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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

bringen wollte. „Ich habe der Tanzkunst bis jetzt wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl ich alle ihre Berühmtheiten kenne,“ sagte sie in ihrer bezaubernd freundlichen Weise; „aber seit ich Sie gesehen habe, schwärme ich für Ihre Kunst. Da sehen Sie meine Hände, sie sind ganz roth, so habe ich geklatscht.“

… Ich verließ Dresden überglücklich, daß mein höchster Wunsch so reizend in Erfüllung gegangen war,“ erzählt Lucile Grahn in ihrem Briefe. „Ich baute Luftschlösser, wie ich oft mit ihr schöne Stunden verleben würde – aber die Maitage von 1849 machten meinen schönen Plänen ein Ende. Als ich wieder nach Dresden kam, war die geniale Frau schon abgereist und, wie es damals hieß, auf immer. Ein Jahr später hatte ich doch das Glück, sie in Berlin wiederzusehen, als ich dort gastirte. Sie suchte mich abermals auf, denn ich hatte ihre Ankunft noch nicht erfahren. Wir blieben dann einige Tage zusammen. Wie liebenswürdig war sie! Wie flog die Zeit, als wir da zusammen plauderten! Späterhin schickte sie mir ihr liebes Bild – es hängt in meinem Boudoir, und Alle bewundern ihre geistreichen Züge und ihre schwungvolle Handschrift.“ Unter das Bild hatte Wilhelmine geschrieben: „Der würdigsten Priesterin Terpsichorens zum freundlichen Gedächtniß an Wilhelmine Schröder-Devrient.“

Aber nicht immer wurde Wilhelminens Entgegenkommen freundlich erwidert. Die erste Kränkung in dieser Beziehung erfuhr sie in Berlin, als sie dort in den zwanziger Jahren gastirte. Sie wollte die Iphigenie in Tauris geben – früher eine Glanzrolle der Mildner-Hauptmann – machte der berühmten Frau einen Besuch, bat sie, der Vorstellung beizuwohnen und ihr über Auffassung und Darstellung der Rolle rückhaltslos ihr Urtheil zu sagen.

Frau Mildner, eine sehr große, stattliche Dame, richtete sich noch höher auf als gewöhnlich, sah die junge Künstlerin von oben herunter an, mit einer Miene, die deutlich sagte: was erlaubt sich das kleine Ding? und erwiderte nach inhaltschwerer Pause mit würdevollem Kopffchütteln: „Nein, mein liebes Kind, das kann ich nicht! Ich habe die Mildner-Hauptmann in dieser Rolle gekannt und mag nach ihr keine Andere darin sehen.“

Noch schlimmer erging es Wilhelminen mit der Rachel. Nachdem sie die große französische Tragödin ein paar Mal gesehen hatte, ließ sie ihr durch einen gemeinsamen Bekannten sagen, wie sehr sie sich danach sehne, ihr die Hand zu drücken und ihr mündlich ihre tiefe Bewunderung auszusprechen. „Antworten Sie der Dame, daß ich Männerbesuche sehr gern empfange,“ erwiderte die Rachel, „daß ich mir aber aus Frauenbesuchen und Frauenbewunderung nicht das Geringste mache.“

Auch in anderer Beziehung hat Wilhelmine wunderliche Erfahrungen machen müssen. Im Jahre 1849 oder 50 war sie in Schlangenbad, und bald nach ihr traf eine andere Sängerin von europäischem Rufe ein. „Sie kam und machte mir ihren Besuch,“ schreibt Wilhelmine. „Als sie mir gemeldet wurde, stand ich auf, um ihr entgegen zu gehen – ich fand es sehr liebenswürdig, daß sie mich aufsuchte – aber wie soll ich den Eindruck beschreiben, den ich empfing, als sie beim Eintritt in’s Zimmer auf die Kniee fiel, den Saum meines Kleides faßte und ihn küßte! Ich wußte nun, daß sie eine Komödiantin war, hob sie auf, so schnell ich konnte, – denn solche Scenen sind mir in den Tod zuwider – und fing ein vernünftiges Gespräch mit ihr an. – Einige Tage später circulirte in Schlangenbad das Gerücht, ich hätte den Musikern dafür, daß sie Morgens am Brunnen die Marseillaise gespielt, ein Dutzend Flaschen Wein geschickt. Es war eine Verwechselung, ein Herr hatte den Leuten das Geschenk für das Lied „Gott erhalte Franz den Kaiser“ zustellen lassen! Ich legte übrigens kein Gewicht auf die Sache und ignorirte sie, wie so viele auf meine Rechnung erfundene gute oder schlechte Geschichten. So hatte ich das Alles fast vergessen, als ich einige Tage später bei der jungen Sängerin anklopfte, um ihr meinen Gegenbesuch zu machen. Das Fräulein wäre nicht zu Haus, sagte der Diener, als ich meinen Namen nannte. Aber sie hatte gesungen, als ich in’s Vorzimmer trat; ich ließ mich also nicht abweisen und ging mit einem Scherz auf den Lippen dem Diener nach in den Salon – sah noch, wie die fliehende Künstlerin im Nebenzimmer verschwand, und stand Aug’ in Auge ihrer englischen Gesellschafterin gegenüber, die mir mit allem Stolze ihrer Nation zuschnarrte: „You shall never see Miss …, never!“ Ich lachte ihr natürlich in’s Gesicht, ging wieder heim und wußte durchaus nicht, was ich aus diesem Benehmen machen sollte, bis ich später erfuhr, daß ich das Glück, mit der Dame zu verkehren, durch den Korb Wein verscherzt hatte.“

