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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„einen offenen Feind, die defecten Düngergruben, zu bekämpfen, jetzt hat man einen solchen, den man nicht sehen, beim besten Willen, der besten Sachkenntniß nicht genügend überwachen kann, der sich überhaupt nur durch das Ausbrechen von Localepidemien als existent erkennen läßt.“

Schließlich darf hier noch ein Umstand nicht unerwähnt bleiben, welcher zwar auf die Beschaffenheit des Trinkwassers keinen Einfluß übt, aber doch mit der zunehmenden Verbreitung des Systems der Spülabtritte in volkswirthschaftlicher Beziehung immer schwerer in’s Gewicht fallen muß: wir meinen die Frage der Verwerthung der menschlichen Auswurfstoffe und der Wirthschaftsabgänge. In dem Rachen der Spülabtritte verschwinden alljährlich viele Millionen von Düngstoffen; wir holen von fernen Inseln den kostbaren Guano, den wir hier vergeuden, für dessen Wegräumung die Stadt Berlin alljährlich über 50,000 Thaler verausgabt. Der praktische Engländer hat es mit seinen Spülabtritten dahin gebracht, daß diese ihm das Jahr über viele Millionen Pfund Sterling wegspülen, dafür aber ihm die Luft verpesten und das Wasser vergiften. – Wie anders Paris! dort verdient die Gesellschaft, die sich mit Räumung der Abtrittsgruben beschäftigt, an der Verarbeitung des Düngers zu Poudrette alljährlich vier Millionen und liefert außerdem in den Stadtseckel noch 320,000 Franken. Vielleicht wird, wenn das Interesse der öffentlichen Gesundheit es nicht vermag, die Frage des baaren Capitalverlustes durchdringen und die Gesellschaft, den Staat auf die Abstellung so schwerer Mängel hinweisen. – Wohl besteht in allen Ländern eine Reihe älterer und neuerer gesetzlicher Vorschriften und polizeilicher Verordnungen zum Schutze des Trinkwassers. Allein theils ist nicht immer über die Aufrechterhaltung derselben streng gewacht worden, theils enthalten sie den durch die moderne Culturentwicklung gesetzten Verhältnissen gegenüber noch mannigfache Lücken.

So kannte unsere Gesetzgebung in Betreff der Kirchhöfe bisher nur die Gefahr, welche aus der Nähe derselben an dichtbevölkerten Orten durch ihre atmosphärischen Ausdünstungen erwuchs; die eben so gefährlichen unterirdischen Ausdünstungen, die Wechselwirkung zwischen den Leichen und der Bodenfeuchtigkeit, das Eindringen aufgelöster Verwesungs- und Leichenstoffe in die Brunnen – alles dies blieb bis auf die Erfahrungen der neuesten Zeit ungeahnt. Jetzt wird bei Anlage von Friedhöfen eine sorgfältigere Untersuchung der Bodenbeschaffenheit angestellt werden müssen. Die Nähe von bewohnten Stätten, von Brunnen und Wasserleitungen wird zu vermeiden, das vorhandene Grundwasser durch Drainirungen abzuleiten sein; der Zwischenraum zweier Gräber muß wenigstens 2 Fuß betragen.

Größere Städte umwinden mit ihren „Riesenleibern“ alljährlich immer weitere Umkreise; die Kirchhöfe, die noch vor Kurzem außerhalb der Ringmauern lagen, sehen sich nicht selten mit einem Male von denselben eingeschlossen. Hier tritt nicht blos die Nothwendigkeit ein, den betreffenden Kirchhof sofort zu schließen, sondern bei irgend vorhandener Ueberfüllung müssen auch die Leichen gänzlich fortgeschafft werden.

Baumpflanzungen werden nicht nur die wehmüthige Poesie der Gottesäcker erhöhen, sondern auch zur Reinhaltung der unterirdischen Gewässer beitragen; denn die Wurzeln, indem sie eine Reihe organischer und unorganischer Verbindungen aus dem Erdreich aufsaugen, zersetzen sie dabei chemisch. – Noch bei Weitem gefährlicher aber bedrohen das Trinkwasser die zahllosen Fabriken und gewerblichen Anlagen, deren in und bei größeren Städten fast jeder Tag neue gebärt und die sich ihrer Rückstände auf dem kürzesten Wege in das nächste Gewässer entledigen. Die Flüsse und offenen Wässer, von der Natur dem allgemeinen Verkehr, der Luftreinigung und dem Aufenthalte eines Theiles der Thierwelt bestimmt, versumpfen unter der Ueberlast der ihnen aufgedrungenen Unrathsmassen. Und dasselbe eben verunreinigte Wasser zum Getränk zu brauchen, nimmt Niemand Anstoß, wenn nur die gröbsten Theile vorher durch allerlei Sieb- und Filtrirwerkzeuge entfernt worden sind. Man meint schon Wunders viel gethan zu haben, wenn man eine Wasserleitung aus dem Theile eines Flusses speist, der oberhalb der Stadt strömt, als ob nicht hinterm Berge auch Leute wohnten, die oberhalb jenes ebenfalls das Wasser besudeln und verpesten.

