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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Das Zahnfleisch bildet um den Giftzahn eine Art Scheide, welche ihn nebst seinen Ersatzzähnen (denn solche finden sich lose in der Masse des Zahnfleisches hinter dem functionirenden Zahne) beim Schließen des Maules gänzlich einhüllt. Offenbar werden die Giftzähne, auch wenn sie nicht in Gebrauch stehen, von Zeit zu Zeit gewechselt und durch neue ersetzt. Der Wärter der Schlangenmenagerie im Pariser Pflanzengarten erzählte mir wenigstens, daß er in den Behältern der Giftschlangen von Zeit zu Zeit abgestoßene Zähne finde, deren er auch in der That eine ganze Sammlung besaß, und unter welchen er nach Form und Größe sehr gut die Zähne der einzelnen Arten, namentlich der Klapperschlangen, der Brillenschlangen und der berüchtigten Lanzenvipern (fer de lance) der französischen Colonien zu unterscheiden wußte.

Der Mechanismus des Giftapparates ist einfach. Eine traubige, gelappte Drüse, einer Speicheldrüse ähnlich, liegt unter und hinter dem Auge und sendet einen, meistens heberförmig gebogenen Ausführungsgang, der gewöhnlich eine sackartige, als Reservoir dienende Erweiterung hat, in die Wurzel des Zahnes. Dieser ist in seiner ganzen Länge zusammengerollt und dadurch hohl, und der ihn durchsetzende Canal an der haarscharfen Spitze des Zahnes durch einen Spalt geöffnet, sodaß diese Spitze fast derjenigen eines fein geschnittenen Zahnstochers ähnlich sieht. Beim Bisse richtet sich die Schlange gewöhnlich mit halbem Leibe auf und schleudert den Kopf vorwärts, wie eine geschnellte Feder. In dem Augenblicke, wo sie beißt, drückt der Drüsenmuskel diese mit ihrem Reservoir zusammen und spritzt einen Tropfen des tödllichen Giftes in die feine Wunde, welche gewöhnlich aussieht, wie wenn man sich mit einer Nadel leicht geritzt hätte. Die giftige Flüssigkeit selbst sieht wie ein klarer, dünnflüssiger Speichel aus, reagirt etwas sauer, hat einen schwachen, ekelerregenden Geruch und hinterläßt auf weißer Leinwand durch Austrocknung einen schwachgelblichen Flecken.

Es ist eine festgestellte Thatsache, daß dieses Gift, welches unter günstigen Umständen eine rasche Zersetzung der Blutmasse herbeiführt, wie viele andere Gifte nur dann wirkt, wenn es direct in die Blutmasse eingeführt wird. Es äußert durchaus nicht die mindeste Wirkung, wenn es nur auf die Haut, auf die Zunge, oder in den Magen gebracht wird; es zersetzt sich wahrscheinlich augenblicklich entweder in dem Magen oder in der Leber, ohne irgend welche schädliche Wirkung auf den Organismus bei diesem Einführungswege zu äußern.

Furchtbar aber sind allerdings diese Wirkungen, wenn das Gift direct in den Blutlauf gebracht wird, und um so furchtbarer, je kräftiger die Viper, je reichlicher das Gift in dem Behälter, je heißer die Jahreszeit und je mehr durch Erhitzung oder Ermüdung der Mensch selbst zur Blutzersetzung disponirt ist. Aus diesem Grunde mögen namentlich die Schlangen der Tropengegenden um so viel gefährlicher sein, da dort durch die andauernde Hitze das Blut ohnehin zur Zersetzung geneigt scheint. Gewöhnlich schmerzt die Wunde augenblicklich, wie der Stich einer Biene, und kurze Zeit darauf bezeichnet allgemeine Hinfälligkeit, Todesmattigkeit zum Sterben, Unfähigkeit weiter zu gehen, die Vertheilung des Giftes in die Blutmasse und das dadurch bedingte Erkranken des centralen Nervensystemes. Unauslöschlicher Durst begleitet gewöhnlich diese Erscheinungen der allgemeinen Krankheit, die sich mit Diarrhöen, Erbrechen, später mit Delirien verbinden und entweder zu ruhigem Tode führen oder durch heftiges Fieber und reichliche Schweiße sich zum Besseren wenden kann.

Mit dieser allgemeinen Krankheit, die offenbar durch Blutzersetzung bedingt ist, gehen heftige Localerscheinungen Hand in Hand. Das gebissene Glied schwillt manchmal entsetzlich auf, zuweilen selbst verbreitet sich die Schwulst über den ganzen Körper. Die Bißstelle wird blau, schwarz, brandig, das Glied vollkommen unempfindlich, und oft schwindet diese Unempfindlichkeit erst im Laufe von Jahren – ein Beweis der tiefen Einwirkung auf das Nervensystem.

Wie nun sich gegen solchen Schaden wehren?

