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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 20.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Zwölfte.

Kleine Bilder aus großer Zeit.
Von Georg Hesekiel.
(1.)


Am 16. September 1809, Morgens neun Uhr, versammelte sich auf der Citadelle von Wesel eine Militair-Commission, bestehend aus dem Bataillonschef Grand und fünf andern Officieren, niedergesetzt von dem Commandanten der Festung, General Lameine, berühmt als Führer einer der „höllischen Colonnen“, welche einst die Vendée verwüsteten, um auf Befehl des Kaisers Napoleon über zwölf Officiere zu richten, die den kühnen Major von Schill auf seinem kecken Zuge gegen den französischen Tyrannen begleitet hatten und unglücklicher Weise in Kriegsgefangenschaft gerathen waren.

Nur elf dieser Officiere konnten dem Militairgericht vorgeführt werden, es waren: Leopold Jahn aus Massow in Pommern, Ferdinand Schmidt aus Berlin, Ferdinand Galle aus Berlin, Carl und Albert von Wedell aus Braunsfort in Pommern, Adolf Keller aus Straßburg in Ostpreußen, Constantin von Gabain aus Geldern, Ernst Friedrich von Flemming aus Rheinberg, Friedrich Felgentreu aus Berlin, Carl von Kessenbrink aus Krien in Pommern, Friedrich von Trachenberg aus Rathenow. Der Zwölfte, Leopold Heinrich von Wedell, fehlte, er lag schwer verwundet in Montmedy und hatte nicht nach Wesel abgeführt werden können.

Um neun Uhr trat die Militair-Commission zusammen, und um 11 Uhr waren eilf preußische Officiere, von denen Keiner noch dreißig Jahr alt war, zum Tode verurtheilt wegen Verletzung des ersten Artikels des Gesetzes vom 29. Nivose des sechsten Jahres der französischen Republik.

Napoleon gesellte doppelten Hohn zur Tyrannei, denn er ließ die preußischen Officiere, die im ehrlichen Kampfe gegen die Uebermacht gefangen waren, verurtheilen auf Grund eines französischen Gesetzes, welches keiner der Jünglinge kannte. Und wie lautete dieses Gesetz? Es lautete wörtlich: „Gewaltsame Diebstähle auf offener Landstraße, sowie Einbruch in bewohnte Häuser durch äußere Gewalt oder Leiterersteigungen werden mit dem Tode bestraft.“

Als Diebe und Straßenräuber ließ der französische Kaiser die hochherzigen Jünglinge, die für das Vaterland ausgezogen, zum Tode verurtheilen, weil sich ihr Anführer, der Major von Schill, natürlich überall, wohin er gekommen war, der feindlichen Cassen bemächtigt hatte, wie der Kriegsgebrauch ist. Das war napoleonische Gerechtigkeit; o, es ist eine gute und vorsichtige Gerechtigkeit, die kaiserlich französische, sie hatte auch schon in der Nacht vor dem Tage, an welchem die Militair-Commission zusammentrat, drei große Gräber graben lassen für die preußischen Officiere!

Nun, die Gräber waren fertig – umsonst konnte man sich die Mühe doch nicht gegeben haben? O, nein! Um 11 Uhr wurde nicht nur das Todesurtheil gesprochen, sondern auch die sofortige Execution verfügt. Die Behörden des französischen Tyrannen waren nicht ohne Besorgniß, denn eine dumpfe Gährung gab sich unter der gut preußisch gesinnten Einwohnerschaft kund, die Thore wurden schon am frühen Morgen gesperrt und die Wachtposten überall verdoppelt. Zu ohnmächtigem Groll mit den Zähnen knirschend schlichen die Einwohner durch die Straßen, und selbst die französischen Soldaten der Besatzung murrten laut über dieses blutige Tyrannenstück ihnes sonst vergötterten Kaisers. Bei einem portugiesischen Bataillon, das aus seiner Heimath hierhergeschleppt worden war, gab sich der Unwille so stark kund, daß der Commandant es auf der Esplanade antreten und bis zum Schluß der Execution unter’m Gewehr stehen ließ.

Um 1 Uhr Mittags führte man die Elf zum Tode; die zur Execution bestimmten Truppen hatten einen Leiterwagen mitgebracht, die jungen Officiere aber erklärten, daß sie als Preußen gewohnt seien, dem Tode entgegen zu gehen, und sie würden das auch heute thun! Da band man Zwei und Zwei zusammen mit Stricken an den Armen, und dann begann der Trauerzug.

Voran ein Commando Cavallerie mit schußfertigem Carabiner, dann eine Compagnie Grenadiere, darauf die Elf, umgeben von den zur Execution bestimmten Kanonieren, den Beschluß machte eine Voltigeur-Compagnie. So führte man sie hinaus, die Jünglinge, unter Trommelschlag, über die Esplanade zum Berliner Thore hinaus und von da nach dem Fürstenberge, denn die Lippe hatte den nächsten Weg zum Exercirplatze, wo die Gräber aufgeworfen waren, überschwemmt. Da die Thore geschlossen waren, so konnte keiner der Einwohner von Wesel den Trauerzug geleiten und die Einsamkeit draußen stach mächtig ab gegen die gedrängte Menschenmenge in den Straßen. Die Wälle waren dicht mit Menschen besetzt, aber die Hinrichtungsstätte war ihren Augen durch ein Gebüsch verdeckt.

In dieser Einsamkeit zogen die Schergen der fremden Tyrannei des Weges dahin mit ihren Opfern; die wenigen Menschen aber, die ihnen auf der Landstraße begegneten, die folgten dem traurigen Zuge, denn die Officiere riefen ihnen zu: „Geht mit uns und seht, wie Preußen sterben, damit Ihr’s den Landsleuten erzählen könnt!“

Kalt und ruhig, mit männlicher Fassung marschirten die Elf auf in den weiten Halbkreis, den die französische Besatzung auf dem Richtplatze, nahe an der Düsseldorfer Landstraße, bildete.

Dumpf und hohl klang das französische Commando über die offenen Gräber. Man wollte den Opfern des Tyrannen die Augen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_305.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)