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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wieder gesehen. Seine ihm treu gebliebene Ehehälfte verkaufte in Kurzem all’ sein Eigenthum und folgte ihm in’s Exil.

Das schöne Geschlecht war gerächt, und noch lange wird die Erinnerung an den dicken John die verwegenen Don Juan’s der Stadt abhalten, eine ähnliche Scene auf ihre Kosten herbeizuführen.




Moderne Brunnenvergiftung.

(Schluß.)
Bewegliche Behälter und Water closets – Die Ableitungen – Wasservergiftung in Halle – Unterirdische Ausdünstungen – Wichtige Entdeckung für Fortschaffung der Excremente.

Die dichte Bevölkerung der Wohnhäuser größerer Städte und die Schwierigkeit, eine für die ganze Bewohnerschaft genügende Latrinenräumlichkeit herzurichten, bringen es mit sich, daß für die nächste Beherbergung der Excremente daselbst allerlei Nothbehelfe in’s Leben getreten sind. Es giebt in großen Städten viele Häuser, die gar keine Abtrittsgruben besitzen, und wo für die letzteren als oberirdische Surrogate

I. bewegliche Behälter fungiren, die nach kürzerer oder längerer Zeit geleert werden.

II. Mit dem System der englischen Wasserleitungen, welches sich in der neuesten Zeit über die meisten großen Städte des Festlandes verbreitet, ist das der Spülabtritte (Water closets) innig verbunden. Hierbei verweilen die Fäcalstoffe gar nicht erst in einem Behälter; sie werden, kaum in das Aufnahmegefäß gelangt, sofort vermöge eines eigenthümlichen Mechanismus aus demselben weggespült.

Unleugbar hat diese Methode ästhetisch ihre sehr angenehmen Seiten. Der widerwärtige Geruch, das Fatale der Fortschaffung der Excremente kann Niemand mehr belästigen. Allein es fragt sich: was wird aus diesen Massen, welche die Spülung vorläufig aus unserer Umgebung entfernt? Verschwinden sie? lösen sie sich in Wohlgefallen auf? Bei näherer Betrachtung finden wir nun, daß die modernen Spülapparate die Wegschaffung des Unraths auf drei Wegen besorgen. Der eine Weg besteht darin, daß die Spülung in eine frühere Abtrittsgrube oder in einen alten Brunnen mündet. In diese Behälter werden die Closetröhren aus den verschiedenen Wohnungen des Hauses hineingeleitet. Stein- oder Asphaltpflaster bedeckt die Grube, in welcher auch ein Pumpwerk zur Entleerung des Inhalts angebracht ist.

Es leuchtet ein, daß in diesen Kothcisternen eine weit größere Gefahr für das Trinkwasser schlummert, als in den früheren Abtrittsgruben. Die um Vieles stärkere Verflüssigung ihres Inhalts, die durchlassende Beschaffenheit ihrer Seiten- und Grundtheile bedingen eine unendlich leichtere Möglichkeit von Kothinfiltration der benachbarten Erdschichten. Sind die letzteren nun gar quelliger oder filtrirender Natur (Sand oder Kalk), werden die Gruben nur selten, vielleicht nur alle Jahre einmal geräumt – wie denn wegen des beständigen Durchsickerns durch die Grubenwände nach außen eine Ueberfüllung nicht so leicht stattfindet –: so müssen die Brunnen der Umgegend die bedenklichsten Verunreinigungen und der Gesundheitszustand der Anwohner die ernstlichste Bedrohung erfahren.

Ein anderer Ort, welchem die Spülabtritte ihren Inhalt gern anvertrauen, sind zweitens die fließenden oder stehenden Gewässer. Befindet sich ein solches in der Nähe des mit dem Closetapparat versehenen Gebäudes, so wird von diesem aus ein zur Aufnahme der Fäcalstoffe bestimmter Canal in jenes geleitet. Nur ein Fluß mit wirklich gutem Gefälle und rascher Strömung ist im Stande jene fremden Massen rasch fortzutragen, während stagnirende Wässer (wie z. B. der Königs- und Schafgraben zu Berlin), seit Jahrhunderten mit allen Abgängen der thierischen und häuslichen Oekonomie und Gewerbe vollgepfropft, diese Stoffe schließlich dem Ufererdreich mit seinen Quellen und Brunnen mittheilen.

Nichts widersinniger, als wenn aus solchen mit den Auswurfsstoffen der Natur und Cultur beladenen Fluthen eine Wasserleitungsanstalt sich speist, wie wir es von London kennen gelernt haben, und wie wir es theilweise noch in Paris finden, obgleich dasselbe gerade in dieser, wie in vielen anderen sanitätspolizeilichen Beziehungen den meisten Hauptstädten Europas voranleuchtet! Die Abflüsse der großen Schlachthäuseranstalten und Abdeckereien von Bondy münden einige Kilometer oberhalb der Stelle, woselbst sich die Pariser Wasserfiltrir- und Reinigungsapparate befinden, in die Seine.

