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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Aber die Glarner sollten gräßlich aus ihrem Vertrauen aufgeschreckt werden. – Dort am Landesgemeindeplatz, in der nordöstlichen Ecke desselben, begann Abends 9 Uhr leise ein Flämmchen an einem Holzschopfe zu züngeln, das von einem Fünkchen aus einer brennenden Tabakspfeife oder sonstwo angefacht worden war. Während die Bevölkerung des Fleckens unbesorgt bei einem Glase Bier oder Wein saß oder sich zu Bette begab, spielte das Flämmchen im Holzschopfe weiter und brach zwischen 9 und 10 Uhr zur Flamme aus. – Sofort Feuerlärm, Hülferuf, herbeieilende Löschmannschaft, Gerassel der Feuerspritzen. Es wäre wohl leicht gewesen, das kaum beginnende Feuer zu löschen, wenn der Föhn nicht mit furchtbarer Wuth das Thal durchstürmt hätte. Er wurde der mächtige Bundesgenosse des in seinen ersten Anfängen unbedeutenden Brandes. Mit ihm vereint spottete der Letztere allen Anstrengungen der Löschmannschaft und griff mit rasender Eile um sich. Kaum hatte sich der Hülferuf durch Glarus verbreitet, kaum waren die Spritzenmannschaften herbeigeeilt und begannen ihre Arbeit, so standen auch schon mehrere Häuser in Brand. Der Föhnsturm jagte die Flamme nordwärts über die Dächer hin, vermehrte die Gluth des Feuers, trug brennende Schindeln und glühende Schieferziegel weithin im Fluge des Blitzes und bewirkte so schnell die Entzündung von Gebäuden auf anderen Punkten.

Es gestattet weder der Raum dieses Blattes, noch ist es unsere Absicht, dem furchtbaren Elemente Schritt vor Schritt, von Haus zu Haus, von Straße zu Straße zu folgen; vom Föhnsturm gepeitscht flog die Flamme auf den Flügeln des tobenden Orkans dahin, als gälte es, keine Secunde beim schrecklichen Zerstörungswerke zu verlieren.

Noch war keine Stunde verflossen, als der ganze Flecken vom Landesgemeinde-Platze bis über den Spielhof am nördlichen Ende hinaus in Flammen stand. Schauervoll prächtig – schreibt Senn – zeigte sich jetzt das Thal, in welchem Glarus liegt. Wenn der Föhn einen Augenblick den Athem an sich hielt, so stieg eine Feuersäule gen Himmel, welche mit den Bergriesen ringsum an himmelanstrebender Höhe wetteiferte. Wie von mächtigem bengalischen Feuer vom Fuß bis zum Gipfel beleuchtet, stand die 7000 Fuß hohe Pyramide des Glärnisch da. Der Kärpf mit seinen Gletschern im Hintergrunde des Thales strahlte rothhell im Flammenmeere; wie feuriger Regenschauer rieselten die Funken und Gluthen, welche der Föhn emporwirbelte, auf die Umgegend nieder und setzten selbst die Nachbargemeinde Netstall in Brandgefahr. Der Himmel strahlte in so glühendem Roth, daß man bis Zürich, ja selbst bis Schaffhausen, Aarau und Frauenfeld und über die Bergzüge des Jura hinweg darauf aufmerksam wurde und überall einen Brand in der Nähe vermuthete.

So furchtbar schön die Beleuchtung war, so unerträglich glühend war die Hitze. Sie erreichte einen solchen Grad, daß sie die Pflanzendecke des Niedrain-Hügels vom Fuße zum Gipfel bis auf die Wurzeln zerstörte. Hölzerne Gebäude in der Nähe der Brandstätte mußten allein von der Hitze, ohne Berührung mit dem Feuer, in Brand gerathen; drei Spritzen verbrannten gänzlich. Noch am Sonntag nach dem Brande war es in den Trümmern des Fleckens so heiß, daß man nur mit Mühe Athem schöpfen konnte.

Von 10 Uhr Abends bis 6 Uhr am andern Morgen wogte das Flammenmeer über Glarus; am gewaltigsten von 11 bis 4 Uhr. Gegen 500 Gebäude waren das Opfer der grausen Feuersbrunst geworden; darunter die achthundertjährige Pfarrkirche, welche bisher allen Stürmen der Zeit widerstanden und die beinahe die ganze Geschichte des Glarnervolkes mitgemacht hatte. Das wunderhübsche Geläute derselben schmolz stückweise in die Tiefe. Ob sie sich noch ihren Grabgesang läutete, konnte im wilden Sturme der Elemente nicht vernommen werden. Außerdem verbrannten sämmtliche Pfarrhäuser, etwa ein halbes Dutzend Gasthäuser, zwei Druckereien, eine Buchhandlung und beinahe sämmtliche Verkaufslocale, das Rathhaus, das Regierungsgebäude, die Bank, das Casino, das Schützenhaus u. a. m. Nur wenige Gebäude sind versichert, der Schaden aber wird auf 12 Millionen Franken geschätzt.

