Seite:Die Gartenlaube (1861) 334.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Weiteres das Hemd aus, riß es in Fetzen und pflasterte damit seine Kugeln. Als er es aufgebraucht, zog er dem neben ihm stehenden kaiserlichen Officier das Hemd aus der Hose und schnitt ohne Umstände ein Stück herab. Die Baiern stürmten noch zweimal, wurden jedoch wieder mit großem Verluste zurückgeworfen. Da machte sich der Jäger Stefl von Reichenhall anheischig, dem General Wrede einen Weg, welcher über die Loferer Alm in den Rücken der Tyroler führte, zu zeigen. Der General brach mit Militär auf, überzeugte sich jedoch bald, daß für Truppen aus dem Flachlande im tiefen Schnee des Hochgebirges nicht fortzukommen sei, und befahl umzukehren. Er zog von der erklommenen Höhe den Vortheil, daß er die Gegend ganz überblicken konnte, wobei er bemerkte, wie schwach der Paß besetzt sei. Auf dem Wege von Waidring nahte nirgends Unterstützung. Da faßte er den Plan, rasch Colonne auf Colonne in den Paß zu werfen und die Tyroler, welche die Seiten nur schwach decken konnten, durch den Stoß der Uebermacht zurückzudrängen. Der Oberst Graf Berchen trat an die Spitze der stürmenden Infanterie, Lieutenant Weigard erstieg mit einigen Soldaten eine Anhöhe rechts vom Thurm, sie beobachteten hier ein unbesetztes Fenster, kletterten hinauf und öffneten von innen das Thor. Die schnellen Schützen schlugen sich im wüthenden Handgemenge durch, erreichten die Berge und entrannen; die österreichischen Soldaten, welche ihnen nicht folgen konnten, wurden gefangen. Der Feind hatte den Besitz des Passes mit einem Verlust von nahezu 2000 Mann erkauft.

Nach einer Reihe von Jahren traf Oppacher mit Wrede auf dem Markt zu Mondsee zusammen, und es entspann sich ein Gespräch, welches der alte Held gern erzählte und Peternader aufzeichnete. Es ist so charakteristisch für den Mann und die Verhältnisse, daß wir es hier wiedergeben.

„Woher seid Ihr?“ fragte Wrede Oppacher.

„Von Jochberg,“ antwortete Oppacher.

„Lebt der dortige Wirth noch?“

„Der bin ich selbst.“

„Also wart Ihr es, der mich 1809 am Passe Strub um so viel Leute brachte?“

„Damals waren halt schwere Zeiten; wir thaten, was wir konnten.“

„Hätte ich gewußt, daß der Paß so gering besetzt war, schnell hätte ich ihn forcirt. Wie konntet Ihr es wagen, mit so wenig Mannschaft solchen Widerstand zu leisten?“

„Wir hatten gute Schützen, hofften von Minute zu Minute auf Verstärkung, die aber ausblieb, und so mußten wir den Paß verlassen, weil wir schon Mangel an Munition hatten und durch Ihre Geschicklichkeit in der Art umgangen waren, daß ich mich nur über die höchsten Gebirge retten konnte.“

„Hätte ich Euch und den Hauptmann von Kitzbüchl damals bekommen, ihr wäret des Todes gewesen.“

„Auf den Tod waren wir schon gefaßt, wir vertrauten auf Gott.“

„Ich wollte schon von St. Johann aus eine Abtheilung Cavallerie nach Kitzbüchl und Jochberg schicken, Eure Auslieferung verlangen und, wenn sie nicht erfolgen sollte, beide Orte plündern und vernichten lassen. Allein der Dechant von St. Johann schilderte Euch so vortheilhaft und bat so rührend um Gnade, daß ich meine Rache aufgab. Später erfuhr ich, daß der Dechant von Euch die Wahrheit gesprochen hatte, daß Ihr mit den Gefangenen gut umgegangen seid und die Verwundeten wie Freunde verpflegt habt. Darum ließ ich meine Rache ganz fahren, sonst wäre es Euch nicht besser gegangen als den Kirchdörfern, wo der tollkühne Wintersteller durch seinen Widerstand das Unglück des Ortes herbeiführte. Jetzt ist Alles vorbei und vergessen, jetzt sehe ich auch ganz anders, als ich 1809 gesehen habe. Ueberhaupt hatte ich die Tyroler immer lieb und sah sie beim baierischen Militär gerne, denn es waren immer so muthvolle und brave Leute.“

Schließlich lud Wrede den Oppacher ein, wenn er wieder nach Mondsee komme, ihn zu besuchen und bei ihm zu essen.

(Schluß folgt.)




Der Zwölfte.

Kleine Bilder aus großer Zeit.
Von Georg Hesekiel.
(Fortsetzung.)

