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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Augen aus; andere wurden bei den Füßen paarweise oder lebendig aufgehangen, da sie sich einander todtbeißen mußten. Einige wurden gesengt, andere mit Katzen zu Tode gepeitscht. Das Allerlächerlichste ist, wenn man sie erst beim Schwanze festhält, daß sie aus allen Kräften ziehen, und dann den Schwanz abhaut; da fahren sie einige Schritt voraus und drehen sich, wenn sie den Schwanz missen, über zwanzig Mal im Kreise herum. Dennoch ließen sie sich nicht warnen und von unseren Hütten abhalten; und zuletzt sah man unzählige ohne Schwanz oder mit zwei oder drei Beinen auf der Insel herumlaufen.

Wenn diese geschäftigen Thiere einer Sache Nichts anhaben können, wie z. B. Kleidern, die wir zuweilen ablegten, so loseten und harnten sie darauf; und dann geht selten Einer vorbei, der dies nicht thun sollte. Aus Allem ersehe man, daß sie hier nie einen Menschen mußten gesehen haben und daß die Furcht vor den Menschen den Thieren nicht angeboren, sondern auf lange Erfahrung gegründet sein müsse.“

Nach solcher Beweisführung glaube ich, daß wohl keiner meiner Leser mehr an meiner Wahrhaftigkeit zweifeln wird. –




George Sand.

Eine Erinnerung von Schmidt-Weißenfels.

Keine sechs Poststunden von dem alten, düsteren Chateauroux, der Hauptstadt des Indredepartements, im ehemaligen Herzogthum Berry, liegt auf einer sanften Anhöhe das Schloß Nohant[WS 1]. Die Fenster des nicht allzualten, halb im Rococostyl erbauten Schlosses leuchten auf die schöne Chaussee, welche an einem kleinen, freundlichen, ausnehmend reinlichen Dorfe vorüberführt, hinter welchem sich dann sogleich Wiesen und Park und Garten bis hinauf nach dem Herrensitz ziehen.

Hier ist der Wohnsitz der bedeutendsten Schriftstellerin Frankreichs, ja der bedeutendsten Schriftstellerin überhaupt. Hier wohnt Madame Dudevant, berühmt unter dem Namen George Sand. Dies Schloß Nohant war der Schauplatz ihrer Kindheit gewesen; hier hatte sie bei der Großmutter, Madame Dupin von Francueil, die sonderbarste Erziehung erhalten, fechten, reiten und schießen gelernt und auf wilden Streifereien durch das Land ihre Phantasie mit den Bildern jener Burgen, Dörfer und Menschen erfüllt, denen man in so vielen ihrer Werke begegnet. Nach einigen Jahren Aufenthalt in einem Kloster, in dem sie etwas gebändigt werden sollte, ohne es zu werden, kam sie wieder auf Schloß Nohaut, um ihrer Großmutter die Augen zuzudrücken. Dann ward sie, kaum sechzehn Jahr alt, einem Capitain Dudevant verheirathet, der weder Marquis noch Edelmann überhaupt, nicht einmal von Geburt war, dagegen ein kalter Egoist mit sehr viel Schulden, dem das Vermögen seiner Frau und ihr Schloß mehr galt, als sie, die nicht mit Schönheit, aber mit Geist und mit einem liebedurstigen Herzen glänzen konnte. Lansac im Roman „Valentine“ halte ich durchaus für die Copie des Herrn Dudevant, der denn auch ganz so handelte, wie Lansac. Als seine Frau ihm ihr Leid gestand, lachte er sie aus; als sie unglücklich war, suchte er sein Vergnügen anderswo; als sie sich von ihm trennte, hatte er nichts dagegen, insofern sie ihm nur das Schloß und das Vermögen ließ. Er gab ihr 1200 Francs jährlich, und damit lebte Aurora Dudevant in Paris in einer Mansarde mit ihren zwei Kindern, bis sie seit Anfang der dreißiger Jahre durch die Schriftstellerei Geld und Ruhm erwarb.

Die Noth hatte sie, wie so Viele, zum Schriftsteller gemacht. Sie begann beim „Figaro“; Henri de Latouche, damals Redacteur des einflußreichen „Figaro“, selbst ein talentvoller Dichter und besonders als Mentor der literarischen Jugend von hohem Verdienst, führte das junge, verlassene Weib, damals 27 Jahr alt, in die literarische Carriere ein. Dieser Umstand ist wenig bekannt, ebenso, daß ihre ersten Versuche, die sie allein machte, kaum die Höhe der Mittelmäßigkeit erreichten.

