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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

in fragwürdiger Erscheinung, solches Bloßlegen der Wurzeln dient nicht zur Befestigung. In einem wohnlichen Heimwesen denkt man nicht daran, was für Wahrzeichen und Jahreserzeugnisse in den Grundstein gelegt wurden, auf dem das Haus steht …

Indem ich das hier Niedergeschriebene eben überdenke, steht sofort die Gestalt des Freundes vor mir, wie er mir freundlich zulächelt. Glücklich war der Freund, wenn man ihm einen Gedanken in einem Bilde darlegte oder überhaupt in zusammengefaßter Rede sich aussprach. Er klagte oft, daß ihm die Kraft hierzu fehle; er könne das nicht so hergeben, was er in sich habe. Er ließ sich aber auch beruhigen beim Vorhalte, daß die innerste Kraft, zumal des Künstlers, wesentlich nur eine Seite habe, nach der sie sich voll ausdrücke; hätte er die Kraft des Wortes, so würde er sich nicht gedrungen fühlen, seine Worte, seine Gedanken, seine Anschauungen als Figuren herauszumeißeln. Jedes echte Wesen hat seine eigene Sprache, das eine in Farben, das andere in Tönen, das in Erz, das in Worten. – Der Gegensatz unserer beiden Berufsarten trat oft zu Tage. Ich stand jetzt zum ersten Mal und ein volles Jahrzehnt lang im vertrautesten Verkehr mit einem Meister der bildenden Kunst und kannte die Gemüthsbewegungen, die der äußeren Darstellung vorangehen und ständig sie begleiten. Auch den bildenden Künstler verfolgen und begleiten seine Gestaltungen Tag und Nacht auf Weg und Steg; seine Theilnehmung an der Welt ist auch oft nur eine halbe; er hört und sieht und redet und lebt oft wie fremd, wie abwesend in der gegebenen Welt, denn der Hintergrund seiner Seele ist ganz ausgefüllt und gespannt von dem einen Gedanken, von dem einen Gebilde, mit dem er sich trägt, und das Tagesleben erscheint wie traumhaft, wie durch einen Schleier verdeckt. Aber der bildende Künstler hat es leichter, sich der Gespanntheit seines Wesens durch Fixirung seiner Vorstellung zu entledigen, und er hat einen großen Vorzug vor dem Dichter, daß er sein inneres Schauen dem teilnehmenden Freundesblick zu einer einzigen Betrachtung vor Augen stellen kann, während wir an das Nacheinander des Wortes gebunden sind und dadurch nur schwer von fremder Anschauung bestätigt oder berichtigt werden können.

Ich betrachte es als ein großes Glück, daß ich theilnehmcn konnte an dem Wirken und Schaffen eines Mannes, der in erster Reihe zu denen gehört, die die Größe unseres zeitgenössischen Culturlebens bilden. –

Das Jahr 1846 gehört zu den glücklichsten meines Lebens. Ich hatte mich schon im Vorfrühling in Dresden angesiedelt, das ich im Herbste vorher kurz besucht hatte. Es war ein Kreis trefflicher Freunde, in den ich mich bald eingeschlossen fühlte. Ich weiß nicht wie es kam, schon in der ersten Zeit hatte ich ein ganz besonders vertrauliches Verhältniß zu Rietschel. Ich traf ihn eines Nachmittags bei Robert Reinick, und dieser sagte: „Es kommt mir widersprechend vor, daß man „Sie“ zu Dir sagt.“ – „Und mir auch“ stimmte Rietschel bei. Wir umarmten uns alle Drei, und der gute Reinick war so voll von dieser Stunde, daß er sagte: „Wir können jetzt nicht in der Stube bleiben, wir müssen in’s Freie.“ Wir gingen hinaus in den hellen Frühlingsabend, dort den Weg nach Blasewitz, am „weiten Kirchhof“ vorbei, wo jetzt Reinick ruht, nach dem Birkenwäldchen, und dann an der Elbe entlang nach der Stadt zurück. Die Sonne ging prächtig unter über den Lößnitzer Höhen, und ich weiß nicht mehr wer von uns es sagte: „Das sind Stunden, das sind Blicke in’s Leben, um derentwillen es sich verlohnt auf der Welt zu sein.“

