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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

der, kaum noch daran denkend, daß er sich im Besitze der heiligsten Reliquie Amerika’s befand, das ohnehin schon bescheidene Grabmal vollkommen verfallen ließ; Unkraut und Gestrüpp wucherten rundherum; kaum ahnte der vorübergehende Wandrer die Nähe dieser Grabstätte. Niemand rief ihm die Worte zu Sta, viator, heroem calcas! Da traten vor etwa zwei Jahren die Damen New-Yorks zusammen. Ein Meeting wurde abgehalten, und es wurde beschlossen, durch freiwillige Beiträge die zum Ankaufe erforderliche Summe aufzubringen.

Ein Gefederter.

Man fragte den Besitzer nach dem Preise. Er forderte die ungeheure Summe von 50,000 Dollars für die wenigen Morgen Land, welche die Grabstätte bildeten. Ein allgemeiner Schrei der Entrüstung erhob sich; mit flammender Schrift donnerten die Zeitungen Amerikas gegen den frechen Forderer. Dieser bestand jedoch, über die niederschmetternden Artikel lächelnd, auf seiner Forderung, und in wenigen Wochen hatte der nunmehr vollkommen zum Paroxysmus gelangte Patriotismus der amerikanischen Frauen die Summe aufgebracht.

Triumphirend begab sich ein Comité der schwarzäugigen Ladies zu dem habsüchtigen Yankee, und in blank gemünztem Golde wurden ihm die verlangten 50,000 Dollars auf den Tisch gezahlt.

Der edle Nachkomme Washington’s überlegte. Er war zwar Yankee im wahren Sinne des Wortes und obendrein ein glühender Patriot, aber er liebte vor allen Dingen das Geld. Wenn 50,000 Dollars in so kurzer Zeit zusammengekommen sind, dachte er, so wird es zwar wohl eine längere Zeit dauern eine größere Summe zusammenzubringen, aber es wird doch geschehen, denn Amerika ist ja groß und die amerikanischen Frauen verehren Washington. Er forderte 200,000 Dollars und strich vergnügt lächelnd und mit einem Fluche betheuernd, daß er ein glühender Patriot und schwärmerischer Verehrer seines großen Vorfahren sei, die 50,000 Dollars als Abschlagszahlung ein.

Ein furchtbarer Schrei der Entrüstung durchhallte die ganzen Vereinigten Staaten! Vernichtender schmetterten die Journalisten ihre Donnerkeile auf den übermüthigen Frevler herab, und man glaubte schon die zarten amerikanischen Ladies sich wie eine Bande gereizter Hyänen zusammenrotten zu sehen, um den schändlichen Wucherer mit ihren weißen Zähnen zu zerreißen. Dieser kaute indessen ruhig seinen Tabak, las mit frischem Gleichmuthe die vernichtenden Artikel und rieb sich vergnügt lächelnd die Hände, wenn er aus den Blättern ersah, daß aus allen Theilen der Republik Beiträge eintrafen, um die 200,000 Dollars zu vervollständigen.

Bald war dies bewerkstelligt. Das Comité erschien zum zweiten Male. In blankem Golde rollten die noch fehlenden 150,000 Dollars auf den Tisch, während die schwarzäugigen Ladies Blicke der Verachtung und des Hasses auf den schändlichen Empfänger warfen. Dieser schien nicht übel Lust zu haben, da es so gut ging, auch diesmal die ganze Summe nur als eine Abschlagszahlung anzunehmen, doch wurden jetzt die Blicke so drohend, die schönen Stirnen falteten sich mit solcher Strenge, daß er dies Project aufgab. Er strich holdselig lächelnd das Geld ein und begleitete die Damen höflich bis zur Thür, indem er sich hoch und theuer verschwor, daß er der kerngesundeste, gesinnungstüchtigste Patriot sei, und sich ihrer Aller Unterstützung ausbat, falls es ihm einmal in den Sinn kommen sollte, als Candidat für den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_309.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)