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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 23.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Der Abend war gekommen. Reichardt hatte am Nachmittag seine Uebersiedelung bewerkstelligt und, als er Mathildens Zimmer verschlossen gefunden, einen Gang in die Stadt hinein gemacht, in der ihm eine neue Hoffnung zu einer gesicherten Existenz blühen sollte. Erst beim Abendessen war er mit seiner früheren Gefährtin wieder zusammengetroffen und hatte diese dann in Gesellschaft eines Theils der übrigen Sänger nach dem Theater begleitet. Mathilde hatte ihm, ehe sie in ihrer Garderobe verschwand, angedeutet, sich einen passenden Platz zwischen den Coulissen zu suchen, und er gewahrte bald neben einem großen Versatzstück ein Eckchen, aus welchem er Alles übersehen konnte, ohne doch bemerkt zu werden, und so trug er sich dorthin einen Stuhl, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Nach kurzer Zeit schon erschien der Director, bereits fertig geschminkt und völlig costümirt, warf durch das kleine Loch im Vorhang einen Blick auf die sich versammelnde Menge, rieb sich die Hände und verschwand wieder in den Seiten-Coulissen. Reichardt hörte seine halblaute Stimme bald aus der einen, bald auf der andern Seite des Theaters; nach Kurzem aber erschien er mit zweien der männlichen Acteurs im vollen Costüm wieder und begann Stück für Stück ihres Anzuges zu mustern. „Bon! bon!“ sagte er, „es wird sich mit der Zeit machen; jetzt aber Sie, Monsieur, noch einmal den Mantelwurf beim Abgange, damit ich ruhig sein kann, und dann Sie, Monsieur, die Erhebung der Arme, damit wir nicht ein lebendiges Kreuz vor uns haben; der Geschmack, Messieurs, der Geschmack muß da sein; commençons!“ Die beiden gebotenen Bewegungen wurden durchgemacht, während Herr Meier, der Bariton, erschien und mit der Miene eines über alle Vorübungen erhabenen Künstlers sich auf sein Schwert stützte.

eh bien, Monsieur Meier, was ich bemerken wollte,“ wandte sich der Director an diesen, „Sie wissen, nicht zu viel Süßigkeit, lieber etwas mehr Kraft!“ Der Bariton nickte nur mit dem süßesten Lächeln, während der Erstere wieder zu dem Loche am Vorhang eilte.

Nach einer Viertelstunde erschienen endlich zwei der Damen, und während einzelne der Sänger in gravitätischem Schritte die Bühne maßen, an ihrem Costüm zupften oder summend eine Glanzstellung versuchten, entspann sich unter den Uebrigen ein halblautes Zwiegespräch. Aus dem Zuschauer-Raume klangen einzelne Piano-Accorde, und der Director überflog seine Streitkräfte. „Mademoiselle Heyer noch nicht sichtbar?“ fragte er, nach der Uhr blickend. Unruhig that er einige Schritte nach der Coulisse, blieb aber dann unentschlossen stehen und begab sich wieder nach seinem Loche zurück. Außerhalb begann das Publicum sich ungeduldig bemerkbar zu machen. „Madame Meier, würden Sie nicht einmal nach der Garderobe sehen –?“ wandte sich der Director wie im Kampfe zwischen Nothwendigkeit und Bedenken zurück; Mathildens Erscheinen in der Coulisse aber schnitt seine ferneren Worte ab, und Reichardt meinte sein Herz vor der wunderbaren Hoheit der Gestalt, welche sich ihm zeigte, erbeben zu fühlen. Reiche antike Gewänder fielen von der Schulter, den Arm völlig frei lassend, in künstlerischer Drapirung herab, und nur der glänzende Gürtel deutete die Feinheit der Formen an; ein blitzender Reif schien den lose aufgebundenen, tiefschwarzen Haarreichthum zu halten, unter welchem ein Gesicht, frei von Schminke, wie aus weißem Marmor gemeißelt, erschien. So ernst, als lebe sie bereits in dem Geiste ihrer Rolle, trat sie in die Mitte der Bühne und sagte einfach: „Wir können beginnen!“

Des Directors Blick hatte ihre Bewegung verfolgt, und eine Art Verzückung schien in seinem Gesichte aufzusteigen, ihn für einige Secunden alles Uebrige um sich her vergessen machend. „O,“ sagte er endlich mit einem tiefen Athemzuge, der ihn wieder in das gewöhnliche Leben zurückzubringen schien, „der Geschmack, ja der Geschmack muß da sein!“ und damit gab er durch leises Klatschen das Zeichen zur Gruppirung. Das erste Klingelzeichen erfolgte, und vom Piano erklang eine rauschende Einleitung, mit dem zweiten Zeichen flog der Vorhang auf, und ein Chor, so kräftig, als es nur die geringe Zahl der Darsteller erlaubte, begann.

Reichardt hörte italienische Musik, die er nicht kannte, und italienische Worte, die er nicht verstand – er war sein Lebtag kein Verehrer der leichten italienischen Richtung gewesen – aber sein Auge ruhte bewundernd auf dem Bilde, welches die Gruppe vor seinen Augen bot. Mathilde, hoch aufgerichtet, schien die Erfüllung eines ihrer Befehle zu erwarten; vor ihr, demüthig gebeugt, das Gesicht mit dem vollsten Ausdruck von Schmerz und Bitte zu ihr erhoben, stand der Bariton und begann seine Stimme mit der des umher gruppirten Chors zu mischen. Es war wirklich ein Künstler, dieser Meier, seine Töne, so süß und eindringlich, schienen die Klagen einer zurückgestoßenen Liebe zu sein, in seinen Mienen wie seinen Bewegungen lag eine Tiefe der Empfindung, wie sie die Natur selbst kaum wahrer hätte schaffen können; in Mathildens Gesichtsausdruck aber schien mit jeder seiner Noten nur ein größerer Widerwille hervorzutreten, und jetzt, mit einer majestätischen Handbewegung Alles um sich her zurückweisend, begann sie eine jener großen italienischen Cavatinen, deren Töne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_353.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)