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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

die Fabrikation der weißen Waaren; in Plauen, Oelsnitz, Auerbach, Falkenstein, Elsterberg, Pausa und in vielen Dörfern schießt fast in jedem Hause das Weberschiffchen hinüber und herüber, um die Unzahl Stücke Mousselin, Mull, Jaconnet und wie die Waaren sonst alle heißen, besonders auch die in den herrlichsten Mustern prangenden Gardinenstoffe zu fertigen, die von hier aus über die ganze Welt verbreitet werden. Auf den Dörfern aber ist fast kein Haus und keine Hütte, in denen nicht geschickte und fleißige Frauenhände am Stickrahmen arbeiten, um die Tausende von Streifen, Kragen, Taschentüchern, Röcken, Kleidern etc. zu nähen, die alljährlich vom Voigtlande aus der putzbedürftigen Damenwelt in allen Zonen der Erde zugesendet werden.

So sitzt auf unserm Bilde die junge Mutter aus dem Dorfe am Elsterbrunnen mit emsigem Fleiße am Rahmen, von dem sie nur selten den Blick erhebt, um nach dem muntern Säugling zu schauen, der hoch über ihr in jener einfachen Hängemattenwiege, wie sie im obern Voigtlande gebräuchlich ist und häufig auch unter freiem Himmel an den Aesten eines Baumes angeknüpft wird, sich fröhlich schaukelt. Am Sonnabend aber geht sie oder die jüngere Schwester mit den fertig gewordenen „Nestern“ nach Plauen zum Nähherrn, um dort mit hundert andern Genossinnen „abgefördert“ zu werden, d. h. den Lohn zu empfangen und wieder vorgedruckte „Nester“ zu neuer Arbeit zu holen.

Häufig theilt die ländliche weibliche Bevölkerung ihre Zeit zwischen der industriellen und landwirthschaftlichen Beschäftigung; im Winter wird genäht, im Sommer auf Wiese und Feld gearbeitet. Wenn aber die Geschäfte gut gehen und in Folge dessen die Nadelarbeit gut lohnt, haben die Landwirthe nicht selten über Mangel an Arbeitskräften für die Feldarbeit zu klagen und müssen ihre Tagelöhner oft aus fernen Gegenden kommen lassen.

Ist sonach das Voigtland vorzugsweise eine Wohnstätte der Industrie, so steht darum die Landwirthschaft doch keineswegs auf niedriger Stufe und hat sich, besonders seit der Aufhebung der die zum Bessern aufstrebende Thatkraft des Bauers lähmenden Frohnen außerordentlich gehoben. Ueberall, selbst auf der kleinsten Hufe, hat sich eine rationellere Bewirthschaftung des Bodens Bahn gebrochen, wozu die bessere Schulbildung und die landwirthschaftlichen Vereine nicht wenig beigetragen haben. Der echte voigtländische Bauer ist allerdings, wie ja der Bauer überhaupt, dem Neuen nicht ganz leicht zugänglich; aber wenn er sich einmal von den Vorzügen desselben hat überzeugen lassen, ist er klug und strebsam genug, es mit Eifer und Beharrlichkeit ein- und durchzuführen. Ein Gang durch die Dörfer und über die Fluren des Voigtlandes zeigt uns daher einen gewaltigen Unterschied gegen die Zeit vor noch dreißig Jahren, und die voigtländische Landwirthschaft kann sich mit der anderer Gegenden um so stolzer und freudiger messen, als ihr der heimische Boden manche schöne Frucht, die sie erzielt, nur bei der verständigsten und sorgfältigsten Behandlung gewährt, die eine günstigere Lage vielleicht weniger fordert.

Durch die ganze Landesart und die Beschaffenheit des Grund und Bodens ist der Voigtländer besonders auf die Viehzucht hingewiesen. Seine saftigen, mit duftenden Blumen bedeckten Wiesen, die sich in seinen schönen Thälern an den Ufern der Flüsse und Bäche hinziehen, die an würzigen Kräutern reichen Triften, die er noch an den Abhängen seiner Hügel und den Rändern seiner Wälder besitzt, begünstigen ganz vorzüglich die Rindviehzucht, und die echte voigtländische Race genießt in der ökonomischen Welt eine wohlverdiente Berühmtheit. Es ist aber auch für die Laien ein herrlicher Anblick, diese schönen rothen Ochsen und Kühe zu sehen, wenn sie mit ihren kräftigen Gliedern und mit ihren schön geschwungenen Hörnern auf der Weide bald in philosophischer Ruhe daliegen, bald in tollem Uebermuthe „herumbieseln“, oder wenn sie mit ihren spiegelblank glänzenden, messingbeschlagenen Stirnhölzern geschmückt den schweren Erntewagen wie spielend nach der Scheuer ziehen, den Segen Gottes unter sicherem Dache zu bergen. Dabei sehen sie Einen so treuherzig, ehrlich und gutmüthig an, als wollten sie ihre voigtländische Nationalität recht bieder und gemüthlich an den Tag legen. Niemand soll mir sie dumm nennen, diese prächtigen Thiere; der Ausdruck ihres Blickes und ihres ganzen Wesens ist keineswegs der der Dummheit, sondern der ruhigen, bescheidenen, ausdauernden Kraft. Der Voigtländer hält aber auch auf sein Rindvieh, das hier fast mit gänzlichem Ausschluß der Pferde vorzugsweise zur Betreibung des Feldbaues benutzt wird, und ein voigtländischer Knecht ist auf ein schönes Gespann Ochsen eben so stolz und hat sie mit Recht eben so lieb, wie der herrschaftliche Kutscher seiner stattlichen Rosse sich freut. Selbst im Auslande ist die voigtländische Race sehr gesucht, und von den belebten Viehmärkten Plauens und anderer Städte werden Hunderte von Ochsen und Kühen nach fernen Gegenden verkauft, häufig zugleich mit den hier gewöhnlichen Stirnbändern und Geschirren, um die Thiere in der neuen Heimath die alten gewohnten Arbeitsgeräthe nicht entbehren zu lassen.

