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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

duftigen Fichtenwaldes, dessen kerzengerade Stämme vom weichen, reinlichen Moosteppich gleich den Säulen eines gothischen Domes zum Himmel emporstreben und ihr dunkles Grün von dem frischen Laube weißstämmiger Birken malerisch abheben, wer die Reize saftiger, smaragdgrüner Wiesengründe, die an hellen, munter rieselnden Flüßchen und Bächen sich hinziehen, wer die Schönheit in sanften Wellenlinien sich erhebender Hügel und stiller, lauschiger, mit würzigen Kräutern und Feldblumen geschmückter Thäler zu würdigen und zu empfinden versteht, der wird das Voigtland gewiß mit zu den schöneren Gegenden des Vaterlandes zählen und mindestens der Langweiligkeit jener weiten, wenn auch fruchtbareren Flächen des sächsischen Niederlandes vorziehen, wenn es gleich mit den überwältigenden Alpenhöhen Tyrols, den reizenden Rebenhügeln der Rheinufer, den prächtigen Buchenwäldern Thüringens nicht zu prangen vermag und, wie nicht zu leugnen ist, einzelne öde und einförmige Landstriche aufzuweisen hat.

Auch die Fruchtbarkeit der gütigen Mutter Natur ist keineswegs so ärmlich und dürftig, wie der wohlhäbige Sammtbauer der Lommatzscher Pflege, der das Voigtland vielleicht nur von Hörensagen kennt, sich wohl einbilden mag. Seine Erzeugnisse beschränken sich nicht blos auf Holz, Kartoffeln (hier „Erdäpfel“) und Waldbeeren, obwohl es in diesen Artikeln gerade das Trefflichste leistet. Die Wälder freilich sind seit 30 bis 40 Jahren bedeutend gelichtet worden; doch hat das Waldrevier noch große Strecken schönen Holzes, das namentlich in den ausgedehnten Staatswaldungen, wie in den umfangreichen Gemeindewäldern der Stadt Plauen, durch rationelle Forstcultur sorgfältig gepflegt wird. Die Kartoffeln, die gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein voigtländischer Bauer aus England zuerst nach Deutschland brachte und die deshalb lange Zeit „voigtländische Knollen“ hießen, bilden freilich leider das Hauptnahrungsmittel der ärmeren Classen, sind aber von vorzüglicher Güte. Seine Waldbeeren, die Preißelsbeeren, die Heidelbeeren und die Walderdbeeren (letztere gewöhnlich nur „schwarze“ und „rothe“ Beeren genannt) gereichen dem Voigtlande gewiß nicht zur Schande; werden sie doch zum Theil in ferne Gegenden ausgeführt, und vorzüglich die kleine, purpurne, duftige, würzige Walderdbeere ist eine Frucht, um die manche mit den edelsten Südfrüchten prangende Gegend das gute Voigtland beneiden kann. Aber auch außer diesen besonders heimischen Erzeugnissen ist das Voigtland nicht so arm an den Gaben der mütterlichen Erde. In den weiteren Thälern, den Ufern der Elster und auf den mäßigen Höhen, die sich an ihnen hinaufziehen, wogen die Roggen-, Weizen- und Rapsfelder in üppiger Pracht, und die im vorigen Herbst veranstaltete Ausstellung des voigtländischen Gartenbauvereines zeigte neben einer Fülle der herrlichsten Blumen auch die edelsten und feinsten Obstsorten, riesige Gurken, saftige Melonen und – selbst in dem berüchtigten Weinjahre 1860! – schöne blaue und grüne, wenn auch etwas harte, doch ziemlich reife Weintrauben. Unter ihrer Oberfläche birgt die Erde manche Schätze in nicht ganz unbedeutenden Eisen- und Kupferlagern, und die Göltzsch führt sogar Goldsand, der früher auch ausgewaschen wurde, ohne jedoch die Kosten zu lohnen; die Elster aber führt bekanntlich Perlenmuscheln mit schönen Perlen, deren das grüne Gewölbe zu Dresden einige von hohem Werthe besitzt. – Das Voigtland hat demnach des Schönen und Guten so Manches, und nicht unverdient ist das Heimathsgefühl, mit dem seine echten Kinder ihm in Liebe und Treue zugethan zu sein pflegen.

Ein kräftiger, biederer, offener und treuherziger, genügsamer und fleißiger Volksstamm ist es, der das Voigtland bewohnt, in seinem Wesen und Leben dem Erzgebirger, dessen Lande das höhere Waldrevier ähnelt, nahe verwandt und doch in mancher Hinsicht sehr von ihm verschieden. Mit ihm theilt der Voigtländer die Geradheit und Gutmüthigkeit des Charakters, die Genügsamkeit und Sauberkeit der Lebensweise, die Frohsinnigkeit des Gemüths und die Ausdauer in der Arbeit; aber während man bei den Bewohnern des höheren Erzgebirges, wenigstens der ärmeren Classen, häufig einem etwas gedrückten und übermäßig demüthigen Wesen begegnet, blickt der Voigtländer freier und selbstbewußter in die Welt, und kommt dem Fremden, zwar meist ohne die Förmlichkeiten der sprichwörtlich gewordenen sächsischen Höflichkeit, aber mit gastlicher Freundlichkeit offen entgegen. Auch in seiner äußern Erscheinung ist er stattlicher und kräftiger als jener, und im Allgemeinen mehr von hohem und schlankem, als von kurzem, untersetztem Wuchse. Die eigenthümliche Stammesart des Voigtlandes hat sich freilich mehr nur auf dem Lande erhalten, als in den Städten, welche fast alle bedeutende Industrieorte sind und als solche durch den fluthenden Verkehr der Neuzeit eine Menge fremder Volkselemente aus allen deutschen Gauen und selbst aus dem Auslande in sich aufgenommen haben. Der voigtländische Bauer jedoch zeigt noch in vielen Seiten seiner Erscheinung und seines Lebens die alte, hergebrachte Art. Eine eigene Volkstracht, wie z. B. der Tyroler oder der Altenburger, hat er zwar kaum noch, oder höchstens in einzelnen Stücken der Kleidung. Ueberhaupt ist es ein eigenes Ding um die Kleidung des Landvolks, welche der Städter nicht selten für uralte, herkömmliche Volkstracht ansieht, während sie doch nur alte Moden zeigt, die vor 50, 60, ja 100 Jahren die allgemeine Tracht auch der Städter waren, und sich langsam bis auf’s Land hinaus Bahn brachen, wo sie sich wieder länger fort erhielten, als in den beweglicheren Lebenskreisen der Stadt.

