschmied mit Brennerei-Kenntnissen sich vortheilhafter verwenden läßt!“ entgegnete der Befragte; „ich habe sie versehen und mich dabei gar nicht übel befunden – das war ich indessen –“

„Gut, und jetzt bin ich es!“ entgegnete Reichardt, während ein leises Roth in sein bleichgewordenes Gesicht stieg, „thun Sie für mich, was Sie können, und ich hoffe den Platz auszufüllen.“

Ein eigenthümlicher Glanz trat in des Kupferschmieds Auge, als er die dargebotene Hand ergriff. „Ich wußte ja wohl, daß Sie ein tüchtiges Herz haben,“ sagte er, „wenn es sich nur nicht Ihrem eigenen Vortheile in den Weg stellen wollte. Aber es mag sein – laufen lassen, was sich nicht halten läßt!“ setzte er hinzu, als wolle er damit die ihn überkommene Stimmung von sich werfen. „Damit Sie indessen nicht unter falschen Erwartungen eintreten, Professor, so sage ich Ihnen, daß Sie trotz aller Kenntnisse kaum Hoffnung haben, später einmal zu einem Platze in unserer Office zu avanciren. Es sind neben einem alten Buchhalter, der sitzen bleiben wird bis an sein Lebensende, mehr Söhne vorhanden, als das Geschäft jemals Clerks brauchen kann. Sie werden sich auf ein Glück von anderer Seite her verlassen müssen, und so, ehe Sie sich mit grober Arbeit die Hände für die Musik verderben, überlegen Sie Ihren Entschluß nochmals reiflich.“

„Ich bin fertig mit mir, und damit lassen Sie es genug sein!“ erwiderte Reichardt, dem Freunde auf die Schulter schlagend und dann seinen Platz wieder einnehmend. „Will mich das Glück finden, so bin ich ihm auch als Hausknecht nicht aus dem Wege – es hängt in der Welt doch nur Alles von der Chance ab – und ich werde jede ergreifen, die sich mit Ehren benutzen läßt.“

„Sei’s denn so, wenn Ihnen die Hoffnung genügt,“ nickte Meißner, nach seinem Glase greifend, „lassen Sie uns darauf trinken; dann aber werde ich Sie in meinem Boardinghause einquartieren, bis ich Alles in Ordnung gebracht habe.“ – – –

Am nächsten Morgen standen die beiden Freunde bereits vor dem Geschäftshause, als sich dort langsam die erste Thür aufthat und eine breitschultrige Gestalt verdrießlich in die Straße hinaus sah. „Die Zeit verschlafen, Henry?“ lachte der Kupferschmied.

„O, der Teufel mag in dem dunkeln Loche aufwachen, und dazu hat mich der Hund in der Nacht nicht schlafen lassen, wollte absolut die Hälfte des Bettes haben,“ brummte der Oeffnende, „möchte nicht für lange hier mein Lager haben – indessen denke ich doch, ihr seid die Ersten!“

„Well, bedanken Sie sich, ich bringe die Ablösung,“ rief der Erstere launig, „hier Mr. Reichardt, der heute eintritt – und hier,“ wandte er sich an seinen Begleiter, „unser Henry, der mit zwei vollen Whiskeyfässern Polka tanzt, unser erster Porter!“

„Auch ein Deutscher?“ erwiderte der Letztgenannte, „das ist recht, wenn er auch,“ fuhr er, Reichardt’s Finger zwischen seiner breiten, schwieligen Hand drückend, fort, „wohl noch kaum ordentlich gearbeitet hat. Es lernt sich aber in Amerika Alles, und ich denke, wir werden mit einander hinkommen!“ Mit einem Kopfnicken machte er sich an das Oeffnen der übrigen Thüren.

„Und nun warten Sie, bis Sie Jemand nach der Office hinaufgehen sehen, melden sich dort als den neuen Porter, den der Bill gebracht hat, und das Uebrige findet sich dann allein!“ sagte Meißner, in das Innere vorangehend – ihnen nach betraten zwei andere Arbeiter mit einem kurzen „guten Morgen!“ den Raum, und der Kupferschmied wandte sich in ihrer Gesellschaft dem hintern Ausgange zu.

„Hier können Sie gleich eine andere Bekanntschaft machen, die nahe genug werden wird,“ lachte der zurückgebliebene Porter, auf einen großen Neufundländer Hund deutend, der langsam und sich streckend aus dem Hintergrunde hervorkam, den dastehenden Ankömmling gleichgültig beroch und sich dann gähnend in den Ausgang stellte. „Der Kerl ist wie ein Lamm am Tage, aber hat verteufelte Mucken des Nachts. Ich hätte ein richtiges Gefecht mit ihm bestehen müssen, wenn ich ihm nicht seinen Willen mit dem Bett gethan – Sie wissen doch, daß Sie Nachts hier schlafen? können sich gleich die Gelegenheit ansehen, es ist dort unter der Treppe – recht gut, ich habe nichts dawider, nur zu dunkel und für mich ein Bischen eng.“

„Ich denke, es wird sich wohl Alles erträglich einrichten lassen!“ erwiderte Reichardt.

„Erträglich – warum nicht? – der Mensch gewöhnt sich an Alles!“ versetzte der Andere gutmüthig, hing eine große Lederschürze über und folgte den Uebrigen.

Der Zurückbleibende suchte sich einen Sitz auf einem hervorstehenden Whiskeyfasse und schlug die Arme übereinander. Es war nicht die geringste Unsicherheit über das, was er zu thun hatte, in ihm; er wollte seine amerikanische Carriere „von der Pike auf“ beginnen und sich durch alle Schwierigkeiten durcharbeiten, wie es schon so viele Andere vor ihm gethan; er hatte sich selbst gesagt, daß der geringste Gewinn, welchen er sich dadurch erringen konnte, eine praktische Geschäftskenntniß sei. Dennoch hatte er mit sich selbst zu kämpfen, um nicht den Contrast zwischen seiner jetzigen ungewohnten Umgebung und dem Gesellschaftskreise, in welchem er sich während der letzten Wochen bewegt, zu sehr zu empfinden. Schon das letzte Nachtquartier hatte ihm einen Vorgeschmack des zu Erwartenden gegeben. Fünf Mann in drei Betten schliefen in einer Stube, und der Kupferschmied hatte es arrangirt, daß Reichardt als der Sechste zu ihm gelegt ward. Es herrschten ein Humor und eine Zwanglosigkeit unter den Stubengenossen. die sichtlich von allen Seiten gepflegt wurden, nur daß Reichardt sich nicht so schnell an die directen, plastischen Ausdrücke, an die verschiedenen auftauchenden Gerüche und den herrschenden Ton im Allgemeinen gewöhnen konnte. Selbst Meißner schien eine Ahnung von den Empfindungen des Freundes zu bekommen, als dieser, um allen äußeren Eindrücken zu entgehen, die Bettdecke über die Ohren zog, und flüsterte ihm zu: „Well, Professor, Sie müssen jetzt die Verhältnisse nehmen, wie sie sind, wir haben hier noch die anständigste Gesellschaft im ganzen Hause!“ Jetzt erschien es ihm fast wie ein Glück, daß er seine Schlafstelle im Store bekam, und unwillkürlich richteten sich seine Augen nach seinem künftigen Gesellschafter, dem großen Hunde, der noch immer, die Straße beobachtend, in einer der offenen Thüren saß. Reichardt war immer ein Hundefreund gewesen und es berührte ihn wie ein gutes Vorzeichen, als das schöne Thier leicht seinem Locken folgte, ihm während seiner Liebkosungen aufmerksam in’s Auge sah und dann

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_387.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)