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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ein Deutscher

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Reichardt begann wieder mechanisch in dem Notenbuche zu blättern – er war in einer so sonderbar erregten Stimmung, wie er sie noch kaum gekannt. Der Anfang eines Familien-Drama’s stand vor ihm – er zweifelte keinen Augenblick, daß Harriet’s Stiefmutter es gewesen, welche er in Gesellschaft des methodistischen Tartüffe belauscht, daß die „brünstige Liebe“, mit welcher sie den „Bruderkuß“ des Pfaffen erwidern sollte, sich bei ihr eingefunden; er zweifelte auch nicht, daß Harriet’s scheue Andeutungen sich nur auf ein derartiges Verhältniß bezogen. Das Mädchen aber hatte ihn mit einem so völligen Aufgeben aller Schranken oder Rücksichten zu ihrem Vertrauten gemacht, als gäbe es überhaupt kaum noch etwas zwischen ihnen zu verbergen, als sei es nur natürlich, daß er ihre Interessen zu den seinigen mache, und ihr ganzes Wesen, mit welchem sie sich ihm geistig an’s Herz zu werfen schien, hatte ihn tiefer aufgeregt, als ein körperliches Hingeben es nur vermocht hätte.

Aus den übrigen Räumen klang die Negermusik und das Rauschen der tanzenden Paare; Reichardt fuhr aber aus dem halben Träumen, in welches er verfallen war, erst auf, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. „Sie tanzen nicht, Sir?“ hörte er des alten Burton Stimme, „very well“, so kommen Sie für ein paar Minuten mit mir. Wir müssen heute noch dafür sorgen, daß Sie einen Boden unter sich bekommen, wie ich merke, und ich denke, wir schaffen es fertig – Harriet gäb’ mir sonst in einem Jahre kein freundliches Gesicht wieder.“ Er hatte leicht den Arm des jungen Mannes ergriffen und leitete ihn nach dem obern Stock hinauf, wo sich ein Zimmer vor ihnen öffnete, das augenscheinlich zum Rückzugsquartier für die älteren männlichen Gäste eingerichtet war. Der Mitteltisch zeigte Flaschen mit Spiritussen nebst Gläsern und Cigarren, während auf einzelnen Nebentischen Kartenpackete zum Gebrauch bereit lagen; jetzt indessen schien die kleine Anzahl von Männern, welche zerstreut auf Divans und Stühlen umher saß, in einem angelegentlichen Gespräche begriffen zu sein.

„Ich sehe, beim Teufel, keinen Grund, was die Einwendungen eigentlich sollen,“ hörte der junge Mann beim Eintritt eine Stimme, und erkannte in dem leichten Cigarrenrauche lauter bereits vor Augen gehabte Gesichter. „Mr. Reichardt, Gentlemen!“ rief der Hausherr, seinen Begleiter in sichtlich guter Laune vorstellend. „Well, Sir,“ rief die frühere Stimme, „nehmen Sie ein Glas und setzen Sie sich her. Wir suchten eben zu errathen, wen Sie in den zwei Tagen Ihrer Anwesenheit schon auf den Fuß getreten haben. Sie entsinnen sich vielleicht, daß ich Sie am Sonnabend mit dem Gentleman dort am Fenster nach dem Hotel begleitete, und daß wir uns freuten, einen Mann von Ihrer Bildung unter uns zu bekommen. Well, Sir, trotzdem und trotz Ihres Orgelspiels hat sich bereits eine Opposition gegen Sie gebildet, welche indessen beseitigt werden wird, und wir theilen Ihnen nur die Sachlage mit, damit Sie unsere Maßregeln verstehen. Sagen Sie uns nur, gerade so offen, als Sie vorgestern sich vor Ihrem Hotel aussprachen, haben Sie einen Gedanken, wer hier Grund haben könnte, eine Abneigung gegen Sie zu fühlen?“

Reichardt nahm einen Schluck von dem Rothwein, welchen der Festgeber ihm eingeschenkt, und brannte sich langsam die ihm offerirte Cigarre an. „Es giebt Abneigungen,“ sagte er dann, „die sich wohl beim ersten Begegnen fühlen lassen, für welche sich aber kaum ein bestimmter Grund angeben läßt. Treten Sie harmlos einer Eidechse in den Weg, und sie wird mit haßerfülltem Herzen davon schießen – möglicherweise aber habe ich auch hier einer Eidechse den Weg gekreuzt –“

Ein johlendes Gelächter der Versammelten unterbrach ihn. „Das wird es sein! – So ist es!“ folgten die Ausrufe, „der vernünftigste Grund, der sich finden läßt!“ Reichardt fürchtete im ersten Augenblick, er habe mehr verrathen, als er beabsichtigt; die nachfolgenden Verhandlungen aber zeigten ihm, daß der von Harriet entlehnte Ausdruck für nichts als einen schlagenden Witz genommen worden war.

„Well, Gentlemen,“ begann der Hausherr, „das Einfachste, um aller Opposition entgegenzutreten, mag sie nun heißen wie sie wolle, ist, heut Abend durch Zeichnung den nöthigen Betrag für die Existenz unseres musikalischen Gastes aufzubringen, und ich bin sicher, daß wenn die Sache einmal fertig ist, Niemand von der Gemeinde, der nicht irgend einen persönlichen Grund hat, sich von der Beisteuerung ausschließen wird. Gehen wir vorläufig, um auch dem Vorsichtigsten zu genügen, ein Uebereinkommen für sechs Monate ein – der Betrag ist dann kaum nennenswerth für den Einzelnen, und unser junger Freund erhält dennoch Zeit genug, um sich hier bekannt zu machen, einzubürgern und den Contract dann auf seine eigenen Verdienste hin zu verlängern–“ er wandte sich fragend nach Reichardt.

„Ich bin vollkommen mit Allem einverstanden, was die Herren zu beschließen für gut finden,“ erwiderte dieser, sich leicht verbeugend; „ich habe in meiner kurzen Anwesenheit die Stadt und ihre Bewohner lieb gewonnen und würde gern hier bleiben, wenn mir eben nur so viel würde, um meine Privatmittel nicht weiter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_273.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)