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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

er wilde Rufe und das Geräusch der ihm folgenden Tritte hinter sich, und diese letzteren in einer Regelmäßigkeit, als sei es auf einen Dauerlauf abgesehen, dem er unterliegen mußte, sobald seine Kräfte zu erlahmen begannen. Einmal nur hatte er es gewagt zurückzusehen und kaum zwanzig Schritte hinter sich, allen seinen Verfolgern voraus, eine Gestalt erblickt, die es sich zur Ehrensache gemacht zu haben schien, ihn zu überholen. Mit der Anstrengung der Todesangst hatte er seinen Lauf beschleunigt. Er sah endlich in der matt erhellten Straße, die trotz des nahenden Lärms wie ausgestorben war, eine dunkle enge Seitengasse und bog hinein, in der Hoffnung ein augenblickliches Versteck zu finden und seine Verfolger irre zu leiten – aber ihm blieb keine Zeit zum Suchen, schon schlug der Fackelschein in die Oeffnung der Gasse, während ein Theil des wilden Volkes seinem Geschrei nach die frühere Richtung weiter verfolgte, jedenfalls um den Flüchtigen an einer andern Stelle abzuschneiden. Reichardt sah eine neue Ecke vor sich und bog um diese, sein Weg war uneben, er fühlte es nicht – immer nur klang das seltsam wilde Geschrei der Nachsetzenden in seine Ohren, leuchtete es wie Fackelschein vor seinen Augen auf, ihn zu immer erneuter Fluchtanstrengung antreibend. In seinem Kopfe begann es endlich zu brausen und zu klingen, er wußte, daß er jetzt nicht mehr fern davon war, besinnungslos niederzustürzen, aber er jagte weiter, er durfte nicht anhalten, so lange ihn noch ein Fuß trug. Da tauchte ein hohes, dunkles Gebäude, umgeben von Büschen, vor seinen Augen auf. Eine weiße deutlich erkennbare Einzäunung zog sich darum, und wie ein Blitz schoß es durch den Kopf des Verfolgten: das ist Burton’s Haus! seine Muskeln wie mit neuem Leben durchströmend. Hier, wenn irgendwo, mußte ihm Schutz werden. Er hatte keine Ahnung, welcher Seite des Hauses er zueilte, oder wo sich ein Eingang zu der hohen Einzäunung befand. Er faßte den obern Rand derselben mit beiden Händen und schnellte sich empor – aber seine Kraft brach unter der Anstrengung – er fiel wieder zurück.

Da, in einem Aufwallen von Verzweiflung, machte er einen zweiten Versuch, und mehr stürzend als niedergleitend gelangte er an der entgegengesetzten Seite auf den Boden, wie ein getroffenes Wild in sich zusammenbrechend. In der nächsten Secunde indessen hatte er, die Hand auf die wogende Brust gedrückt, sich wieder erhoben und mit Hast versuchte er sich zu orientiren; er sah den weißen Balkon mit den beiden am Hause herablaufenden Treppen, sah die Fenster von Harriet’s Zimmer daneben – sie waren dunkel; ehe er jedoch dazu kam, sich einen Gedanken über seine Beobachtungen zu machen, klang ein keuchender Ruf aus geringer Entfernung in seine Ohren, wie ein Hammerschlag auf seine überreizten Nerven wirkend. Er fühlte eine plötzliche Schwäche über sich kommen und seine Augen sich verdunkeln; aber mächtiger noch war der Gedanke, daß er verloren sei, wenn er jetzt der Ermüdung erliege. Seine letzten Kräfte zusammen fassend griff er in den Kies des Wegs, warf eine Handvoll gegen Harriet’ s Fenster und stürzte die Treppe nach dem Balkon hinauf, sich von dort mit schwindenden Sinnen nach dem offenen Innern des Hauses wendend. Er sah ein Licht vor sich aufblitzen, fühlte, wie die Beine unter ihm zu brechen drohten – dann wußte er nichts mehr von sich selbst, bis es ihm plötzlich wurde, als lege sich ein Etwas weich und heiß auf seinen Mund, Ströme warmen Lebens in seine Adern ergießend, als werde er eingehüllt in duftige Tücher, die, ein Gefühl süßen Wohlbehagens hervorrufend, sich dichter und dichter um ihn schlangen. „Max, o Max, sieh auf, Du bist ja sicher!“ klang es leise, wie aus weiter Ferne in seine Ohren. Da war es, als löse sich ein Bann von ihm – er sah wieder, und vor sich erblickte er wie in einem Nebel ein Paar große, ängstliche Augen; der Nebel wich, und Harriet’s bleiches, erregtes Gesicht sah ihm entgegen. Unwillkürlich flog sein Blick auf die nächsten Umgebungen; er traf auf reiche Fußteppiche, einen glänzenden Toilettentisch, auf ein von Vorhängen halb verhülltes Bett – Alles nur matt von einer einzigen Kerze erleuchtet; er fand sich selbst in einem weichen Divan lehnend und hob die Augen zu ihr, in deren Schlafzimmer er augenscheinlich gerathen. Kaum aber schien sie in seinem Blicke die zurückgekehrte Besinnung zu erkennen, als ihre Arme sich um seinen Hals warfen, und ihr Mund sich in wilden Küssen an den seinen hing. Heiße Gluth durchschoß den Erwachenden; noch kaum recht seiner bewußt, umschlang er ihren Leib und zog sie nieder zu sich; er fühlte ihre weichen, vollen Formen, die nur ein einziges dünnes Gewand zu verhüllen schien; eine lange Minute hielt sie, dicht an ihn geschmiegt, ihn fest umschlossen; dann riß sie sich plötzlich aus seinen Armen, drückte seine beiden Hände zurück und kniete da, wo sein Kopf lehnte, nieder, in seine Augen blickend, als wolle sie sich hinein versenken.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüthen.