So sah man den älteren voigtländischen Bauer in seinem Sonntagsstaate noch vor 30 bis 40 Jahren hin und wieder mit dem Dreimaster, dem langen Rocke ohne Kragen mit tellerartigen Metallknöpfen, kurzen Beinkleidern und Schnallenschuhen prangen – einer Tracht, die in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts jeder ehrsame und angesehene Bürgersmann trug; die grauen aber mochten damals in ihrem steifen, engärmeligen Corset (voigtländisch: „Karschett“) und ihrem dicken, faltigen Rocke so ziemlich als Copien unserer Urgroßmütter gelten.

So geht denn heutzutage der voigtländische Bauer des Sonntags in bürgerlicher Tracht von etwas veraltetem Schnitte, mit runter Mütze oder steifem Filzcylinder einher, und nur die Wahl bunter Stoffe und Muster zu Weste und Halstuch verräth seinen ländlichen Geschmack. Standhaft hat er aber bis jetzt das unnatürliche Zwitterkleid des Frackes von sich abgewiesen, außer wenn es die Etiquette der Residenz Einem als bäuerlichem Landtagsabgeordnelen aufgedrungen, und bleibt bei seinem langen Rocke, der nur bei der Arbeit, zumal von der Jugend, mit der kurzen Jacke vertauscht wird. Neben dieser tuchenen Festtagstracht hat er jedoch als Werkeltagskleid fast überall noch den rockartig gemachten Kittel und die Hosen aus grober blauer Leinwand beibehalten, und diese Kleidung allein mag man als die eigenthümliche bäuerliche Volkstracht des männlichen Voigtländers betrachten. – Die Bäuerinnen kleiden sich in faltige Röcke von verschiedenen Farben und Stoffen. Am beliebtesten ist noch immer der wollene sogenannte „Dresdner Rock“, meist von scharlachrother Farbe mit schmalen schwarzen oder andersfarbigen Längenstreifen. Den weiten Ausschnitt des von anderem Stoffe gemachten Mieders bedeckt züchtig das große bunte, auf der Brust über einander gelegte, auf dem Rücken dreieckig bis zur Taille herabfallende Halstuch. Dabei zeigen sich die Mädchen im Hause bei der Arbeit und Sonntags beim Tanze in den kurzen, weißen Hemdärmeln, die immer sauber und reinlich, beim Tanze sogar nicht selten mit feinen garnirten oder spitzenbefetzten Ueberärmeln bedeckt sind. Diese Tracht steht[WS 1] den frischen, kräftigen Mädchen sehr schön, weil sie ebenso natürlich wie sittsam ist und doch die Anmuth der oft schönen, schlanken Gestalten nicht verbirgt.

Schwerfälliger und überladener zeigt sich die Bäuerin, wenn sie ihren vollen Putz angelegt hat, um zur Kirche oder nach der Stadt zu gehen. Denn dann bekleidet den Oberkörper noch das dicke „Karschett“, das in jetziger Zeit mit den unschönen Bauschärmeln der Damenmode der Steif- und Reif-Aermel, wie sie vor dreißig Jahren getragen wurden, kläglich nachhinkt, und die mehreren Röcke, die dann wohl über einander angezogen und noch von der weiten Schürze fast ganz bedeckt werden, geben der Gestalt ein ziemlich plumpes Aussehen, das keineswegs der Natur zur Last zu legen ist. Zeichnet sich diese Tracht vor der ländlichen Kleidung mancher andern Gegenden nicht eben besonders aus, so ist dagegen die Kopfbedeckung der Frauen dem Voigtlande ganz eigenthümlich, nämlich die „Haube“, eine Art Mütze von Pappe in Form eines abgestumpften Kegels, mit schwarzem Zeuge überzogen und einem Tuche, das vorn eine Schleife bildet, umwunden. Getragen wird sie so, daß sie nicht senkrecht auf dem Kopfe sitzt, sondern nach Art der im Nacken liegenden modernen Damenhüte mehr wagerecht vom Hinterkopfe hinaussteht; sie wird unter dem Kinne mit Bändern festgebunden und ist hinten mit schwarzseidenen Schleifen versehen, deren lange Enden bis auf den Rücken herabfallen; ihre Hauptzierde aber ist der „Haubenfleck“, d. i. der besondere Ueberzug des Deckels, der bei älteren Frauen oft nur von dunklem Sammt, bei jüngeren aber von buntem Stoffe in den verschiedensten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: läßt
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_268.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)