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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Wucherung von leptomitus lacteus erkannte Vegetation rührte von Melasseschlempe, dem Abgange der in der dortigen Gegend schwunghaft betriebenen Zuckerfabrikation her, welche theils direct, theils durch in die Weistritz mündende Gräben in den Fluß gebracht worden war. Als den Fabrikanten dies fortan untersagt wurde – mehrere verbrannten fortan die Rückstände zu Pottasche – hörte jene Färbung sofort auf.

Zu welchem für Boden, Luft und Wasser gleich nachtheiligen Elemente sich jene Rübenmelasseschlempe emporgeschwungen hat, geht aus einem in den Annales d’hygiène publique, Janv. 1859 mitgetheilten Bericht von Wurtz hervor. Derselbe berechnet die Gesammtmenge der Melassen-Destillationsrückstände für das Jahr 1857 allein im Departement du Nord auf 3 Millionen Cubikmeter. Eine Analyse derselben von Meurein ergab auf den Litre circa 8 Grammes unlöslicher, 11 löslicher, organischer Substanz, 7 Grammes Asche. „Die organischen Substanzen der Rückstände gehen nun überall, wo dieselben nicht von einem schnell strömenden, mächtig strömenden Strome aufgenommen werden, schnell in Gährung über, liefern für sich flüchtige Zersetzungsproducte und reduciren gelöste schwefelsaure Salze (Gyps) zu Sulphüren, aus welchen sich Schwefelwasserstoff entbindet. Dies und die andern Zersetzungsproducte der Masse verpesten die Luft in und über langsam strömenden, wasserarmen Flüssen, Seen und Teichen, in welche die Massen entleert weroen. Auch Brunnen, welche von so verpesteten Wässern ihren Inhalt beziehen, erleiden natürlich gefährliche Veränderungen, und so wird es ganz unzweifelhaft, daß eine Entleerung der fraglichen Abgänge in anderes als schnellströmendes und massenhaftes Wasser nicht geduldet werden könne.“

Auch zahlreiche andere, durch die Erfindungen der modernen Chemie und Physik theils in’s Leben gerufene, theils zu vollendeter Entwicklung und damit zu oft kolossaler Production erweckte Künste und Industrien, z. B. die Photographie, Kattundruckerei, Gasbeleuchtung, Färberei, Destillation, Tabaks-, Seifen- und Paraffinfabrikation, Gerbereien, Bleichanstalten etc. entledigen sich ihrer mannigfachen Rückstände in Gossen, Bäche und Flüsse. Niemand aber wird leugnen, daß Substanzen, wie Cyankalium, Kupfervitriol, Jod-, Chlor-, Ammoniak-, Schwefelwasserstoff und viele andere organische oder metallische Verbindungen dem Trinkwasser höchst nachtheilig sein müssen. Man wende nicht ein, daß die genannten Substanzen in allzu geringer Menge in’s Wasser gelangen, um erheblichen Schaden stiften zu können. Was dem Gift an Größe der Dosis abgeht, das ersetzt es durch die Beharrlichkeit seiner Einwirkung. Wer hat nicht von den höllischen Gebräuen der Borgia’s, der Marquise von Brinvilliers gehört, welche den Organismus ganz allmählich, aber eben so sicher untergruben, bis das Opfer erlag?

Und so zeigen sich die verderblichen Folgen jener Wasservergiftung weniger in charakteristischen, hitzigen Krankheiten oder den ausgeprägten Zügen einer Arsenik- oder Schwefelsäurevergiftung, als vielmehr in einem schleichenden, die Säfte annagenden Siechthum, welches indessen große Neigung besitzt, anderweitig hinzutretenden Krankheitsstürmen, z. B. Typhus, Ruhr und Cholera zu unterliegen. Aber sollte nicht das in Gegenden schlechten Trinkwassers heimische Heer der kalten Fieber, Gichtbeschwerden, Wassersüchten, Brustübel die Sanitätspolizei auf einen tief wuchernden Krebsschaden aufmerksam machen und belehren, daß Hülfe Noth thut, daß die moderne Cultur jenes mittelalterliche Märchen von der Brunnenvergiftung zu schrecklichem, leibhaftigem Leben gebracht hat?

Der deutsche Staatsbürger kann sich über Vernachlässigung Seitens einer hochweisen Polizei nicht beklagen. Mit Musteraugen bewacht sie sein Kommen und Gehen, sein Thun und Lassen.

Warum erweist sie seinem Essen und Trinken eine so stiefmütterliche, nur den Mahl- und Schlachtgroschen berechnende Aufmerksamkeit? – Schädliche Geheimmittel werden so gut wie straflos öffentlich feilgeboten und verkauft. Zuckerbäcker und noch vielmehr die Tapeten- und Spielzeugfabrikanten versetzen allen Verboten zum Hohn ihre Waaren mit Arsenik. Kein Hahn kräht danach, ob ein Brauer das zu seinem Gewerbe nöthige Wasser zehn Schritt unterhalb der Stelle herholt, wo der Hauptunrathscanal einer Stadt in den Fluß mündet.