Zuerst gilt es natürlich, sich der Gelegenheit gebissen zu werden nicht auszusetzen, und dies ist verhältnißmäßig sehr leicht. Die Kreuzotter ist ein träges, apathisches Thier, das Sonne und Trockenheit liebt, steinige mit Gebüsch spärlich bewachsene Halden als Wohnort vorzieht und dort sich in oberflächlichen Verstecken birgt oder regungslos an der Sonne ruht. Sie verfolgt nicht und flieht nicht; sie beißt nur wenn sie angegriffen, gereizt oder geneckt wird, und da dieses meistens nur ohne Absicht geschieht, so sind es gewöhnlich nur Leute, die Reisig, Beeren oder Pflanzen sammeln, welche von ihr in die Hand oder den nackten Fuß gebissen werden. Stiefel und Hosen schützen ganz vollkommen gegen den Biß der giftigen Schlangen; sogar ein Strumpf genügt meistens, den größten Theil den Giftes aufzufangen und die Verwundung fast unschädlich zu machen. Ein Hieb mit dem Stocke oder selbst mit einer schwanken Gerte genügt vollkommen, der Schlange den Rückgrat zu brechen und sie unfähig zu machen zum Angriffe. Mir selbst ist es schon begegnet, daß ich eine Viper tödtete, die ruhig im Wege lag und unbeachtet von der spazierenden Gesellschaft, die vor mir herging, überschritten worden war. Man schaue also wohl um sich, wenn man sich in Gegenden findet, wo sich Schlangen dieser Art finden können, und stecke die Hand nicht an Orte, die man vorher nicht mit den Augen oder dem Stocke untersuchen konnte.

Hat man aber das Unglück gebissen worden zu sein, so ist sicherlich die erste Indikation, den Uebertritt des Giftes in die Blutmasse zu verhindern. Hat man ein Messer oder selbst nur einen großen Dorn zur Hand, so scheue man sich nicht, mit einem gehörigen Schnitte die Wunde weit zu öffnen und das Blut reichlich fließen zu lassen. Es ist besser, an einer tiefen Schnittwunde, als an einem vergifteten Stiche zu leiden. Man befördere den Ausfluß des Blutes soviel als möglich durch Hängenlassen des Gliedes, durch Waschen mit lauem Wasser, wenn es zu haben ist; man wasche und spüle, um herauszubringen, was möglich ist. Kann man das Glied zum Munde bringen oder ist eine andere Person gegenwärtig, so sauge man augenblicklich Blut und Gift aus der Wunde. Wir besitzen moralische Kindergeschichten, in welchen das Aussaugen des Bisses einer giftigen Schlange als die höchste That des mütterlichen Heroismus und der Todeshingebung für das Kind gepriesen wird. So schlimm steht die Sache nicht. Wer gesundes und derbes Zahnfleisch hat, das beim Saugen nicht blutet; wer von Zeit zu Zeit die ausgesogene Masse vollständig ausspuckt, der wird nicht die mindeste Unannehmlichkeit davon tragen, und im entgegengesetzten Falle ist es höchstens einiges Anschwellen der Lippen und der Zunge und etwas Brechneigung, die den Saugenden für sein Wagestück bestraft. Soviel kann man aber doch wagen, wenn es die Erhaltung der eigenen Gesundheit oder derjenigen eines Mitmenschen gilt.

Sodann unterbinde man augenblicklich das Glied oberhalb der Bißstelle so fest als möglich, um den Blutlauf zu hemmen und den Uebertritt des vergifteten Blutes in die gesammte Blutmasse zu verhindern. Der Natur der Sache nach können nur die oberflächlichen Gefäße und die rückführenden Venen der Haut verletzt sein, und es ist gewöhnlich leicht, die oberflächlichen Hautvenen durch ein Band, das man nöthigenfalls aus einem Kleidungsstücke reißen kann, so zusammenzudrücken, daß der Blutlauf fast gänzlich gehemmt ist. Ist dies aber auch nicht vollständig geschehen, so ist doch schon die allmähliche Ueberführung des Giftes in die Blutmasse von großer Bedeutung, indem dadurch die allgemeine Krankheit gewissermaßen vertheilt und gebrochen wird. Castelnau erzählt, daß man in Südamerika an einzelnen Orten die Behandlung des Schlangenbisses in der Art leitet, daß man die Ligatur des unterbundenen Gliedes von Zeit zu Zeit für einen Augenblick öffnet, dann aber wieder zusammenschnürt, um einige Zeit später dieselbe Operation zu wiederholen. Es entstehen bei jeder Oeffnung der Ligatur leichle Convulsionen, die aber bei der Vertheilung auf eine längere Zeit unschädlich vorübergehen, während sie bei dem plötzlichen Eindringen der ganzen Giftmenge überhandnehmen und den Tod herbeiführen würden.

Was man aber auch thun mag, man thue es rasch, ohne national-germanische Gründlichkeit und langes Bedenken. Einen Fetzen vom Kleide herabreißen und den Finger damit umwickeln, das Messer hervorziehen und einschneiden, saugen und ausspucken und wieder saugen, muß das Werk weniger Secunden sein; denn das menschliche Herz arbeitet rasch und in einer Minute ist der Umschwung der Blutmasse vollendet. Stellen sich nach solchem energischen Einschreiten dennoch allgemeine Krankheitserscheinungen ein, so ist es Sache des Arztes, dieselben zu bekämpfen, indem namentlich schweißtreibende Mittel angewendel werden müssen.

(Schluß folgt.)



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