„Doch reden wir von dem Bilde der hübschen Frau, mein Herr,“ fuhr Wedell voll männlicher Fassung fort. „Das Bild erinnerte mich an meine Heimath, mein Vaterland, an schöne Tage, welche ich in Berlin verlebt habe. Dort wohnte ich bei der Großtante eines meiner lieben Cameraden, die Ihr Kaiser jüngst zu Wesel füsiliren ließ; die alte Dame war die Wittwe eines reichen Seidenhändlers, bewohnte ein schönes Haus in der Friedrichsstraße, und in ihrem Wohnzimmer hing ein Bild in ovalem Goldrahmen, welches entweder das Original Ihres Bildes ist, mein Herr, oder eine Copie desselben, jedenfalls stellt es ganz dieselbe Dame dar, ich kann mich darüber nicht täuschen! Jetzt werden Sie begreifen, warum der Galeerensträfling auf das offene Fenster Ihres Hauses schaute und sehnsüchtig nach dem Bilde blickte, das ihn an vergangene schöne Tage erinnerte!“

„Dürfen Sie mir den Namen der Wittwe in Berlin sagen, welcher jenes Bild gehörte, mein Herr?“ fragte der alte Employé, der mit jedem Wort, welches er aus Wedell’s Munde vernahm, artiger und höflicher wurde.

„Ich habe keinen Grund, ein Geheimniß aus dem Namen der guten Madame Gabain zu machen!“ erwiderte Wedell.

„Gabain?“ rief de Lachétardie sichtlich auf’s Höchste überrascht, „Gabain, höre ich recht, Gabain? Wissen Sie, mein Herr, daß meine Urgroßmutter eine Gabain war, die ganz allein von ihrer ganzen Familie im Lande geblieben, während alle übrigen Glieder derselben nach Holland und Brandenburg auswanderten einige Jahre nach der Revocation des Nanteser Edictes. Die Gabain waren Hugenotten, mein Herr; wir de Lachétardie sind auch von der Religion; sehen Sie, mein Herr, Sie haben in Berlin weder die Copie noch das Original meines Bildes gesehen; das, was Sie zu Berlin sahen, ist sicherlich das Portrait meiner eigenen Urgroßmutter. Das Bild aber, das in meinem Hause hängt, ist das Portrait meiner Urgroßtante, der Mademoiselle Esther Marie Gabain, welche sich mit ihren Eltern und Verwandten nach Brandenburg flüchtete, aber ihrer an meinen Urgroßvater, den Commandeur Franz Anton Nogaret de Lachétardie, verheiratheten Schwester ihr Bild hier ließ, während sie das Bild meiner Großmutter mit in die Verbannung nahm. Also giebt es noch Gabain’s in Preußen? hier habe ich lange den Namen nicht mehr vernommen – wissen Sie nichts weiter von der Familie, mein Herr?“

„Wenig, mein Herr,“ erwiderte Wedell, „außer der alten trefflichen Dame, die, wie ich wohl weiß, zu der sogenannten französischen Colonie gehört, kannte ich nur meinen theuern Waffenbruder, den Lieutenant von Gabain, der unter den Elfen zu Wesel war, doch erinnere ich mich, daß in Berlin noch eine berühmte Seidenhandlung unter dem Namen Gabain besteht!“

Nur wenige Worte wechselte der Employé noch mit den Preußen, oder vielmehr mit Wedell, denn der tapfere Unterofficier Friedrich Kühns, ehemals beim leichten Bataillon von Schill, bediente sich in allen Fällen des preußischen Säbels besser, als der französischen Sprache. Die beiden Schillianer wurden zurückgeführt, und de Lachétardie blieb allein mit dem Arsenalofficier.

Von diesem Tage an wurden Wedell und sein Gefährte von allen Aufsehern mit auffallender Nachsicht behandelt, sie erhielten von unbekannter Hand bessere und reichlichere Nahrung, auch für ihre Bekleidung wurde gesorgt. Jetzt waren sie stets das letzte Paar bei der Rückkehr vom Bassin, und niemals verfehlten sie von nun ab, an dem alterthümlichen Eckhause stehen zu bleiben. Wedell wechselte freundliche Worte mit Herrn de Lachétardie und Madame Noirot; der Unterofficier Kühns plauderte mit den kleinen Damen Florine und Dorine, genoß Butterbrödchen und Bonbons in fabelhafter Anzahl und vervollkommnete sich, wie er selbstgefällig bemerkte, täglich mehr in der französischen Sprache.

Der alte Employé aber that mehr für den hartgeprüften, jungen Mann, er hatte sich mit den Gabain’s zu Berlin in Verbindung gesetzt, durch sie hatte er der Familie von Wedell Nachricht über Heinrich Leopold gegeben, und von da ab fehlte es nicht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_334.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)