Auf der andern Seite hat Wilhelmine Schröder-Devrient aber auch in der Künstler- und Dichterwelt Anerkennung und Verehrung im reichsten Maße gefunden. Unter ihren Papieren sind Briefe von Mendelssohn, Spontini, Meyerbeer, Ferdinand Hiller, Clara Schumann, Liszt und Bronsart; von Seidelmann, Cornet, beiden Genasts; von der Anschütz, der Ungher-Sabatier und Lucile Grahn; von Rietschel, Laube, Holtei, Theodor Hell und Böttiger; von Helmine von Chezy und Elise Polko, die Zeugniß dafür geben; selbst der Gelehrtenstand hat ihr durch Raumer und Carus seine Huldigungen dargebracht. Den Briefwechsel mit Carus, der aber erst in spätere Jahre fällt, bin ich ermächtigt vollständig abdrucken zu lassen. Hier folgen jetzt nur einige der früheren Briefe.

Darmstadt, 21. Oktober 1830. 
„Erst heute, holdseligste der Frauen, komme ich dazu, mit meiner liederlichen Handschrift auf Ihre zierliche Epistel zu antworten, weil die Entscheidung der Großherzogin erst gestern erfolgt ist … .
Es ist gestern befohlen worden, Ihren ersten Auftritt auf Dienstag, den 2. November, als Euryanthe festzusetzen; die zweite Gastrolle würde auf Sonntag den 7. fallen, und es ist dazu Don Juan gewählt worden.
Wie es bei uns zugeht, davon erlassen Sie mir wohl eine Schilderung. Kommen Sie nur aber ja gewiß; Sie werden wie der Geist über den Wassern schweben, und so lange Sie singen, müssen die streitenden Elemente schweigen.
Meine Frau grüßt Sie, von der Hoffnung Sie zu bewundern im Voraus entzückt. Küstner ist in Leipzig, Türkheim in Seligkeit, Madame Krüger in der Probe (vom Barbier), Viele in Wuth, Alles in Confusion! und der Teufel überall!
Wüßte man nur, daß Sie bei Zeiten eintreffen wollten, so käme man Ihnen mit Jubelklang entgegen. Mich finden Sie bis Mitternacht auf der Chaussee, damit ich der Erste sei, der Ihnen sein Willkommen zuruft.
Ihr Verehrer 
C. von Holtei.“  
Stuttgart, 18. Mai 1837. 
„Minna-Euryanthe, – Minna-Iphigenie – doch wozu die Namen der Kunstgebilde, wenn ich Minna Schröder begrüße? – Schon lange wollte ich Ihnen, hohe Künstlerin! einige Erinnerungsworte zurufen – indeß in Ihrer Wunderschöpfung Euryanthe lebt und blüht, wollt’ ich Ihnen gern schon so lange sagen, auch der Dichterin zu gedenken, die ahnungsvoll sie für Sie geschaffen.
Heut, da ein liebenswerther, junger Mann vom Neckarstrand – eine wahre Maiblüthe vom Lebensbaum der Poesie – nach London geht, gebe ich ihm diese Worte mit, die mein Andenken bei Ihnen auffrischen sollen. Empfangen Sie gütig und wohlwollend Herrn Niclas Müller und begeistern Sie ihn zu neuen Liedern; mir aber gönnen Sie die Hoffnung, auf deutschem Boden noch mehr als einen Ihrer Triumphe mitfeiern zu helfen und Blumen in Ihre unverwelklichen Kränze zu winden. Mit der feurigsten Bewunderung, verehrte Künstlerin!
Ihre Ergebene  
Helmine v. Chezy, geb. Fr. Klencke.“ 


Dresden, 10. Mai  
„Hochverehrte Künstlerin!
Wenn Ihnen an der Anerkennung eines ci-devant Kunstcollegen etwas liegt, so erlaube ich mir, Ihnen durch diese Zeilen vorläufig zu sagen, daß mich Ihre gestrige Gesammtleistung der Rebecca entzückt und das alte Blut in Wallung gebracht hat.
Ich sah diese Darstellung niemals von Ihnen und bin nun zu der Ueberzeugung gekommen, daß die wahren lyrischen Künstler auch schlechte Libretti und verwutzelte Partituren zu unverdienter, in natura nicht gegründeter Anerkennung heben können! – denn ich heiße ein Libretto schlecht, das ganz überflüssige Figuren hat und ohne Causalnexus zusammen gemacht ist, und eine Musik verwutzelt, die sich in durchgehenden Noten der Mittel- und Füllinstrumente gefällt, um deutsche Schulmeister-Grammatik darzuthun.
Apollo und alle neun Musen erhalten Sie! wenigstens so lange noch, bis Eine kommt, die Sie nachahmt, die Ihnen nachstrebt! Erreichen wird Sie wohl schwerlich Eine, und so halte ich es für Pflicht, Ihnen meinen aufrichtigen, herzlichen Dank und wahre Hochachtung hierdurch auszusprechen. Wahre
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_299.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)