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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Seiten angeknüpft, und als Reichardt das Thema zart und geschmackvoll schloß, konnten die Töne vor dem lauten Summen der allgemeinen Unterhaltung kaum zu dem nächsten Hörer gelangt sein.

Unangenehm berührt sah der Spielende auf und machte eine Pause, als wisse er nicht, ob fortzufahren oder zu enden.

„Nur vorwärts, Sir, ich habe Ihnen vorausgesagt, daß Sie eine Niggerarbeit thun werden,“ klang ihm die Stimme Harriet’s in’s Ohr, welche so eben zu seiner Seite eins der Notenbücher aufschlug, „das Schwatzen ist Hinterwaldsmode, an die Sie sich nicht stoßen dürfen; es ist übrigens kaum Jemand hier, der Ihre Musik würdigen könnte – “

„Singt der Gentleman nicht?“ ließ sich eine einzelne Stimme hören.

„Richtig, singen Sie etwas, es hilft wenigstens zur Abwechselung!“ lachte Harriet. „Kümmern Sie sich indessen einmal nicht um die ganze Heerde, wie sie hier geht und steht, und denken Sie, wir Beide wären allein – “

„Aber ich kenne kein einziges Lied mit englischem Texte,“ erwiderte er.

„So singen Sie preußisch, italienisch oder russisch – aber nur vorwärts, die Leute verlangen Musik zu ihren Gesprächen!“

Reichardt ließ die Finger präludirend über die Tasten laufen, ohne sogleich zu wissen, was zu beginnen; da klang ihm aus der Erinnerung plötzlich Mathildens frische Stimme in’s Ohr, und ein Gefühl fast wie Heimweh überkam ihn unter dieser „Heerde“ von geputzten fremden Menschen; mochten sie jetzt schwatzen, er wollte sich nicht darum kümmern, wollte sich nur selbst genug thun, und mit voller Seele begann er, die zweite Stimme kräftig auf dem Piano, hervortreten lassend:

„Zieh’n die lieben gold’nen Sterne
Auf am Himmelsrand,
Denk ich dein in weiter Ferne,
Theures Heimalhland.“

Ort und Zeit begannen ihm zu schwinden; er war wieder in New-York mit der „Schwester“ zusammen, voll der zuversichtlichen Hoffnungen der ersten Tage nach seiner Ankunft; er hörte des Mädchens klare Töne wieder, wie sie ihn damals überrascht hatten, und fast unbewußt begann er die für die Violine geschriebene Durcharbeitung des Themas auf dem Piano nachzuahmen. Er beachtete es nicht, daß die Unterhaltung um ihn her zu stocken begann, daß nach und nach eine lautlose Stille unter den Anwesenden eintrat, er that nur seinem innern Bedürfniß genug, und fast überraschte es ihn, als er, nach dem Schlusse aufsehend, ringsum die Augen auf sich gerichtet fand.

„Ich denke, Sir, wenn Sie unserm Chor nur ein Stückchen von dieser Art zu singen beibringen, so können wir uns gratuliren, Sie hier zu haben!“ sagte der alte Burton herantretend und ihm die Hand reichend, und damit schien auch der Bann des Schweigens, welcher auf der übrigen Gesellschaft zu liegen schien, gebrochen zu sein; in einem immer lauter werdenden Summen begann die allgemeine Unterhaltung wieder; als Reichardt sich aber erhob, traf er auf Harriet’s Augen, welche mit einem seltsamen Ausdruck an ihm hingen.

„Ich habe keine Idee von den Worten, die Sie gesungen,“ sagte sie, den Blick wegwendend, „ich könnte Sie aber lieb haben für dies Lied – da!“ rief sie sich unterbrechend, als die Tanzmusik sich wieder hören ließ, „ ich möchte jetzt die Nigger aus dem Hause jagen!“

Anders schienen indessen die Empfindungen der übrigen Gesellschaft zu sein; bei den ersten Tönen der „Fiedel“ und des Tambourins begannen die Männerfüße halblaut den Takt zu treten, die Damen bogen graziös Taille und Schulter, und davon rauschten die Paare im lustigen Galopp.

„Ich denke Ihre Angelegenheit heute noch vollständig in Ordnung zu bringen,“ sagte Burton wieder, zu dem Deutschen tretend, „mag Ihnen aber jetzt deshalb keinen weitern Zwang auflegen – besuchen Sie mich morgen früh, sobald Sie ausgeschlafen haben und amüsiren Sie sich jetzt so gut als möglich!“

Ein bedeutsamer Blick Harriet’s, welche sich an ihres Vaters Arm gehangen hatte, traf den jungen Mann, und nach wenigen Secunden folgte dieser, als der Letzte, langsam der übrigen Gesellschaft nach den Vorderzimmern.