Wir saßen dann noch bis spät in der Nacht dicht am Elbufer, im sogenannten italienischen Dörfchen, bei Speise und Trank; und hier, wie später noch oft, war viel davon die Rede, daß die blasirte Welt jedes heiße Empfinden, jedes treue, innige Versenken in die Tiefe des Augenblicks und in das Leben des Andern gern mit dem Ketzerwort „sentimental“ brandmarken möchte. – Rietschel sagte mir damals, daß er in den nächsten Tagen ein Relief von mir machen wollt. Ich arbeitete in jenem Sommer an der Erzählung „die Frau Professorin“, und daneben wurde das Buch „Schrift und Volk“ vollendet. Auch der „Gevattersmann“ war im vollen Gang, wozu mir Ramberg bereits einige treffliche Zeichnungen machte. Alles war voller Leben, und die Nachmittagsstunden, die ich in Rietschel’s Atelier und dann im kühlen Schatten der Linden auf der Terrasse mit ihm zubrachte, waren voll innerster Erquickung. Wir erzählten einander die Geschichte unseres Lebens, und ich will es nur gleich hier sagen: daß wir Beide uns aus kümmerlichen Verhältnissen heraufgearbeitet, daß wir Hunger und Noth in der Jugend kennen gelernt hatten, das bildete immer einen tiefen Grundton unserer Vereinigung. Oft und oft kam Rietschel wieder darauf zurück, daß wir uns am besten verstehen, weil wir Beide Noth und Elend kennen gelernt. Eine gewisse Zaghaftigkeit und – daß ich es nur geradezu bekenne – eine gewisse Verletzlichkeit, die Jedem, der seine Jugend in Noth verbracht, lebenslang anhaftet, verstanden wir Beide am besten zu erkennen und einander zu deuten. Jenes übermüthig Angrifsslustige, jenes schnell Fertige, jene zu Schutz und Trutz gerüstete Geistesgegenwart, die der hat, der immer gesichert im Leben stand, sich nie zu beugen, zu demüthigen, stille zu sein hatte, wie der in Armuth steht und Wohlthaten zu empfangen hat – das legten wir einander hundertfältig aus. Aber Armuth und Noth giebt auch etwas Besseres und Höheres. Man lernt die Wahrheit, die Güte, die Opferwilligkeit und freundliche Hegung der Menschen kennen, wie ein auf sich Gestellter, in geschützten Verhältnissen Erwachsener sie nie erfährt. Es bildete jetzt und später oft den Gegenstand unseres Gesprächs, daß wir es nicht verstehen könnten, wie Menschen leben mögen, die nicht an die wahrhafte Güte, an den Edelsinn und die Reinheit in der Welt glauben; und noch mehr, wie es Künstler geben kann, die das Schöne, das Wahre, das Höhere bilden und schaffen, und doch der Ueberzeugung sind, daß es in Wahrheit in der Welt nicht besteht.

Rietschel wohnte damals noch in seinem eigenen Hause in der „Langegasse“. Gleicher Erde wohnte Julius Hübner, eine Treppe hoch Bendemann, zwei Treppen hoch Rietschel. Es war ein vergnügliches Sein dort im Hause. Sehr viel Erheiterung gab ein Besuch von Gottfried Schadow, der seinen besondern Spaß daran hatte, daß Männer, und namentlich Officiere in Uniform, den, wie er es nannte, kindischen sächsischen Dialekt sprächen. Er speiste deshalb oft im Gasthofe, um das mit anzuhören. Der alte Schadow sagte einmal, daß er noch wenig solche humane Geistliche gefunden, wie ich einen in der Erzählung „die Sträflinge“ geschildert habe. Rietschel stellte sich auf meine Seite, daß es deren mehr gäbe, als man bei dem religiösen Hochmuth und der dogmatischen Ausschließlichkeit glauben möchte. Der alte Schadow erzählte auch, daß ihm Friedrich Wilhelm IV. einmal beim Eintreten zugerufen: „Voilá, göttlicher Schadow!“ – pas encore, Majesté!“ erwiderte Schadow. – Rietschel, der mit mir am offenen Balcon stand, fragte mich: „Sprichst Du gut französisch?“ Ich erwiderte ihm, daß ich nicht nur nicht gut, sondern sogar sehr schlecht spräche, daß ich in meiner Jugend genug zu thun hatte, noch vor meiner Militärpflichtigkeit das Abiturientenexamen zu machen, und das Französische als nicht obligatorisch sehr vernachlässigte, was mir noch immer nachgeht. Rietschel war auch hierin unserer Gleichheit froh und sagte, daß ihn der Mangel im Französischen sehr viel hindere und ihn namentlich Fremden gegenüber scheu und befangen mache. Als mich St. Reué Taillandier im Jahre 1854 in Dresden besuchte und ich eines Abends die Freunde mit ihm in meinem Hause versammelte, fragte mich Rietschel sofort beim Eintritt: „Er spricht doch deutsch?“ – „Allerdings.“’ Und nun war er den ganzen Abend besonders froh. Damals war noch die glückliche Zeit, wo er noch ein Glas Wein trinken durfte, und nie hat es einen Menschen gegeben, der frömmig dankbarer war für alle Gaben der Natur, der mit größerer Mäßigkeit genoß, als Rietschel. Auch das ist uns, die wir aus der Armuth stammen, eigen, und sehr leicht wird diese behagliche Freude an Speise und Trank und der freien Fülle des Lebens als Genußsucht von den im Wohlleben Erwachsenen mißdeutet.

Es war ein Pfingsttag – ich weiß nicht mehr in welchem Jahre – ich hatte unterwegs Maiblumen gekauft und gab sie nun Rietschel beim Eintreten. Ich sehe noch, wie er mit einer Art fieberischer Hast daran roch und dabei sagte: „Du weißt gar nicht, was mir diese Blumen sind, und gar heute! Wenn ich Maiblumen rieche, so habe ich eine der tiefsten Erinnerungen meines Lebens; sie erwecken ganz Namenloses in mir. Es war an einem Pfingstmorgen ganz in der Frühe, da ging ich mit meinem Vater hinaus auf einen Berg“ – er nannte den Namen, ich weiß ihn nicht mehr. – „Ich war damals sieben oder acht Jahre alt. Es war ein wunderbar heller Morgen, und die Sonne brütete schon auf der Wiese. Da zeigte mir mein Vater etwas in der Ferne,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_281.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)