Seite:Die Gartenlaube (1861) 261.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Begieb Dich zu Frau von Colombier, sie erwartet in mich. Willst Du?“

„Ich will, Bonaparte.“

„Sage ihr, ich könnte nicht erscheinen.“

„Wann willst Du kommen?“ fragte Demarris.

„Niemals! In einer halben Stunde fahre ich die Rhone hinab nach Marseille, von dort nach Corsica, nach Ajaccio; ich weiß nicht, wann ich zurückkehren werde. Ich habe meinen Urlaub vom Obristen geholt, habe ihn sofort erhalten. So geh, lieber Demarris, geh und entschuldige mich. Sage ihnen, daß meine Pflicht mich forttrieb, die Pflicht gegen mein Vaterland, daß ich ihr folgen muß, daß mein Schicksal es so will, daß ich nicht anders kann!“

Demarris stand erstarrt. „Napoleon!“ rief er endlich verwirrt und warnend, „hast Du nicht auch andere Pflichten?“

„Keine, die mich abhalten könnte, dieser höchsten und ersten zu folgen, keine, die mich zwänge, sie zu vergessen. Ich habe einen schönen Traum geträumt, dabei muß es bleiben. Ich bin nicht für Weiberliebe geschaffen, Demarris, Du hast es mir oft gesagt und Du hast Recht. Ich bin auch kein Gegenstand, der Unglück und Verzweiflung anstiftet. Fort also, mein Freund; sei glücklich, Du wirst es sein!“

Demarris war noch immer betäubt, aber er lächelte bei den Betheuerungen Napoleons über seinen Beruf zur Liebe. „Ich werde Dich entschuldigen,“ sagte er, „werde Dich vertheidigen.“

„Gut, gut, richte es zum Besten ein, wie es für Dich und mich paßt, und lebe wohl, bis wir uns wiedersehen!“ rief Bonaparte, und indem er ihn umarmte, trieb er ihn fort und kehrte nachdenklich dann zu Pozzo di Borgo zurück.

Seine Arme verschränkend und ihn fest anblickend, blieb er vor ihm stehen, der sich niedergesetzt hatte und anscheinend in vollkommener Ruhe den Rest der Kirschen verspeiste, welche noch auf dem Tische lagen.

„Du begreifst,“ sagte Napoleon, „daß dies so sein muß.“

„Die Speculation drohte schlecht auszufallen,“ lächelte Andrea.

Napoleons Gesicht wurde gelbgrauer. „Liebe!“ rief er, „Du hörtest, was ich darüber sagte. Es ist eine untergeordnete Leidenschaft, die beherrscht und überwunden werden muß, wenn die edelsten und höchsten menschlichen Tugenden es gebieten.“

„Ich kenne sie nicht, mein lieber Napoleon,“ erwiderte Pozzo di Borgo sanftmüthig die Achseln zuckend, „weiß auch nicht, ob ich sie jemals kennen lernen werde. Doch was ich von ihr gehört habe, läßt mich beinahe glauben, daß sie der reinste und edelste Quell alles Göttlichen sei. Es giebt jedoch nichts, was nicht zum Zerrbild verunstaltet und lächerlich gemacht werden könnte.“

„Sie wird mich bald vergessen und einsehen, daß ich recht gethan,“ antwortete Napoleon mit unterdrückter Heftigkeit. „Unter diesen plötzlich eingetretenen Verhältnissen würde die kluge Mutter schnell anderen Sinnes geworden sein. In Paris ist keine Empfehlung für mich mehr möglich, und wenn ich ihr erklärt hätte, daß ich nach Corsica wollte, um dort für die Sache des Volkes einzutreten, würde sie so wenig wie Beatrice daran Gefallen gefunden haben.“

„Sie könnten wohl andere Vorschläge machen,“ erwiderte Pozzo di Borgo und blickte ihn an.

„Dies aber bleibt mir jetzt allein über,“ fuhr Napoleon rascher fort. „In Corsica werden bald zwei große Parteien sich bekämpfen.

Die Partei, welche die Corsen bei der Freiheit und bei Frankreich erhalten, und die, welche sie in die alte Wildheit und Verlassenheit zurückreißen will.“

„Zu ihrem uralten Rechte und ihrer Unabhängigkeit,“ sagte Andrea.

„Unabhängigkeit!“ rief Napoleon, „wohin hat sie geführt? Zu Mord und Elend.“

„Der Präsident wird zurückkehren,“ antwortete Andrea, „und sein Werk vollenden.“

„Was wird er aus Corsica machen? Ein Stückchen Erde voll Herren und Knechte, von Advocaten regiert, vielleicht wohl gar zuletzt unter englischen Schutz gestellt und aufgesogen von diesen Krämern.“

„Immer bester,“ sagte Andrea, „als eine Beute von Speculanten, denen Alles feil ist, selbst Freiheit und Vaterland, wenn sie dadurch ihre Zwecke erreichen können.“

Napoleons Gesicht erstarrte noch mehr. Ein Zucken lief dabei um seine Lippen, er konnte sich kaum noch beherrschen. „Wir werden uns in Ajaccio wieder begegnen,“ sagte er.

