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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Als ich in der Stadt anlangte, waren alle schon in das Schloß voraus, wohin ich ihnen ohne Zeitverlust folgte. Durch ein prächtiges, im saracenischen Style erbautes Thor eingetreten, erinnerte Alles an die prachtvolle Bauart der Perser. Allenthalben reiche und erhabene Arabesken mit dem Löwen, den man hier wie in anderen Bauwerken der benachbarten vormaligen Prachtstädte antrifft. Schon die Gebäude im Schloßhofe waren schön, allenthalben überraschte mich die wahrhaft kühne Höhe der Bogen, sowie die Vorrichtungen, die man angewendet hatte, um den in den Gegenden einer südlicheren Sonne so nothwendigen Schatten hervorzubringen. Und doch war jede kleinste Einzelheit so schmählich zertrümmert, obwohl von einer Kunst und Pietät gearbeitet, die alle Anerkennung und Bewunderung verdiente. Weder in Moskau noch in Constantinopel habe ich etwas so Schönes wiedergefunden von Reichthum und Wechsel der phantasievollsten Ornamentik. Und was sind die Nachbildungen, die unsere geistlosen Nabobs meist für schweres Geld in ihren viereckigen Stadthäusern angeblich im Charakter dieser Alhambren aufführen lassen, gegen diese Originale! Nicht ihre Schatten! Man hatte fast Alles, was irgendwie von unersetzbarem Werthe geschienen, zerstört und teilweise weggeschleppt. Nur der herrliche Anblick, den das mit seinen grandiosen Formen wunderbare Bauwerk bot, hatte nicht vernichtet werden können. Selbst während ich in den unteren Schloßräumen umherpilgerte und Einzelheiten zeichnete, waren einige lumpige Türken und Armenier eben noch beschäftigt, die zierlich und reich gearbeiteten Eisengitter, welche bis auf wenige Cabinete in allen Räumen die Stelle von Glasfenstern vertraten, mit scharfen Instrumenten loszubrechen. Das Goldgetäfel und die kleinen Spiegel, die in drei-, vier- und achteckiger Gestalt verschiedentlich eingefügt gewesen waren, existirten nur noch in einigen Winkeln, und, was das Schmachvollste, den Orient vollständig Kennzeichnende war: das Geraubte hatte für die Räuber von kaum nennenswertem Gewinn sein können. Und wie viel Zeit, Mühe und wirkliche Kunst mußte es gekostet haben, alle diese Prachtbordüren und Ornanente der mannigfachsten Art in den zahlreichen Sälen, Cabrneten und Corridoren herzustellen!

Um in das Innere zu gelangen, mußten wir über eine wahre Barrikade von Trümmern klimmen, mit denen Zufall oder Absicht die weiteren Zugänge versperrt hatte. Dabei stürzte mir ein über vier Kubikfuß großer Stein entgegen und drohte mich zu zerschmettern, als ich ihn noch glücklich mit der Hand aufhielt. Ueberrascht, daß dies bei der Höhe, von der er herunterstürzte, möglich sein konnte, untersuchte ich das Trümmerstück genauer und fand, daß es aus den Ornamenten der oberen Gesimse stammte und aus einer Felsart leichter als Tuffstein bestand. Bei späterer näherer Prüfung ermittelte ich, daß fast das ganze Schloß aus diesem vorzüglichen, bald gelben, bald rothen Baumateriale errichtet war, das außer seiner Leichtigkeit noch die zwei sehr schätzbaren Eigenschaften hat, nicht an der Luft zu verwittern und doch so weich zu sein, daß es mit bloßen Messern zu den feinsten Bildwerken verarbeitet werden kann.

Mein Weg führte mich durch tiefe, halbverschüttete Mauergange, über elegant gewesene Treppen, in Kellerräume und dann wieder in die zierlichsten Boudoirs, in denen mich besonders die unbeschreiblich schöne Aussicht aus den Fensteröffnungen reizte. Ueberall fand ich Dinge, werthvoll genug, um wenigstens skizzirt zu werden. Um aber noch eine möglichst freie Uebersicht über das Ganze zu erhalten, stieg ich mit einiger Lebensgefahr auf eine Plattform, von der aus ich die Gegend zeichnete. Die Leser dieser Blätter müssen eben ihre Phantasie zu Hülfe nehmen, um eine Vorstellung dessen zu erhalten, was ich das Glück hatte mit leiblichen Augen zu sehen.