Wege unter den Straßen. Wir reden hier nicht von der Eisenbahn, die in diesem Augenblick in London unter der Erde geführt wird, um den stets zunehmenden Verkehr auf den Straßen etwas zu vertheilen, sondern von unterirdischen Wegen zu andern Zwecken, die durch, vielmehr unter allen Straßen Londons fortlaufen sollen, wenn nämlich der Vorschlag durchgeht. Der Versuch ist bereits gemacht, indem solch ein unterirdischer Weg von Cranburn Street nach Kingsstreet (Coventgarden) in einer Länge von 374 Fuß geführt ist. – Wer lange in London gewesen ist, dem muß es nothwendig aufgefallen sein, wie häufig das Straßenpflaster an einzelnen Stellen aufgerissen wird. Dadurch wird nicht nur das Pflaster uneben, sondern auch die Communication gehindert und gefährlich, denn die Straßen werden deshalb keineswegs abgesperrt, sondern nur verengt. Der Grund dieser sehr häufigen Störungen sind Unordnungen, welche entweder an der Wasserleitung, den Gasröhren, oder den Cloaken vorkommen, Um diesem Unfug ein Ende zu machen, schlägt man – wie bereits in der erwähnten Straße ausgeführt gewölbte, unterirdische Gänge vor, die zwölf Fuß breit und sechs Fuß sechs Zoll hoch sein sollen. In diesem Gange sollen nun die Wasser- und Gasröhren eingerichtet und genügender Raum gelassen werden, um Ausbesserungen oder Veränderungen vornehmen zu können. Unter dem Boden dieses Ganges, gerade wo er am höchsten ist, ist eine weite, eiförmige Röhre für die Cloake, zu welcher man durch Oeffnungen gelangt, die von Zeit zu Zeit angebracht sind, wie auch Schafte für die Ventilation und andere Zwecke. Ferner sollen Seitenbogengänge in dem Zwischenraume von zwei Häusern zu zwei Häusern geführt werden, und Seitenröhren sollen in die Area der Häuser münden. Die Area ist der vor jedem Hause liegende kleine Hof, welcher tiefer als die Straße ist und von derselben durch eiserne Gitter getrennt ist.) Durch diese Röhre soll auch noch Luft in den Haupttunnel geführt werden. Natürlich sind noch allerlei andere Einrichtungen für specielle Zwecke angebracht, zum Beispiel für die mitten in der Straße befindlichen und durch aufzuschraubende Eisenplatten verschlossenen Röhren, die das Wasser liefern, welches im Fall von Feuer gebraucht wird. Die Kosten jedes Fußes, parallel mit den Häuserreihen gerechnet, ist auf fünf Pfund (33 Thlr. 10 Sgr.) geschätzt, was die Kosten des gegenwärtigen Systems nur um ein Pfund per Fuß übersteigen soll. – Capital giebt es in London genug, und wenn die Zinsen desselben zur Grundtaxe jedes Hauses hinzugefügt werden, so ist das keine große Last für die Besitzer und steht in keinem Verhältniß zu den damit erkauften Vortheilen.


Für die Familienbibliothek.

In einer guten deutschen Familienbibliothek darf am wenigsten ein Werk fehlen, dessen Haupttendenz in der Verherrlichung deutscher Männer und einer der wichtigsten Episoden deutscher Vergangenheit besteht. Ludwig Storch, allen unsern Lesern bekannt, hat ein solches in seinem besten und berühmtsten Romane:

Ein deutscher Leinweber

geliefert, und wir freuen uns, dem großen vaterländischen Lesepublicum heute anzeigen zu können, daß dieses Werk, welches in der ersten Ausgabe 15 Thaler kostete, jetzt in der bekannten Familienausgabe der Storch’schen Schriften zu dem billigen Preise von 3 Thaler erscheinen wird.

Ueber die Vortrefflichkeit dieses wahrhaft deutschen Geschichtsromans verlieren wir kein Wort. Der Dichter Ludwig Storch bürgt uns dafür, von dem Ferd. Stolle sehr richtig sagt:

„Wenn glänzende Phantasie, kräftige schwungvolle Sprache und eine durchweg edle Richtung einen Autor berechtigen, in jeder Familie ein gern gesehener Hausfreund zu werden, so dürfte sich Ludwig Storch wohl einer allseitigen freundlichen Aufnahme zu erfreuen haben. Das ist ein Mann, in dessen Adern kein falscher Blutstropfen rinnt, der nie das Gold der Dichtkunst zu schnödem Götzendienste gemißbraucht, ein treues Herz, reich begabt mit himmlischem Gold und Perlen – denn die Treue, die Redlichkeit und Gabe der Dichtkunst wohnen in ihm.“

Der ganze Ertrag der Schriften kommt allein dem wackern Verfasser zu Gute.

Der deutsche Leinweber erscheint in 12 Bänden von je 12-15 Bogen. Jeder Band, dessen Preis in der alten Ausgabe 1½ Thlr. betrug, kostet

nur 7½ Neugroschen,

der Bogen also blos 5 Pfennige. Der erste Band ist bereits erschienen, die folgenden erscheinen in monatlichen Zwischenräumen.

Ernst Keil in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_320.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)