Hier ist noch eine würdige Aufgabe für den Thätigkeitstrieb einer wohllöblichen Polizei. Ein wenig mehr Sorgfalt auf den Schutz der wichtigsten Lebensbedürfnisse, und wir wollen ihrem Eifer in allem Uebrigen gern ein wenig Ruhe gönnen. Die Sicherheitspolizei gehe ein wenig bei der Gesundheitspolizei in die Schule. Was eine solche zu thun habe, um das Wasser vor Schimpf und Gift zu wahren, lernen wir aus Pappenheim’s Handbuch der Sanitätspolizei II. Bd. II. Abth. S. 604. Sie hat „festzustellen, von welcher Stelle das Wasser gepumpt werde, was für Ausgüsse in der Nähe dieser Stelle stattfinden, wie das Wasser an der Pumpstelle beschaffen sei, welche Abgänge oberhalb der Pumpstelle in den Fluß kommen, wie die Reservoirs des Werkes beschaffen seien, wie die oberen Schichten des Filtersandes sich betreffs des Schlammgehaltes verhalten, was für Röhren das Werk verwende, wie beschaffen (mikroskopisch und chemisch) das Wasser bei den Consumenten ankomme, ob es event. Blei, und ob es Eisen führe, endlich, ob die Art des Wasserverkaufs ein Aufspeichern des Wassers bei den Consumenten nöthig mache. Diese Feststellungen sind nicht ein für alle Mal, sondern zu verschiedenen Zeiten, mehrmals im Jahre zu machen.“

Und nun bitten wir demüthigst um Verzeihung, wenn ein großer Theil des Folgenden sich mit einem sehr undelicaten und sehr unästhetischen Gegenstände beschäftigt. Fallet nicht in Ohnmacht, geneigter Leser und holde Leserin! Die Regionen, in die wir euch hinabführen, stehen nicht im besten Geruche! Wir befassen uns jetzt mit dem Behälter, der euren der Natur täglich mehr oder weniger reichlich abgestatteten Zoll aufnimmt, mit – („Nachbarin, Euer Fläschchen!“) mit dem Abtritt, und zwar dem Theile desselben, welcher zur eigentlichen Herberge der Excrementalstoffe bestimmt ist.

Die diesem Zwecke dienenden Orte sind entweder unter- oder oberirdisch belegen.

Die unterirdischen bestehen der großen Mehrzahl nach aus besonders dazu eingerichteten Gruben; seltener dient ein unter den Durchgangsröhren befindliches, stehendes oder fließendes Wasser zur Aufnahme der Entleerungen.

Eine nachlässige und fehlerhafte Bauart begünstigt die Durchtränkung des feuchten, umliegenden Erdreichs mit Abtrittsjauche; die mit dieser geschwängerten Bodenflüssigkeiten vereinigen sich nach hydrostatischen Gesetzen mit den benachbarten größeren Wässern (Flüssen, Quellen, Brunnen). Für das Unheil, welches der Genuß eines dermaßen inficirten Trinkwassers anzustiften vermag, sprechen die oben mitgetheilten Belege ganz hinlänglich. Je seltener die Ausräumung dieser Gruben erfolgt, um so größer die Neigung des Bodens zu solchen verderblichen Einsaugungen.

(Schluß folgt.)




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.

Von Claire von Glümer.
X.

Mit Künstlern und Kunstgenossen stand Wilhelmine Schröder-Devrient bis auf wenige Ausnahmen im freundlichsten Verhältniß. Sie war so begeistert für alles Schöne, so liebenswürdig in der Anerkennung jedes Verdienstes, jedes tüchtigen Strebens, vor allem so hinreißend und gewaltig in ihren eigenen Schöpfungen, daß sich der echte Künstler durch den Verkehr mit ihr erhoben, gefördert, begeistert fühlen mußte. Mittelbar, durch den belebenden Einfluß, den sie übte, hat sie vielleicht eben so viel geschaffen, wie durch eigene Thätigkeit. Sie war die Muse, deren Erscheinen genügt, um überall neues Leben, neue Blüthen hervor zu zaubern.

Richard Wagner sagt in seinem Vorwort zu den „drei Operndichtungen“:

… „Die Schröder-Devrient war es, die in mir einen Enthusiasmus edlerer Bedeutung anfachte. Die entfernteste Berührung mit dieser außerordentlichen Frau traf mich elektrisch: noch lange Zeit, bis selbst auf den heutigen Tag, sah, hörte und fühlte ich sie, wenn mich der Drang zu künstlerischem Gestalten belebte.“ – Robert Schumann’s köstliches Lied: „Ich grolle nicht,“ ist nicht allein Wilhelmine Schröder-Devrient gewidmet, es ist gleichsam aus ihrer innersten Seele hervorgeklungen. Und wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_297.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)