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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zwei schmale Treppen am Hause herablaufen, und rechts daneben die beiden dunkeln Fenster; dort ist mein Zimmer. Ein paar Steinchen, an die Scheiben geworfen, werden mir Nachricht von Ihrer Ankunft geben. Ich werde dies Gewebe durchdringen, und sollte ich es auch nur der Ehre meines Vaters halber thun. Jetzt gehen Sie gerade nach der vordern Gitterthür – und so gute Nacht bis morgen!“

Er fühlte einen warmen Händedruck, sah aber im nächsten Augenblicke auch die zurückeilende Mädchengestalt im Dunkel des Laubganges verschwinden.

Reichardt schlug langsam den Heimweg ein, aber er fühlte sich wie in einem halben Rausche. Dieses warme Vertrauen, mit welchem die reiche, strahlende Harriet ihn umfing, setzte sein ganzes Blut in Erregung, während die Familien-Verhältnisse, in welche er sich hineingezogen sah, ihm sein augenblickliches Leben als das abenteuerlichste, in das er nur hätte gerathen können, erscheinen ließen. Er vergegenwärtigte sich das Gesicht dieser bleichen Frau, in deren Auge es wie verborgene Gluthen schimmerte – er wußte nicht, ob er sich so plötzlich zu ihrem Gegner hätte machen lassen, wäre es nicht um dieses Pfaffen willen, welcher das Heiligthum der Familie beschmutzte, und dieses Young wegen, bei dessen erstem Anblicke er sich eines instinctmäßigen Widerwillens nicht hatte erwehren können, geschehen. Wie hätte er sich übrigens auch dem Willen des seltsamen Mädchens, das fast alle seine Schritte geleitet, entziehen können, wenn er auch vielleicht gewollt hätte? Er schüttelte lächelnd den Kopf, als er die einzelnen Scenen des Abends an sich vorüberziehen ließ. Er war fast kaum mehr als eine gehorchende Maschine in ihrer Hand gewesen, und doch lag in diesem Anspruch auf seinen Gehorsam eine Vertraulichkeit, gegen deren Macht es kaum einen Widerstand gab.




Es war bereits spät am Morgen, als Reichardt durch das Geräusch, welches Bob durch das Umwerfen eines Stuhls verursachte, aus dem Schlafe gerissen wurde.

„Frühstück ist längst vorüber, Sir,“ grinste der Schwarze, als der junge Mann in seinem Bette rasch aufsaß, „und ich meinte, es sei besser, Sie von der Zeit zu benachrichtigen!“

„Beim Teufel!“ rief der Deutsche nach einem Blicke auf seine Uhr, und war mit beiden Füßen auf dem Boden, in seine Kleider fahrend. – „Etwas Neues, Bob?“ fragte er nach einer Weile, als er den Schwarzen mit einem halb verlegenen Grinsen noch immer an der Thür stehen sah.

„Nichts Besonderes, Sir,“ erwiderte dieser, mit der Hand nach seinem Wollkopfe fahrend, „ich habe nur die ganze Nacht geträumt, ich wäre im Osten und spielte die Fiedel!“

„Müßt Eurem Herrn sagen, Bob, daß er Euch hingehen läßt!“

„Mich hingehen läßt? Mr. Curry? Ohe!“

„Also nichts zu machen?“ sagte Reichardt, der sich über die letzte Grimasse des Negers des Lachens nicht erwehren konnte, „kennt Ihr Euern Herrn so genau?“

„Ob ich ihn kenne, Sir!“ erwiderte der Schwarze mit einem Ausdrucke im Gesichte, dessen Eigenthümlichkeit dem jungen Manne auffiel. „Ich war, ehe er mich hierher that, immer zunächst um ihn, bin Kirchendiener gewesen, Sir – o, ich kenne ihn, Sir!“

Ein noch halb unklarer Gedanke tauchte in Reichardt’s Kopfe auf. „Ich habe Mr. Curry gestern Abend gesehen, in Mr. Burton’s Hause,“ sagte er, während er fortfuhr, sich mit seinem Anzuge zu beschäftigen, „er scheint ein Freund von hübschen Ladies zu sein, was?“

Der Schwarze ließ ein eigenthümliches Klucksen hören und zog den Kopf in die Schultern. „Mag sein, Sir,“ erwiderte er, „aber Alles nur um ihres Heils willen!“

„Habe auch keinen andern Gedanken gehabt,“ erwiderte Reichardt lächelnd. „Aber,“ fuhr er, wie von einer andern Erinnerung berührt, fort, „unter solchen Umständen wißt Ihr wohl auch, Bob, woher die besondere Freundschaft zwischen dem Mr. Young und Euerm Herrn kommt, da doch ihr Alter eben so verschieden ist als ihre Kirche?“

Der Neger sah ihn plötzlich mit aufgerissenen, starren Augen an. „Wissen Sie etwas davon?“ fragte er nach einer Pause halblaut. „Ich – ich habe Ihnen nichts gesagt, Sir!“

Reichardt wandte sich nach dem Spiegel, um seine augenblicklichen Empfindungen bei der Antwort des Schwarzen zu verdecken.