Die öffentliche Wohlfahrt erheischt gebieterisch die Abstellung solcher Mißbräuche. Die Industrie soll mit ihren Abfällen dem Wasser, welches wir trinken, nicht zu nahe kommen. Sie errichte ihre Werkstätten da, wo ein fließendes Gewässer mit schneller Strömung und starkem Gefälle die Abgänge rasch fortträgt. Sind diese Bedingungen nicht zu beschaffen, oder ist trotz ihrer noch Gefahr für das Trinkwasser zu besorgen, so muß die Zerstörung oder Beseitigung solcher Rückstände auf anderem Wege geschehen. Oefters wird es einer verständigen Industrie gelingen, werthlose oder gemeinschädliche Nebenproducte zu Gegenständen einer neuen und gewinnbringenden Industrie zu verarbeiten – wir erinnern an die Verwendung der Melasseschlempe in Pottasche – oder, wo dies nicht angeht, ihre Ueberbleibsel auf andere Weise zu beseitigen. Das Spülicht einer Stärkefabrik zu Villetaneuse bei St. Denis gab durch Verunreinigung der dortigen Brunnen und fließenden Wässer den Bewohnern der ganzen Umgegend Grund zu vielfachen Klagen. Da bohrte im Jahre 1831 der Ingenieur Mulot auf 64 Meter Tiefe einen artesischen Brunnen, welcher jene Abgänge zu 80,000 Litres täglich verschluckte und sie einem unterirdichen Strom überbrachte. Mit der Ursache verschwanden die Klagen.

Vorzüglich aber gehört die gefahrlose Unterbringung der menschlichen Excremente zu den wichtigsten Aufgaben der großstädtischen Polizei. Wir haben schon früher die eine Art ihrer Fortschaffung aus dem menschlichen Bereich, das System der Spülabtritte in seiner bequemen und ästhetischen, aber auch zugleich in seiner gesundheitsschädlichen und volkswirthschaftlich widersinnigen Seite kennen gelernt. Diese Anlagen werden nicht nachzuahmen, ihre Entfernung vielmehr aus allen Kräften zu erstreben sein.

Dieser gefährlichen Neuerung ist die Rückkehr zu den Abtrittsgruben unbedingt vorzuziehen. Aber freilich ist bei ihrer Anlage vor allem darauf mit Strenge zu achten, daß sie in genügender Entfernung (wenigstens 30 Fuß) von solchen Stellen errichtet werden, welche Trink- und Haushaltungswasser liefern; sodann darauf, daß die Bauart der Behälter der Undurchlässigkeit entspreche, und endlich, daß dem Inhalt sein gesundheitsgefährlicher Charakter möglichst benommen werde.

Solchen Anforderungen schien bis jetzt der in Paris seit ungefähr acht Jahren eingeführte grand diviseur am meisten zu entsprechen. Derselbe steht inmitten der Senkgrube, sammelt in einer cylinderähnlichen Vertiefung alle Unrathsmassen und läßt die flüssigen Theile derselben durch seitlich angebrachte Röhren in die Grube abfließen. Aus dieser werden alle Jahr ein bis zwei Mal die Flüssigkeiten in einen hermetisch verschlossenen Wagen hineingepumpt und – in die Seine geschafft. Die festen, zur Bereitung der Poudrette dienenden Stoffe werden auch nur etwa alljährlich geräumt, vorher aber der Desinfektion, d. h. der Vermischung mit aufgelöstem Eisenvitriol unterworfen, wodurch die schädlichen Gase zerstört werden sollen.

Allein auch dies System ist nicht frei von erheblichen Nachtheilen. Aus den Behältern dringen bei längerer Aufbewahrung der Excremente trotz aller Ventile die stinkenden Gase bis in die Wohnräume. Die Ausräumung der Apparate ist für die Hauswirthe kostspielig, für die damit beschäftigten Arbeiter beschwerlich und wegen der gräulichen Ausdünstung nicht ohne Gefahr. Endlich gehen die der Landwirthschaft so wichtigen flüssigen Theile der Excremente ganz verloren.

Allen diesen Uebelständen scheint nun eine neue, von italienischen Technikern gemachte Erfindung, welche zur Fortschaffung der Excremente Luftdruck anwendet, abhelfen zu wollen. Nach dem sogenannten hydropneumatischen System wird eine eiserne Tonne, deren Gehalt zwei Cubikmeter beträgt, von oben mit Wasser gefüllt, und letzteres sodann durch eine besondere am Boden angebrachte Saug- und Druckvorrichtung ausgezogen. Es bleibt ein luftleerer Raum zurück. Nun wird das Ventil der oberen Oeffnung mit der Mündung eines in die Grube geführten Saugrohrs in Verbindung gebracht und geöffnet. Und so groß ist die ansaugende Kraft dieses Apparates, daß in noch nicht zwanzig Secunden der gesammte Grubeninhalt in die Tonne hineinstürzt. Ja, oft werden durch die Gewalt selbst Ziegelsteine aus dem Boden der Grube mit in den Behälter gerissen.

Die Vortheile dieser Methode sind in die Augen springend: völlige Geruch- und Gefahrlosigkeit für die Arbeiter, erleichterte Fortschaffung und Kostenersparniß für die Hauseigenthümer. In Paris kostet die Wegräumung des Grubeninhalts 7 Francs, in Turin und Mailand nur 10 Centimes für den Cubikmeter. In Paris sind sechs Mann nothwendig, um in einer Stunde vier Cubikmeter auszuräumen – nach dem neuen System verrichten zwei Mann in derselben Zeit das Fünffache! – Außerdem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_312.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)