Es war ein herrlicher Herbsttag, die Luft war wie der klarste Aether, der Himmel tiefblau, und so konnte ich mich getrost dem rein künstlerischen Genusse des unvergleichlichen Blickes in die braune Steppenfläche hingeben. Vor mir lag Bajazid mit seinen kühngeschwungenen Berglinien, zur Linken erhob sich in meilenweiter Entfernung ein schroffes Felsengebirge, von der Rechten her grüßten mich der große und kleine Ararat, von denen aus sich leichtere Höhenzüge bis nach Bajazid hinzuziehen schienen. Aber nur die beiden Ararat reichten bis in die reine Höhe des ewigen Schnees, der mir niemals schimmernder und blendender erschienen war, als heute. Wahrscheinlich war die Beleuchtung Ursache, daß die untere Hälfte ähnlich braun nur zarter gefärbt als die Steppe erschien. Ein duftiges Blau floß in den Bergschluchten nieder und verzog sich in die tieferen Felsausbuchtungen unten in der Steppe. Die Großartigkeit der Natur dieser herrlichen Gegend, deren Genusse ich mich so ungestört hingeben konnte, die Majestät der Berge, die Tiefe und Stille der braunen Fläche, Alles, wohin ich den Blick schweifen ließ, wirkte wie ein magischer Zauber auf mein Gemüth. Welcher historische Schauplatz lag vor meinen Blicken ausgebreitet, und jetzt inmitten dieser großen Vergangenheit, dieser reichsten Staffage – der Mensch in seinem Elende! Die Stadt Bajazid wurde im Laufe der Zeit von russischen, persischen und türkischen Truppen verwüstet, und ihren Feenpalast, einst das Residenzschloß der erblichen Pascha’s den gleichnamigen Paschaliks, hat der Vandalismus zerstört. Zwanzig Jahre hatte sein Bau gewährt, die Steinmetzen waren aus Wan und die Baumeister und Maler aus Ispahan gekommen – fünfzig Jahre genügten, das Bauwerk in Trümmer zu legen.




Aus der Mappe eines Heimgekehrten.

Von H. Beta.[1]
Nr. 1.

Es war ein schöner, schmerzlicher Abend, der letzte in meinem Hause zu London. Alle Habe, die es mitzunehmen galt, stand schon in mächtigen Kisten gepackt auf dem engen Flure, so daß sich nur dünne Beine dazwischen hindurchdrängen konnten. Meubles, Küchengeräthe und tausenderlei sonst gleichgültige Dinge, für den Hammer des Auctionators zurecht gerückt und numerirt, gewannen plötzlich Werth und Physiognomieen, mit denen sie uns in stummem Schmerze über die bevorstehende Trennung von allen Seiten und Winkeln her anzustarren schienen. Wir hatten sie sauer erworben. Sie waren uns Jahre lang treue, anspruchslose, nützliche, zum Theil zierliche Genien der Häuslichkeit gewesen. Nun standen sie da, verurtheilt, an den Meistbietenden verkauft und unter allerlei fremde Herrschaften vertheilt, zerstreut zu werden, um sich, um uns nie wieder zu sehen. Frau und Kinder brachten noch allerhand Gnadengesuche für verurtheilte Günstlinge ein, mein Töchterchen sogar für die Hauskatze, aber es half nichts. Haus und Heimath in der Fremde waren einmal abgebrochen, um den zur Fremde gewordenen vaterländischen Boden wieder aufzusuchen. „Niemand wandelt ungestraft unter Palmen,“ am wenigsten unter einem englischen Himmel, am wenigsten in London. Das verhaßte Ungeheuer, die Sirene, das „Herz der Welt“ ohne Herz, die unselige dreimillionenfachbeseelte dichteste Verdichtung aller Herrlichkeit

  1. Der Verfasser, allen unsern Lesern als einer der treuesten Mitarbeiter der Gartenlaube seit ihrem Bestehen bekannt, ist in Folge der preußischen Amnestie nach langen Jahren Verbannung nach Deutschland zurückgekehrt. Eilf Jahre lang lag das karge Brod des Flüchtlings auf seinem Tische. Wie er trotz alledem sein Vaterland den englischen Anmaßungen gegenüber in der kräftigsten Weise vertreten, wie er oft den herrschenden Ansichten entgegen deutsches Wesen und deutsche Cultur der englischen Ruhmrederei vis-à-vis in der glänzendsten Weise gerechtfertigt – das wird man erst später recht zu würdigen verstehen, wenn Deutschland selbstständig geworden und sich nicht mehr zum Affen des Auslandes erniedrigt! Ich danke es ihm nachträglich noch herzlich. England ist in der deutschen Presse, namentlich von der Gothaner lange genug geschmeichelt worden, ohne daß damit etwas Anderes als ein erhöhter Uebermuth da drüben über dem Canal erreicht worden wäre. Nur einige wenige Stimmen, darunter die Beta’sche als eine der kräftigsten, riefen den Deutschen stets ihre vielen Vorzüge ins Gedächtniß und mahnten daran auf eigenen Füßen zu stehen, die der Unterstützung nicht bedürfen. Jetzt, wo sich das deutsche Nationalgefühl anfängt etwas zu heben, sehen Viele die Wahrheit dieser Mahnung ein und treten mit Energie und Selbstbewußtsein gegen die höhnischen Auslassungen der englischen Presse auf. Den heimgekehrten Flüchtling aber heiße ich und mit mir Viele im schönen Vaterlande, das er trotz alledem und alledem so sehr geliebt, mit ganzem Herzen willkommen!
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_326.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2018)