Seite:Die Gartenlaube (1861) 348.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

eiskalt über den Rücken lief und ihn der größte Schauder ergriff, als das ihm vielfach überlegene feindliche Militär, welches so tapfer gekämpft hatte, die Waffen niederlegte und um Pardon schrie. „Die Thränen der Rührung traten mir in die Augen, als auf meinen Ruf: „Haltet ein, meine Landsleute! wir geben Pardon; wir wollen Christen sein und sind wehrlosen Feinden Gnade schuldig!“ – meine bei der Erinnerung an die von den Baiern verübten Gräuelthaten zur Wuth gereizten Schützen die Stutzen von der Wange senkten und ausriefen: „Ja, Oppacher, wir wollen Christen sein!“ und sie, anstatt sie für ihre Frevel zu tödten, verschonten und gefangen nahmen.“

Als Wintersteller von weitem das Getöse des Kampfes vernahm, gürtete er sich zum Waffentanze. Der Feind hatte als Schlüssel der ganzen Stellung den Friedhof von Unken verschanzt und sich in die nahen Häuser geworfen, wo er den Tyrolern einen ernstlichen Widerstand bereitete. Da befahl Wintersteller dem Hauptmann Reischer, mit 600 Schützen Sturm zu laufen. Sechs Mal nahm er den Friedhof, und sechs Mal vertrieben ihn die Baiern wieder, und er mußte daher, um sich zu behaupten, neue Hülfe erwarten. So wogte der Kampf hin und her. Da stellte der Feind jenseits der Brücke eine Compagnie und zwei Kanonen auf, wodurch die Tyroler, von einander abgeschnitten, in eine gefährliche Lage gebracht worden wären. Kaum hatte es Wintersteller bemerkt, so rief er mit lauter Stimme: „Wer Schneid hat, freiwillig vor!“ Da stürmten, eh’ noch die Geschütze abgeprotzt waren, drei Bauerburschen und der Schullehrer Hölzl mit umgekehrten Gewehren über die Brücke, ihnen nach Empl mit einer ganzen Compagnie. Der Anlauf war so rasch und heftig, daß die Baiern nicht mehr Zeit zur Flucht fanden und sich ergeben mußten. Hölzl erbeutete das Pferd des Officiers. Nach dem Treffen sagte ein ihm unbekannter Schütze: „Du hast ein schönes Roß erwischt, laß mich aufsitzen, ich werde sehen, wie es zum Reiten geht.“ Hölzl hielt gutmüthig das Pferd am Zaume und – hatte von seiner Beute nichts als das Nachsehen, denn „Roß und Reiter sah man niemals wieder.“ Auf anderen Punkten dauerte der Kampf mit großer Heftigkeit fort, denn die Baiern wollten nicht nachlassen, weil man ihnen gesagt hatte, daß die Tyroler jeden Gefangenen zu Tode marterten. Da schrie Wintersteller mit lauter Stimme: „Vorwärts, vorwärts! Sturmlaufen! sonst können wir nicht siegen!“ Nun wälzten sich Schützenmassen und Landsturm mit der unwiderstehlichen Gewalt einer Lawine von den Höhen herab, und schnell war die Stellung des Feindes erobert. Etwa 200 Baiern wollten sich durch die Flucht retten und liefen der Saale zu. Dort versuchten sie den Fluß zu übersetzen, indem sie einander die Hände reichend eine Kette schlossen. Allein die nachlaufenden Schützen sprengten diese, indem sie einzelne Glieder herausschossen, so daß Viele ertranken. Dabei zeichneten sich vor Allen Empl und der Teufelsveit aus. Der Feind hatte außerordentlichen Verlust erlitten, das bairische Leibregiment war den Stutzenkugeln fast vollständig erlegen. Da kein Hinderniß mehr entgegenstand, so rückten die Tyroler in Baiern ein und kamen noch an diesem Tage bis zu den Höhen, von denen Schloß Karlsburg die Stadt Reichenhall beherrscht. Obgleich in dem Lande eines Feindes, welcher Tyrol unterdrückte und überall die Spuren der Gräuel zurückgelassen hatte, untersagte Wintersteller jede Plünderung auf das Strengste und zwang einige Schützen, zu ihrem großen Verdrusse, das geraubte Gut zu ersetzen. Bis zum 17. October hielt er sich in seinen Stellungen an der Grenze; da erlitt Speckbacher bei Melleck eine schwere Niederlage. Wintersteller konnte sich nur durch einen schleunigen Rückzug, den er mit großer Klugheit ausführte, vor Tod und Gefangenschaft retten. Dabei mußte er seine zwei Kanonen zurücklassen; bei der Nacht gelang es Empl, den Feind durch List zu täuschen und sie in einem Heufuder fortzuschmuggeln. Die Baiern rückten indeß unaufhaltsam durch das Innthal vor und erstickten die letzten Funken des Aufstandes am 2. November auf dem Berg Isel, wo die Tyroler bisher stets siegreich gewesen waren. Einige Hitzköpfe wollten auch jetzt noch den Kampf fortsetzen, und es gelang ihnen, obschon die Botschaft von dem Friedensschlusse, welcher Tyrol neuerdings an Baiern auslieferte, allgemein verbreitet wurde, hie und da ein Aufflackern der Flamme zu bewirken; der bedachtsame und kluge Wintersteller hielt jedoch die Sache für beendet und ließ sich weder durch Bitten noch durch Drohungen bewegen, noch einmal zum Stutzen zu greifen. Die Leute hatten felsenfest auf Oesterreich vertraut, sie wußten nichts von den Kniffen einer unwürdigen Diplomatie, Oppacher schrieb an Wintersteller: „Mir scheint, es kann nicht möglich sein, daß mit dem Kaiser Franz der Frieden abgeschlossen worden ist.“ Während diese treuen Herzen bluteten oder in Elend brachen, bereitete Kaiser Franz die Hochzeit seiner Tochter mit dem verhaßten Corsen vor.

