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Blätter und Blüthen.

Die Deutschen in Amerika und die jetzige Krisis. St. Louis, 6. Mai. Das was bei Euch im Vaterlande am meisten interessiren muß, die Betheiligung des deutschen Elements an dem großen Kampfe, ist in den meisten Berichten nur oberflächlich angedeutet – und doch ist der Ausgang dieses Kampfes eine wahre Lebensfrage für die amerikanisch-deutsche Bevölkerung; entweder erhält sie dadurch eine Stellung neben dem eingeborenen Elemente, die nicht nur der Form, sondern auch dem innersten Wesen nach gleichberechtigt und so anerkannt ist, als sie nur dem echten Patrioten gebührt – oder sie muß mit dem Untergange der Union zu einem recht- und heimathlosen Bevölkerungstheile werden, auf dessen Nacken der Sieger seinen Fuß setzt.

Um eine klare Einsicht in die Ursachen der jetzigen Ereignisse zu erlangen, ist ein kurzer Rückblick nothwendig, bei dem ich mich indessen nur auf die äußersten Außenlinien beschränken werde. Ist auch das Grundübel, dem alle übrigen entsprungen, das Institut der schwarzen Sklaverei, so hat dieses dennoch durchaus keinen directen Antheil an dem gegenwärtigen Hader, und Alles, was im Gegentheile seitens der südlichen Staaten zu ihrer Rechtfertigung angeführt wird, ist purer Vorwand.

Bis zum Jahre 1852 war in der amerikanischen Politik von keiner nennenswerthen Partei, welche irgend eine bestimmte Maßregel gegen die Sklaverei in ihr Programm aufgenommen hätte, die Rede, und die wenigen damals existirenden Abolitionisten oder Sklaverei-Abschaffer wurden meist als hirnlose Idealisten verlacht. Die Whigs und Demokraten, die man vielleicht als die aristokratische und Volkspartei bezeichnen könnte, liefen in ihren Ansichten nur in Maßregeln innerer Verwaltung auseinander, und selbst die zum Oefteren aufgeworfene Frage, ob neu gebildete Staaten als Sclavenstaaten in die Union gelassen werden sollten, welche zu mehrern Malen Stürme im Congresse hervorrief, trug keine bestimmte Parteifärbung. Erst als bei der Präsidentenwahl 1852 die Partei der Whigs an der Haltlosigkeit ihres Programms zu Grunde ging, entstand aus allen mit der herrschenden demokratischen Partei unzufriedenen Elementen eine Partei, die der Republikaner, welche sich, zur Vereinigung der ganzen Mischung, aus der einen sogenannten Test-Frage vereinigte: Widerstand gegen jede Ausbreitung der Sklaverei auf die noch nicht zu Staaten reifen Territorien.

Die demokratische Partei setzte diesem Programm den Grundsatz der Volkssouveränetät und Selbstregierung entgegen, so daß jeder sich bildende neue Staat selbst zu bestimmen habe, ob Sklaverei in ihm erlaubt sein solle oder nicht – freilich legte jeder Demokrat diesem nie völlig erklärten Grundsatze, dessen Wesen besonders in Bezug auf die Territorien dunkel ist, seine eigene Meinung unter, und die Ansichten darüber schattirten vom südlichen „Feuerfresser“, der sein schwarzes Eigenthum auf jedem Fleck freier Erde von Amerika geschützt sehen wollte, bis zum ehrlichen Rechtsmann, der dem Süden kein Unrecht geschehen lassen, aber auch das, was freier Boden war, nicht versklavt sehen mochte.

Die Deutschen, von dem nativistischen, aristokratischen Geiste abgestoßen, welcher sich in Verbindung mit dem frömmelnden Amerikanerthum in der neuen Partei geltend machte, hatten sich zum Haupttheile den Demokraten angeschlossen, und erst das beginnende schamlose Treiben der demokratischen Parteiführer, die in allen Zweigen der Verwaltung durch die lange Gewohnheit des Herrschens eingerissene Corruption, die öffentlich begangenen geduldeten Diebstähle, die unverdeckten Bestechungen und Verschleuderungen zum Besten einzelner Parteihäupter trieben in den letzten sechs Jahren einen großen Theil der Deutschen zu den Republikanern, und bald begann sich in dieser Partei durch das neu hinzutretende Element ein ganz anderer, kritischer, echt freiheitlicher Geist geltend zu machen, der, wenn auch anfänglich nicht anerkannt, ja sogar angefeindet, sich dennoch immer weitern Durchbruch schuf.