Endlich münden die Waterclosets gern in die unterirdischen, ursprünglich nur für Aufnahme der Wirthschafts- und Regenwässer angelegten Abzugscanäle – eine Einrichtung, welche in manchen Städten streng verpönt, in anderen geduldet, in anderen, wie z. B. in London, sich einer ausschließlichen Beliebtheit erfreut und bis vor kurzem noch für eine bedeutende Cultur-Errungenschaft galt. Indessen haben neuere Erfahrungen die großen Schattenseiten dieses Systems zur Anschauung gebracht. Lassen sich nämlich die Wasserleitungscanäle in ihrer Verzweigung nach allen Richtungen eines Stadtgebiets von einem Punkt aus mit der arteriellen, die unterirdischen Abzugsröhren in ihrer allmählichen Vereinigung zu einem Hauptstrang mit der venösen Strömung vergleichen, so muß der Ort, der einen gemeinsamen Sammelplatz beider Systeme bildet, gewissermaßen die Rolle eines Herzens spielen. Und dies trifft auf die britische Weltstadt unbedingt zu. Der alte Themsearm, der jetzt als cloaca maxima Londons benutzt wird und sämmtliche Abzugscanäle desselben in sich aufnimmt, wälzt in seiner Höhlung alle organischen und unorganischen Mauserungen in den Strom, von welchem der größte Theil der Stadt sein Wasser bezieht. London genießt also seine eigenen Auswurfsstoffe. Können aber in einem Körper gesunde Säfte strömen, wenn diese nur aus bereits verbrauchtem, ausgestoßenem Material sich wieder erzeugen? Filtrirt solches Wasser immerhin, filtrirt es selbst drei und vier Mal hintereinander, Eure Bassins lassen nur die gröbsten Verunreinigungen des Wassers auf den Kiesboden sinken; eine chemische Reinigung desselben ist auf diesem Wege unmöglich.

Die Stadt Halle a. d. S. liefert (nach Reil: die verschiedenen Systeme, betreffend die Anlage von Abtritten in Caspar’s Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medicin 1859) ein ähnliches Beispiel von Verwendung desselben Flusses zur Unrathskammer und zugleich zur Wasserversorgung: „Alle Canäle und Gossen der Stadt (heißt es S. 316), die zum größten Theile auch die Abtrittsausflüsse aufnehmen, führen ihren Unrath an diesen Stoffen von den Küchenabgängen, von Resten der Stärkefabrikation und Schweinemast der Saale zu; dazu kommen noch zahlreiche an der Saale gelegene gewerbliche Etablissements und Fabriken, z. B. Zuckerfabriken, Färbereien, Gerbereien, die ihre Abgänge dem Wasser abgeben, und die in einzelnen Straßen am Wasser direct in die Saale mündenden Abtritte. Fast am Ende der Stadt, d. h. da, wo die Saale hinfließt, nicht etwa, wo sie herkommt, nur ungefähr 500 Schritt unterhalb des Anatomiegebäudes, das seine Abgänge ebenfalls der Saale anvertraut, und dicht unterhalb mehrerer Mahlmühlen mit ihren Abtritten befindet sich der Thurm der Wasserkunst, die hier das Saalewasser hebt und in das Röhrensystem der oberen Stadt bringt, wo es in stetem Strom in die Röhrtröge fließt. Dieses mit dem verdünnten, gesammten Unrath der Stadt geschwängerte Wasser wird ausschließlich zur Speisebereitung benutzt, da das Quellwasser salzig ist und kaum zum Trinken sich eignet. Oft wird auch das Saalewasser getrunken. – Und einem solchen Unfug kann die Staats-, Stadt- und Sanitätspolizei ruhig zusehen!“

Wir haben oben gesehen, wie die Leichenregister Londons dieses System der Flußvergiftung verurtheilen, und auch Berlin wird die Folgen derselben zu tragen haben, wenn erst mit der größeren Verbreitung der englischen Wasserleitung und der damit Hand in Hand gehenden Spülabtritte die Spree und die verschiedenen Gräben, in welche, meist innerhalb der Stadt, jene Canäle münden, einen Theil ihres Ueberflusses an Kothsubstanzen den Brunnen abgetreten haben werden. Man gebe den Abzugsröhren ein noch so hohes Gefälle, erbaue sie noch so solide, spüle sie täglich mit den stärksten Wasserstrahlen aus – wer kann ermitteln, ob nicht dennoch ein Theil des Unraths irgendwo zurückbleibt? Wie schwer, ja wie unmöglich ist eine genaue Controle der Canäle in Bezug aus die Undurchlässigkeit ihrer Wandungen, die doch in der Länge der Zeit Schaden erleiden müssen! Anhäufungen von Kothmassen an Wandlücken, Vorsprüngen und Undichten im Mauerwerk, sowie Durchsickern von Kothflüssigkeit in das Erdreich und seine Wässer sind gar nicht zu vermeiden. „Früher hatte man,“ sagt Pappenheim, ein vorzüglicher Forscher im Gebiete der Sanitätspolizei,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_311.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)