„Es ist schade, daß wir nicht zusammen reisen können, Napoleon. Aber ich muß nach Paris, um zu sehen, was für des Präsidenten Zurückberufung aus der Verbannung gethan werden kann.“

„Und dann, Carlo Andrea?“

„Dann wird Corsica wieder ein Haupt und eine Seele haben.“

„Er, der Greis!“ schrie Napoleon, „aber Du, sein Arm und sein Geist neben ihm.“

„Wenn ich zu seinem Ruhme beitragen kann, will ich gewiß nicht fehlen.“

„Das war es?“ rief Napoleon, und eine corsische Gluth loderte in seinen Augen auf. „Darum wolltest Du mich in Frankreich wohl versorgt zurücklassen?“

„Ein Franzose muß in Frankreich am glücklichsten sein,“ lächelte Pozzo di Borgo, „und nach Allem, was Du als wahr und gewiß betheuertest, ertheilte ich Dir den verlangten Rath offen und ehrlich.“

„Ehrlich!“ versetzte Bonaparte verächtlich, „laß uns offen und ehrlich sein. Deine Theilnahme für mich war Falschheit, ich verstehe Deine Zwecke. Seit wir denken können, hassen wir uns, und dieser Haß wird uns begleiten, so lange wir leben.“

„Wer weiß das, mein lieber Napoleon?“ sagte Andrea.

„Ich!“ erwiderte dieser heftig, „ich! Wir werden uns in Corsica schnell wieder gegenüber stehen.“

„Wir werden Beide für die Freiheit kämpfen.“

„Du für die Freiheit, wie sie Paoli im Sinne hat, ich für die Freiheit des Menschengeschlechts, für die Grundsätze der Revolution! Du wirst davon abfallen. Du hassest diese Lehren, Du hassest Frankreich und hassest mich.“

„Und Du,“ antwortete Carlo Andrea, „Du liebst nur Dich, nichts Anderes auf Erden. Diese glühende Selbstsucht wird der Strom sein, der Dich verschlingt.“

„Ha!“ rief Napoleon, „Du wirst Corsica und Paoli verlassen, wirst den Despoten Dich in die Arme werfen und ihr Werkzeug werden. So wirst Du enden!“

„Und wie wirst Du enden? “ fragte Andrea.

Sie standen sich Beide gegenüber und blickten sich mit starren, durchbohrenden Augen an, als läse der Eine in der Seele des Andern, und vor ihnen enthüllte sich die Zukunft in wunderbaren und schrecklichen Bildern.

„Laß uns scheiden,“ sagte endlich Napoleon kalt. „Wir werden Beide thun, was wir vermögen, und werden erfahren, was uns bestimmt ist. Geh’ Deinen Weg, Carlo, aber hüte Dich. Es kann sein, daß ich Dich einst erschießen lasse.“

„Ich werde Dich nicht tödten, Napoleon,“ erwiderte Pozzo di Borgo mit seinem steckend scharfen Lächeln, „aber ich werde Dir Dein Grab graben. – Lebe wohl!“


Und sechsundzwanzig Jahre später stand der russische General und Minister Carlo Andrea Pozzo di Borgo in seinem glänzenden Cabinet in Paris und hielt in der Hand ein Papier, das er mit demselben scharfen Lächeln betrachtete. Es war die Bestätigung über des gefangenen Kaisers Napoleon Schicksal. Pozzo di Borgo vornehmlich hatte seine Fortführung nach St. Helena gefordert und durchgesetzt.

„Ich habe gehalten, was ich ihm versprochen,“ sagte er. „Wir thaten Beide, was wir vermochten, das Schicksal hat über uns entschieden. Ich trieb ihn aus Corsica und ließ ihn verbannen, seine Anhänger vertrieben mich. Aber ich durchwanderte Europa, ihm Feinde aufzuwecken; ich war es, der die Cabinete zum Krieg trieb, ich schürte den Haß der Fürsten und der Völker, ich trieb Bernadotte zum offenen Bruch mit ihm, ich bewog die Feldherrn zum raschen Zug auf Paris. – So stieß ich ihn vom Throne, stieß seinen Sohn aus Rom und jetzt – habe ich ihn nach Helena gebracht. Dafür hat er mich gehaßt und verfolgt,“ fuhr er fort, „gefürchtet und bedroht wie keinen Anderen. An ihm lag es nicht, wenn sein Gelöbniß nicht zur Wahrheit wurde.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_261.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)