Die Südländer, welche als geschlossene und Hauptmacht der demokratischen Partei die größten und einträglichsten Aemter stets für sich nahmen, alle Gesandtschaftsposten besetzten und mit ihren Söhnen die besten Plätze in der Armee und Marine füllten, die mit einem Worte sich als erbliche Inhaber der Gewalt und der „Beute“ betrachteten, sahen plötzlich die junge feindliche Partei zu einer Kraft heranwachsen, die ihnen drohte, nicht allein die Sklaverei als Hauptgrundlage der Union zu negiren und die Sklavenhalter in ihre Schranken zurückzuweisen, sondern ihnen einstens auch die Herrschaft über das Land sammt den fetten Profiten aus der Hand zu winden, und bereits in den Jahren 54–56 bildete sich unter den Staatsmännern des Südens ein geheimes Einverständniß, die gesammten Sclavenstaaten aus der Union zu sprengen und zu einem selbstständigsn Staatenverbande zu vereinen, sobald die republikanische Partei jemals ans Ruder gelangen sollte. Damals war der Chef des jetzt gebildeten Südenbundes, J. Davis, Kriegsminister im Cabinet des Präsidenten Pierce, und von hier an läßt sich bereits ein ganzes bis jetzt verfolgtes System entdecken, den Süden durch Waffenvorräthe für eintretende Fälle zu stärken, die Vereinigte Staaten-Regierung aber durch Verfallenlassen der Kriegsflotte und der einzelnen Forts möglichst hülflos zu machen. Das letzte Glied in dieser Kette südlicher Machinationen bildete der des Betrugs und Diebstahls angeklagte Kriegsminister Floyd, in Buchanan’s Cabinet.

Bereits bei der Präsidentenwahl 1856 zeigte die republikanische Partei, daß sie zum furchtbaren Gegner der Demokratie geworden, und die Administration den knapp erwählten demokratischen Präsidenten Buchanan, welcher sich völlig dem Süden verkauft zu haben schien, trieb noch jeden einigermaßen rechtlichen und denkenden Menschen im Norden aus dem demokratischen Parteiverbande. Was nicht geradezu Republikaner wurde, schloß sich Buchanan’s erbittertem Gegner, Douglas, welcher, selbst Demokrat, die Schandwirthschaft innerhalb der Partei bekämpfte, an, und mit dieser Zersplitterung war der Sieg der republikanischen Partei im Jahre 1860 gesichert, war aber auch für die südlichen Parteiführer der Zeitpunkt herangekommen, ihren lang vorbereiteten Plan der Trennung auszuführen. Sie wußten, daß noch ein großer Bevölkerungstheil mit demokratischer Gesinnung im Norden bestand, und rechneten so auf einen getheilten Norden einem festvereinigten Süden gegenüber. Süd-Carolina begann bei Erwählung des republikanischen Präsidenten Lincoln den Austritt zuerst, auf die sofortige Nachfolge der übrigen Sclavenstaaten zählend; aber nur der kleinere Theil derselben schloß sich an. Die an den freien Norden grenzenden Südstaaten bedachten wohl, daß ihnen bei einer Trennung ihre sämmtlichen Sklaven über die Grenze laufen könnten, ohne daß eine Möglichkeit der Wieder-Erlangung bleibe, und temporisirten. Die republikanische Regierung aber trat mit einer so unerwarteten Mäßigung auf, verbürgte dem Süden so jedes ihm zustehende Recht, daß sie sofort die Herzen aller nördlichen Demokraten gewann, welche ohnedies durch die im Süden wüthende Pöbelherrschaft mit jedem Tage mehr ihren frühern Parteigenossen entfremdet wurden. Und als Lincoln zur Durchführung der Gesetze und Erhaltung der Union notgedrungen die nördliche Miliz aufrief, da zeigte sich ein Schauspiel, wie es die amerikanische Revolution, wie es die Erhebung des preußischen Volks 1813 nicht in dieser Großartigkeit geboten hatte. Jeder Parteiunterschied war plötzlich verwischt, „die Union“ war das einzige Losungs- und Erkennungswort; was die Waffen tragen konnte, reihete sich zu Regimentern; Geld zur Unterstützung der Regierung floß aus den Banken millionenweise. Jede große Stadt ward ein Armeen speiender Schlund, und selbst der kleinste Ort stellte seine Compagnie – das Blatt hatte sich gewandt: ein großartig vereinigter Norden und ein getheilter Süden stehen sich einander gegenüber – auf der einen Seite ein Volk, tief durchdrungen und begeistert von der Nothwendigkeit, das große Asyl der Freiheit, welches Gott der Menschheit nach langem Kampfe gewährt zu haben scheint, ungeschmälert und unangetastet zu erhalten – auf der andern Seite eine Anzahl herrschgieriger Parteimänner, welche die Gewalt sich nicht entreißen lassen wollen, ihre Staaten durch fanatisirte Pöbelhaufen in Schrecken halten und ihres Selbst-Interesses wegen das heilige Vermächtniß ihrer Väter zu zertrümmern gedenken.