Auch Wintersteller und Oppacher wurden vor das Kriegsgericht geladen. Mit ruhigem Gewissen und ohne Furcht erschienen sie vor Drouet, welcher schon früher mit dem Hängen gedroht hatte. Die Baiern selbst mußten ihnen bezeugen, daß sie stets menschlich gegen die Gefangenen gewesen seien und nie von ihren Siegen einen Mißbrauch gemacht hätten. Sie wurden frei gelassen. Besonders lebhaften Antheil nahm der Kronprinz Ludwig, welcher sich später als Förderer deutscher Kunst einen unvergeßlichen Namen erwarb, an ihnen; er sprach lange und freundlich mit Wintersteller und ließ sogar auf seine Vorbitte einige gefangene Bauern aus ihrer schweren Haft befreien.

Wintersteller kehrte nach Kirchdorf zurück. Seine Felder waren verwüstet, sein Haus lag in Trümmern, der Schaden, den er erlitten, belief sich auf 49,000 fl., sodaß er in große Dürftigkeit gerieth. Zur Seite ein braves, edles Weib, ertrug er sein Elend mit männlichem Schweigen, obwohl er die Gnadenketten, welche seine Ahnen von den Kaisern als Auszeichnung erhalten hatten, verkaufen mußte. Treu dem Lande wollte er nicht auswandern, wie andere Führer der Tyroler, welche ihr Glück in Wien suchten; er war nicht der Mann in den Vorzimmern zu lungern und, da ihm die Baiern keinen Paß ausgestellt hätten, viel zu stolz, sich heimlich davon zu schleichen.

Endlich schickte ihm der Kaiser 7000 fl. Er suchte damit Haus und Scheune neu aufzubauen, als jedoch die Baiern merkten, daß er sich erhole, suchten sie ihn mit schweren Processen heim, und er konnte kaum wieder emporkommen. Das Unglück läuterte ihn wie siebenfach Gold; wie vorher auf dem Schlachtfeld, leuchtete er jetzt in Noth und Leiden als frommer Mann hervor. Als er vernommen hatte, daß sein Waffenbruder Hofer verhaftet worden, sandte er trotz seiner Mittellosigkeit einen eigenen Boten an den Kaiser Franz, damit dieser Alles für die Rettung aufbiete, und erhielt wenigstens tröstliche Worte zurück. Die Sache hatte keine Eile. Wie man es den Tyrolern überlassen hatte, allein zu siegen, so kam man auch jetzt zu spät, und Hofer fiel auf den Wällen von Mantua. Als diese Festung wieder kaiserlich geworden, kümmerte man sich nicht einmal um seine Leiche, bis diese endlich einige Tyrolerjäger, keineswegs zur Freude des Kaisers, der nun ein Denkmal setzen lassen mußte, heimlich ausgruben und zu Innsbruck in heimathliche Erde senkten. Man hörte später zu Wien nicht mehr gern vom Jahr 1809 reden, denn es war ja möglich, daß die Tyroler, welche die Waffen so kühn gegen den König von Baiern getragen, sie einmal gegen den Kaiser kehren möchten, der ihnen zu Nutz und Frommen des Absolutismus ihre alten Rechte nicht mehr zurückgab. Als Wintersteller die Botschaft vom Tode Hofer’s vernahm, weinte er bitterlich und rief aus: „Den unschuldigsten, christlichsten und redlichsten Menschen, der so vielen tausend gefangenen Feinden das Leben rettete und sich keiner Grausamkeit schuldig machte, haben sie gemordet; die Strafe des Himmels kann und wird dafür nicht ausbleiben!“

Als im Jahre 1813 Deutschland sich erhob, so ließ die bairische Regierung Wintersteller und andere Tyroler ergreifen und nach Ingolstadt führen, wo man sie in Eisen schlug. Die Schergen höhnten ihn und drohten ihm mit dem Tode, sein treues Weib, welches zu München um seine Freiheit bat, wurde zurückgewiesen. Erst nach dem Vertrage von Ried ließ man ihn frei. Tyrol wurde wieder kaiserlich. Nun fragt es sich: wie wurde Wintersteller, der für seinen Herrn Haus und Hof geopfert hatte, von diesem belohnt? Er erhielt vom Landeschef eine Uniform geschenkt, auf welche man ihm die goldene Medaille heftete. Er nahm diese mit Dank an; denn erst jetzt, sagte er, fühle er sich seinen Ahnen, deren jeder die gleiche Auszeichnung empfangen, gleich. Sein Hauswesen ging aber in Folge der Kriegsschäden und großen Theuerung zurück; er fühlte zu edel, seine Noth auf den Markt zu tragen, und mußte lange in sehr beschränkten Umständen leben, bis er eine Pension erhielt. Man rathe, wie viel? – 400 fl., mit Worten vierhundert Gulden, es ist um keine Null zu wenig! Er starb 1832, und das ärztliche Gutachten sagt: „er sei in Folge seiner Unglücksfälle seit den letzten 12 Jahren physisch wie psychisch auf einen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_348.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)