Um 6 Uhr Morgens hatte sich die größte Wuth der Elemente erschöpft; sie fanden im Norden, wohin ihre Richtung ging, keine Nahrung mehr. Wie viele Menschenleben in diesem glühenden Grabe liegen, weiß zur Stunde noch Niemand. Eine Frau Luchsinger, die sich aus der ganz neu etablirten, ebenfalls abgebrannten Apotheke ihres Sohnes retten wollte, ist auf ihrer Flucht in dem sogenannten Gewölb erstickt. Den gleichen Tod fand mit ihr Herr Hauptmann Tanner von Herisau, der alljährlich und so auch dieses Mal die hiesige Landesgemeinde besuchte. Zwei Tage nachher kam sein Sohn, um die Brandstätte zu sehen, und erkannte die Leiche seines Vaters, den er längst heimgekehrt wähnte.

Auf dem ganzen Erdenrund giebt es wohl wenige Stellen, wo eine Feuersbrunst sich mit solcher Blitzesschnelle verbreiten, sich zu solcher Heftigkeit entwickeln und solch schreckhafte Gestaltung annehmen kann, wie im Lande Glarus. Keine Feder ist deshalb im Stande, eine Schreckensnacht, wie sie der Hauptort dieses Kantons erlebte, auch nur annähernd zu schildern, und in der vorliegenden Darstellung mag der Leser blos ein dürftiges, skizzenhaftes Bild jener düstern, unheilvollen Stunden suchen. Der Jammer und das Elend so vieler wackern Leute, die in wenigen Stunden all ihr Hab und Gut vernichtet sahen, ist erschütternd. Vielen der reichsten Leute blieb nichts als die Schlüssel ihrer Hausruinen! Ständerath Blumer sah sein ganzes Eigenthum in den Gluthen versinken und hatte nur noch Zeit die theure Bürde seiner alten kränklichen Mutter davonzutragen.

Noch während des Brandes aber und kurz nachher zeigte sich in allen Kantonen der Eidgenossenschaft die rührigste Bruderliebe in Hülfe jeglicher Art. Ueberall im ganzen Schweizerlande erfolgten Anordnungen für die Hülfsleistung, die Organisation von Comités, die Sammlungen und Sendungen. Es bewährte sich jetzt wieder die mächtige Leistungskraft eines freien Volkes, eines republikanisch organisirten Gemeindewesens; es bewährte sich vor Allem in erhebendster Weise die alte treue Liebe der Eidgenossen zu einander in aller Noth und Gefahr.

Und auch das große Deutschland, der herrlichen Schweiz stammverwandt durch Sprache, Sitte und eine langjährige gemeinsame Geschichte wird, wie es stets gethan, sicher nicht zögern, den hartbedrängten eidgenössischen Brüdern in Glarus mit helfender That beizustehen, damit ihr Hauptort wieder wie ein Phönix aus der Asche in schönerer Gestalt erstehe. Es ist dem deutschen Volke Gelegenheit geboten, durch die That zu beweisen, daß,

„so weit die deutsche Zunge klingt,“

ein „einig Volk von Brüdern“ lebt, welches in dem mannhaften, heldenreichen Schweizervolke seine treuesten Bundesgenossen, seine muthigsten Vorkämpfer ehrt und liebt, welches daher auch mit freudigem Herzen die heilige Pflicht zu erfüllen sich drängt, den schwer heimgesuchten Glarnern die helfende Rechte zu reichen! [1]




Blätter und Blüthen.

Post-Sparcassen. Die öffentlichen Sparkassen sind ohne Zweifel eine sehr segensreiche Einrichtung. Sie bestehen bei uns in Deutschland seit langer Zeit und sind auch in England eingebürgert. Wer sie erfunden hat, weiß ich im Augenblick nicht zu sagen; allein in England schreibt man ihren Ursprung einem schottischen Geistlichen Dr. Duncan zu, der die einfache Einrichtung zum Besten seiner Pfarrgemeinde machte. Jetzt bestehen diese Sparbanken durch das ganze Königreich hindurch, und das in ihnen niedergelegte Capital beläuft sich auf die ungeheuere Summe von vierzig Millionen Pfund Sterling oder 266 Millionen preußische Thaler. Im vergangenen Jahr 1860 wurden 16,250,000 Pfund Sterling eingezahlt (108.330,000 Thlr.). Sehr eigenthümlich und charakteristisch ist, daß von den 266 Millionen Thalern, welche das Capital der Sparbanken repräsentiren, neun Zehntel von Dienstboten beiderlei Geschlechts beigetragen sind. Daraus geht die traurige Wahrnehmung hervor, daß die ungeheuer zahlreiche Classe der Arbeiter entweder sehr ungenügend bezahlt oder sehr nachlässig und verschwenderisch ist. Es mag wohl Beides daran schuld sein. daß die Arbeiter so wenig ersparen, und noch ein anderer Umstand dazu beitragen. Die Sparbanken, z. B. in London, sind nur ein oder zwei Mal in der Woche und dann auch nur zu gewissen Stunden des Tages geöffnet; ferner gibt es in kleinen Orten gar keine

  1. Obwohl in allen Gauen Deutschlands für unsere unglücklichen Brüder in Glarus bereits gesammelt wird und ich mit meiner Bitte bei der langsamen Erscheinungsweise der Gartenlaube wohl etwas zu spät kommen dürfte, so wage ich es dennoch an die Herzen meiner Leser zu appelliren und sie um eine Beisteuer für die Unglücklichen zu ersuchen. Es ist ja so viel Unglück vergessen zu machen. – Ueber die eingegangenen Liebes-Gaben werde ich in der Gartenlaube öffentlich quittiren.
    Ernst Keil.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_367.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)