Erst mit Jules Sandeau’s Hülfe eignete sich das junge Weib, dessen innerer Drang und zurückgehaltene Macht der Empfindungen noch nach keinem klaren Ziele steuerten, die nothwendige literarische Routine an. Sandeau war ihr Freund, um nicht zu sagen, ihr Geliebter; er begleitete sie auf ihren Spaziergängen, er suchte ihre Lage zu bessern, er lieh ihr seinen Griffel für ihr Talent. Aurora Dudevant gestand später, daß sie ihn nicht geliebt, aber als Freund geachtet; auch war sie undankbar gegen ihn, denn sie trennte sich von ihm, als sie oben auf der Staffel des Ruhmes stand, an die er sie geführt. Wie dem auch sei, mit Jules Sandeau zusammen schrieb die junge Frau den Roman „Rose und Blanche“, der 1832 zuerst erschien und für den beide Autoren, nicht ohne viel Mühe, 100 Francs vom Verleger erhielten. Der Roman trug den Autornamen „George Sand“, den Madame Dudevant von nun für sich adoptirte und zu einem Glanze erhob, der den Vater desselben, Jules Sandeau, gänzlich verdunkelte.

Trotz des geringen Ersolges von „Rose und Blanche“ ermunterte sie Latouche dennoch, ihr schriftstellerisches Wirken fortzusetzen. George Sand schrieb darauf den Roman „Indiana“, welcher zuerst in der „Revue des deux Mondes“ 1832 erschien. Indiana machte George Sand berühmt.

Aber fast mehr noch erfüllte ihr Name die literarischen und gesellschaftlichen Kreise wegen des Processes, den sie gegen ihren Gatten führte. Dieser Proceß hatte in socialer Beziehung fast dieselbe Bedeutung, wie ihn der Beaumarchais’ gegen den Parlamentsrath Götzmann in politischer Beziehung hatte. Hinter Beaumarchais wie hinter Madame Dudevant stand ein großes Princip. Man denke nur daran, daß zu der Zeit, als dies unglückliche und noch dazu geistreiche Weib von ihrem unwürdigen Gatten das Vermögen zurückverlangte, die socialen Kreise, die Literatur und namentlich die gesammte Frauenwelt von den saint-simonistischen Lehren, von der Emancipationsidee und den Gedanken einer Reform der bürgerlichen Gesellschaft, besonders der Ehe, erfüllt waren. Der Papst Enfantin spukte noch in den Köpfen, der Saint-Simonismus predigte seine Theorien, das Weib und seine Stellung waren Gegenstand tiefer socialer Untersuchungen, Emancipationsclubs entstanden, das junge Deutschland – Gutzkow’s[WS 2] „Wally“, Mundt’s „Madonna“, die Schriften von Wienbarg, Laube und Kühne plaidirten für dieselben Grundsätze und erschreckten sogar den deutschen Bundestag in Frankfurt. Und nun trat ein Weib auf, eine Schriftstellerin, welche alle diese Theorien in Wirklichkeit anwandte, das Recht der Frauen muthvoll gegen die angebliche Uebermacht des Mannes verfocht! George Sand gewann ihren Proceß, und die Gesellschaft beruhigte sich dadurch. Sie ward geschieden, erhielt ihr Vermögen und ihr Erbschloß Nohaut zurück und setzte nun ihrerseits ihrem ehemaligen Gatten eine Pension aus.

So zog sie denn wieder als Schloßherrin auf Nohaut. Sie war als eine flüchtige Ehefrau daraus geschieden; sie betrat es wieder als ein siegreiches Weib, als eine gefeierte Schriftstellerin, deren Romane in ganz Europa Erstaunen und Bewunderung erregten und sie in Wahrheit bei lebendigem Leibe zu einer Mythe machten. George Sand! Das war der Inbegriff eines kühnen Weibes geworden, welches sich gegen die Gesetze der Gesellschaft gebäumt, die Sitten verachtet, das Ideal einer emancipirten Frau präsentirte. Was erzählte man nicht Alles von ihr! Sie ritt, sie focht, sie schoß mit Pistolen wie ein Capitain vom Genie; sie war in Paris in Mannskleidung auf den Boulevards spazieren gegangen, den blauen Dampf ihrer Cigarrette keck den jungen Damen unter die Nase blasend, Arm in Arm mit ihren Freunden flanirend, die Reitgerte durch die Luft pfeifen lassend, lachend so laut und herausfordernd wie ein preußischer Gardelieuteuant, ausgelassen in Allem, ein Art Abnormität, weiblichen Monstres!

Hundert Anekdoten erzählte man von ihr, um dieses tolle Weib zu kennzeichnen, die Phantastik dieses Genies zu illustriren. Mäuse wurden Elephanten, und Lüge, Verleumdung, Klatsch und das menschliche Vergnügen, Seltsames noch seltsamer zumachen, schufen zuletzt eine George Sand, die gar nicht existirte, die eine Fabel war. In Paris, dem scandalsüchtigen Paris, trieb man förmlichen Cultus mit dem Romantisiren der berühmten Schriftstellerin, und das Ausland betete Alles nach, machte die Pariser Quincaillerie sogar noch zu plumpen Fabrikartikeln. Wundern konnte man sich darüber nicht, denn über Schriftsteller und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage mehrfach: Nohaut
  2. Vorlage: Gutzow’s
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_265.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)