Eine Stunde lang mochte sich Reichardt in ziemlicher Langeweile zwischen den tanzenden Gruppen umher getrieben haben; er hatte Young einige Male bemerkt, welcher wie mit finstern Gedanken beschäftigt an den Wänden der Zimmer hinschritt; von der Dame des Hauses war indessen ebensowenig wie von dem methodistischen Prediger zu entdecken; ebenso schien Harriet unsichtbar geworden zu sein, und der Deutsche überlegte eben, ob er nicht am besten thue, den Weg nach seinem Hotel zu suchen, als er plötzlich des Mädchens Stimme dicht neben sich hörte. „Nehmen Sie Abschied von Pa, Sir, er steht dort in der zweiten Thür, und gehen Sie; wenn Sie aber den äußersten Eingang zum Vorplatz des Hauses verlassen haben, so wenden Sie sich rechts um die Einzäunung, bis Sie auf eine kleine Hinterthür treffen. Ich werde in zehn Minuten dort sein.“

Reichardt war seit gestern so an das verdeckte Sprechen gewöhnt, daß er bei ihren Worten nicht einmal den Kopf gedreht hatte. Er wandte sich, wie ihm angewiesen war, nach dem Hausherrn, der ihn in bester Laune aufforderte, doch wenigstens noch die kurze Zeit bis zum „Supper“ zu bleiben und dabei „in aller Stille“ ein paar Gläser Wein mit ihm zu trinken, wogegen Jener sich mit nichts Anderem als einem heftigen Kopfweh zu helfen wußte, und nach Kurzem trat er in die dunkele Nacht hinaus, in welcher das Sternenlicht nur die größeren Gegenstände ungewiß abzeichnete. Leicht fand er es indessen, der weiß angestrichenen Einzäunung zu folgen, und nach kurzem Gange ruhte seine Hand an der bezeichneten Thür. Sie öffnete sich ohne Schwierigkeit, und Reichardt befand sich, soviel er wahrnehmen konnte, in einer Art dichtbewachsener Laube. Ehe er indessen noch daran dachte, eine genauere Inspektion seiner Umgebung anzustellen, hörte er schon das leichte Rauschen von Frauengewändern in der Nähe und unterschied im gleichen Augenblick Harriet’s helle, sich aus dem Dunkel heraushebende Gestalt.

„Ich bin hier!“ sagte er gedämpft, als sie am Eingänge der Laube zögernd ihren Schritt anhielt.

Sie trat rasch ein und wandte sich nach der Seite. „Hier ist eine Bank, setzen Sie sich neben mich! “ sagte sie. Reichardt gehorchte, fühlte aber schnell, daß der Sitz kaum Platz für Zwei bot, und fand sich halb bedeckt von Kleidern, deren Duft in dieser nächtlichen Einsamkeit einen noch kaum gekannten Reiz auf seine Nerven ausübte. Er fühlte, wie das Mädchen sich vergeblich bestrebte Raum zu schaffen und sich dann rasch wieder erhob.

„Bleiben Sie, wo Sie sind!“ rief sie halblaut, als der junge Mann ihrem Beispiele folgen wollte; „ich hatte mir vorgenommen, nicht wieder im Dunkeln mit Ihnen allein zu sein; da es sich aber nicht ändern läßt, so bleiben wir wenigstens von einander so weit als möglich. Jetzt erzählen Sie mir klar und genau, was Sie in Saratoga erlauscht, Sie haben jetzt vielleicht einen Begriff der Wichtigkeit, welche jedes Wort für mich hat!“

Reichardt erzählte so genau, als ihm nur sein Gedächtniß treu war.

„Es ist so! es ist so!“ sagte sie, nachdem der Deutsche geschlossen, „der Heuchler ist in diesem Augenblicke noch in ihrem Privatzimmer mit ihr zusammen – es muß ein Ende damit werden, aber ich darf die Thatsachen um der Ehre meines Vaters halber jetzt nicht benutzen – ich darf ihr noch nicht einmal mit einem andeutenden Worte entgegentreten, denn das erste Wort müßte auch der Vorläufer des letzten sein, und wo liegt ein Beweis, daß über die Grenze einer häuslichen Religions-Uebung hinausgegangen worden wäre? – Wenn ich wüßte, welche Bande diesen Young mit dem methodistischen Heuchler verbänden, es sollte bald Vieles klar sein – aber ich werde erfahren, was ich brauche, ich werde die Schlange spielen, wenn es sich nicht anders thun läßt! – Kommen Sie jetzt, damit ich nicht vermißt werde!“ fuhr sie fort und streckte die Hand nach ihm aus, die er ergriff und fest hielt.

„O,“ sagte sie mit weicherem Tone, während sich ihre Finger um die seinigen schlossen, „Sie denken an Saratoga, aber der Augenblick ist zu ernst für Tändeleien; warten Sie, bis der Weg klar ist! Jetzt folgen Sie mir nach der Vorderthür; ich möchte nicht, daß Jemand Sie hier das Haus verlassen sähe.“

Sie hatte ihn zur Seite gezogen, wo innerhalb der Umzäunung ein Laubgang an dieser hinlief, und schritt hier, ihm halb voran, dem Hause zu. Erst als das helle Licht aus den Fenstern auf ihren Weg zu fallen drohte, blieb sie stehen. „Ich werde Sie morgen am Tage nicht sehen,“ sagte sie leise, „ich erwarte Sie aber gegen Mitternacht wieder hier, wo wir jetzt stehen, falls ich Sie sprechen müßte. Sie sehen dort den Balcon, von welchem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_275.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)