„Und wenn Ihr mir etwas gesagt hättet, was thät’s?“ versetzte er, sich das Halstuch umlegend; „ich bin fremd hier und verlasse in den nächsien Tagen den Ort; was ich weiß, habe ich durch Zufall erfahren, und es interessirt mich nur, weil mir die Verhältnisse hier überhaupt merkwürdig sind.“

Bob war einen Schritt näher getreten. „Sie gehen wieder nach dem Osten, Sir?“ fragte er zögernd.

„Wahrscheinlich!“ entgegnete Reichardt leichthin.

Der Schwarze schien zum Sprechen anzusetzen, zog aber nur zwei wunderbare Grimassen und lachte dann verlegen. Seine weiteren Aeußerungen wurden indessen durch den Ton der Hausglocke, welcher ihm durch alle Glieder zu zucken schien, abgeschnitten. „Ich sehe Sie wieder, Sir, wenn Sie es erlauben!“ sagte er eilig und war in rascher Wendung zur Thür hinaus.

Reichardt sah ihm nach und nickte nachdenklich mit dem Kopfe. „Hier scheint sich wirklich ein Loch finden zu lassen, wenn man es recht angreift – es fragt sich nur, wie!“ brummte er und machte einen Gang durch das Zimmer. Ein Blick auf seine Uhr aber schien ihn aus seinen Gedanken zu reißen. „Werden ja sehen, was sich thun läßt,“ sagte er, „jetzt vorläufig das Nächste und Nothwendigere!“ Er beendete eilend seinen Anzug und ging dann hinab, um sein Frühstück einzunehmen. Nach wenig Minuten aber schon war er auf dein Wege nach Burton’s Hause, um Nachricht über das Ergebniß der gestrigen Verhandlung einzuholen. Harriet’s Vater empfing ihn mit demselben biedern Wohlwollen, welches schon bei dem ersten Begegnen mit ihm den jungen Mann so angenehm berührt hatte.

„Well, Sir,“ sagte er, als Beide sich in einem der Parlors niedergelassen hatten, „unsere Angelegenheit ist, soweit es den Geldpunkt anbetrifft, vollkommen in Ordnung. Eine kleine Schwierigkeit nur wünschten meine Freunde, nachdem sie sich gestern mit dem Prediger und den Trustees ausgesprochen, vor Antritt Ihres Amts noch beseitigt zu sehen, und ich fürche nicht, daß Sie dabei auf große Hindernisse stoßen werden. Wir haben bis jetzt meist die Einigkeit in der Gemeinde bewahrt, und diese zu erhalten ist es, was dem Prediger wie den Trustees am meisten am Herzen liegt. Es ist eine kleine Anzahl von Mitgliedern unter uns, welche jede Neuerung haßt, welche sich auch der Anschaffung der Orgel widersetzte, bis sie kräftig überstimmt wurde, und die jetzt durch Anstellung eines tüchtigen Musikers als Organist weitere Neuerungen fürchtet. Es gehört leider ein großer Theil unserer Sänger zu dieser Opposition, die jedenfalls, wenn wir unsern Willen in Bezug auf Sie durchsetzen wollten, sofort das Chor verlassen würden. Nun haben wir eigentlich nur einen einzigen Mann hier, welcher die Orgel kennt und den Gottesdienst leiten kann, das ist Mr. Young, den Sie ja bereits haben kennen lernen. Sobald Sie sich mit diesem verständigen – Was gar nicht fehlen kann, da er selbst keinen Nutzen für seine Stellung an der Kirche hat und er Ihre Fähigkeit in jeder Weise anerkennt – so fällt jeder Halt für die Opposition von selbst weg. Ich glaube einigen Einfluß auf den Mann zu haben, und wenn es Ihnen recht ist, so machen wir ihm heute oder morgen einen Besuch und ordnen die Sache.“

Reichardt hatte den Sprechenden ausreden lassen, ohne eine Miene zu ändern, obgleich die Ahnung, welche bei der „kleinen Schwierigkeit,“ die noch zu überwinden sei, in ihm aufgestiegen war, bei der Erwähnung von Young’s Namen zur vollen Gewißheit in ihm wurde – daß seines Bleibens hier nicht sein könne.

Er war sich jetzt vollkommen klar über die Bedeutung von Young’s hämischer Frage am vergangenen Abende, er wußte nun sicher, daß dieser allein die Seele der sich kund gebenden Opposition bildete, und doch konnte er nicht einmal etwas von seinem bestimmten Verdachte äußern, ohne bei einer Begründung desselben Harriet’s erwähnen zu müssen.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_276.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)