Und bei dieser gewaltigen Erhebung des Nordens waren die Deutschen es vor Allen, welche ein wahrhaft elektrisirenden Beispiel von Patriotismus gaben. Geschäft, Handwerk und Kunst wurden überall verlassen, die Familien der Fürsorge der städtischen Behörden anvertraut; der 48er Geist in seinem ganzen Aufflammen schien in jeder Seele, in jedem Arme wieder lebendig geworden zu sein – und die Amerikaner starrten verwunderten Auges, bis auch der kälteste knownothing von diesem Aufgeben aller Rücksichten um des neuen Vaterlandes willen zur Anerkennung mit fortgerissen wurde und die amerikanischen fremdenfeindlichen Zeitungen einen einstimmigen Hymnus zum Preise ihrer deutschen Adoptiv-Brüder anstimmten.

Noch ist, während ich dies schreibe, der eigentliche Kampf nicht entbrannt, nur Truppenmärsche, Aufstellungen und Besetzungen von wichtigen Positionen werden als Vorspiel des heranziehenden Gewitters gemeldet, aber Jeder weiß, daß die deutschen Regimenter, deren Mitglieder fast sämmtlich gediente Soldaten sind und in Baden, der Pfalz, Ungarn und Schleswig-Holstein bereits Pulver gerochen haben, zu den zuverlässigsten Truppenkörpern der entfalteten Macht gehören. Wird der Kampf für die Union siegreich ausgefochten, dann haben sich die Deutschen ihre Stellung für immer erobert – sollte aber die Union zertrümmert werden, dann werden sie auch um so mehr das Märtyrerthum für die gute Sache zu erleiden haben.

Von einzelnen Namen und interessanten Daten, wie sie mir zu sammeln möglich wurden, gebe ich nun das Folgende. Oberst Blenker (aus der badischen Revolution bekannt) hat in New-York zwei Jäger-Regimenter gebildet – Carl Schurz, der vorläufig die Madrider Gesandtenstelle an den Nagel gehangen, organisirt ein Cavallerie-Regiment in Minnesota – Struve wollte bei einem der deutschen Regimenter als Gemeiner eintreten, wurde aber sogleich zum Ehren-Capitain ernannt – Willich ist Adjutant bei einem Cincinnatier Truppen-Corps – A. Baudissin, schleswig-holstein’schen Andenkens, hat eine Compagnie seiner eigenen Landsleute zusammengebracht – Brickel, Commandeur der badischen Artillerie 1849, hat ein Artilleriecorps mit 4 Sechspfündern und 2 Haubitzen in’s Leben gerufen – Hecker organisirt im südlichen Illinois die Heimathswehr – Duysing (früher in kurhessischen Diensten) commandirt ein deutsches Zouaven-Regiment – Fach, 48er Andenkens, hat ein Artillerie-Regiment, in welchem der Theater-Schriftsteller Max Cohnheim als Officier dient – ein anderes Artilleriecorps hat ein früherer nassau’scher Officier, Hartmann, errichtet– ein Turner-Schützen-Regiment hat sich aus 21 östlichen Städten gebildet und dem bekannten 49er General Sigel das Commando angeboten; dieser aber commandirt bereits ein deutsches Regiment in St. Louis und ist zweiter Commandant des dasigen Arsenals. Auch die deutsche Kunst ist überall vertreten: Bergmann und Noll, zwei der anerkanntesten Musikdirectoren, thun Signal-Hornisten-Dienste – der Sänger Gilsa commandirt ein deutschen Jäger-Regiment – der Theaterdirector Hoym in New-York ist Officier bei den Turnerschützen und der Theaterdirector Börnstein in St. Louis Oberst eines Rifle-Regiments, während die sämmtlichen jungen Schauspieler seiner frühern Truppe unter ihm dienen – die Gesangvereine Teutonia und Germania in New-York bilden ein Schutzcorps (den ins Feld ziehenden Mitgliedern dieser Vereine wurde beim Abschiedsfest eine Stimmgabel geschenkt, damit sie trotz des Schlachtengetöses den richtigen Ton anschlagen können). Deutsche Frauenvereine zur Pflege der Verwundeten schießen wie Pilze aus der Erde, und Aerzte, ja sogar Hebammen bieten ihre unentgeltlichen Dienste den zurückbleibenden deutschen Familien an.

Viele bekannte Namen mögen noch unter der Masse stecken und kommen in der allgemeinen, gewaltigen Aufregung nicht vor die Oeffentlichkeit; die obigen Angaben schon werden aber wenigstens eine entfernte Idee des Geistes geben, welcher das ganze amerikanische Deutschthum durchdringt.

O. R. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_384.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)