Wenden wir uns von ihnen noch einmal zu den Menschen, welche auf den Hügeln und in den Thälern des Voigtlandes geboren wurden oder ihre Lebenstage verbrachten. Es ist gar mancher wackere und bedeutende Mann unter ihnen, den das Voigtland mit Stolz zu den Seinigen zählt. Wenigen dürfte es bekannt sein, daß einer der ersten deutschen dramatischen Dichter im Voigtlande lebte; es war Paul Rebhuhn, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts als Pfarrer und Superintendent zu Oelsnitz die Dramen „Susanna“ und „die Hochzeit zu Cana“ dichtete. Der bekannte Oberhofprediger Hoe von Hoenegg zu Dresden, der im dreißigjährigen Kriege als Rathgeber des Kurfürsten von Sachsen auf dessen Politik einen bedeutenden Einfluß übte, verwaltete früher das Superintendenten- und Pfarramt zu Plauen. Auch seinen gelehrten Bauer hat das Voigtland aufzuweisen, in dem Bauer Schmidt zu Rothenacker, der es als Autodidakt dahin brachte, sich gründliche wissenschaftliche Bildung zu erwerben und mehrere Sprachen zu lesen und zu sprechen, nichts destoweniger jedoch nach wie vor seinen Sack Korn auf dem Schiebebock zur Mühle fuhr. Das echteste Kind des Voigtlandes aber ist der edle Dichter Julius Mosen, der Sohn eines Schullehrers in Marieney bei Oelsnitz, der in der duftigen Waldpoesie seiner lyrischen Gedichte, in der Kraft, Innigkeit und Klarheit seiner Lieder und Balladen, in dem treuen, frommen deutschen Sinne seiner vaterländischen Gesänge wie seiner Dramen die ganze Natur und den ganzen Volkscharakter seines Heimathländchens treu wiederspiegelt. – Möchte dem kranken Sänger ein frischer Hauch duftiger Waldesluft von seinen heimathlichen Bergen, aus denen er so reiche Nahrung für sein geistiges und dichterisches Leben schöpfte, Erquickung und Stärkung zuwehen und neue Lebenskraft in die sieche Hülle seines Geistes einzuflößen im Stande sein! –

Vermag auch nicht Jeder, wie der Genius des Dichters, Sinn und Gefühl in des Liedes herrlichem Flusse dahinzuströmen, das mögen wir zum Schlusse von dem Voigtländer im Allgemeinen noch rühmen, daß ein freier, frischer Sinn und ein warmes, inniges Gefühl für des Vaterlandes Wohl und der Menschheit Fortschritt in seinem biedern Herzen wohnt, in seinem Leben thatkräftig sich äußert. Darum haben unter ihm die Giftpflanzen der pietistischen Frömmelei und des niederträchtigen Servilismus nie Boden gewinnen können; eine vernünftige und ungeheuchelte Frömmigkeit, die allem Muckerthum abgesagter Feind ist, und ein offener, warmer Sinn für Licht, Recht und Freiheit sind im Voigtlande zu Hause und werden es hoffentlich, trotz aller Versuche, die hin und wieder gemacht worden, seine Sinnesart in das Gegentheil zu verkehren, unverändert bleiben, so lange seine hohen Fichtenwälder zum Himmel ragen, seine grünen Wiesen lieblich blühen, seine klare Elster frisch und munter über den Felsgrund dahinfluthet.


Kleiner Briefkasten.

F. O. in G. Ob der betreffende Waisenhaus-Vater in Elberfeld mit erwachsenen oder unerwachsenen Mädchen in der Kammer gebetet hat, können wir Ihnen nicht mittheilen.

Br. in W. Bedauern sehr, ablehnend antworten zu müssen. Wir haben mindestens 30 ähnliche Berichtigungen liegen.

? in Ronneburg. Vielleicht haben Sie Recht. Deshalb bleibt die That des Verstorbenen immer eine unpatriotische.

K. in Dbch. Wird nach Wunsch abgeändert werden. Ihr Freund aus Weida ist jetzt glücklicher Ehemann und lebt in Böhmen.

S. K. in Paris. Angekommen und angenommen. Bitte in dieser Weise fortzufahren. Die Ms. Angelegenheit lassen wir bis zur Verhandlung ruhen.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_288.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)