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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Das sind Ereignisse, die Niemand ahnen konnte!“

„Es konnte Niemand sie ändern, weder ich noch Du.“

„Nein! aber was wird nun geschehen?“

„Demarris,“ sagte Napoleon, „ich kenne Dich, Du wirst immer das thun, was sich für Deinen edlen Sinn ziemt.“

„Wahrhaftig, das werde ich!“ rief Demarris freudig. „Du kannst Dich darauf verlassen.“

„Pozzo di Borgo hat mich so eben verlassen. Er theilte mir Alles mit.“

„So weiß er es auch schon. Der Oberst hat die Nachricht in diesem Augenblick erhalten.“

„Von wem?“

„Von dem Commandanten von Lyon. Von dem Grafen Barandon.“

„Von Lyon!“ sagte Napoleon und er betrachtete den Lieutenant mit Blicken voll Besorgniß. „Sei ruhig, mein armer Demarris, Du bist sehr aufgeregt. Laß uns kaltblütig bleiben.“

„Ei zum Henker!“ rief Demarris, „wer kann da kaltblütig bleiben? Das ist ein Ereignis;, das ganz Frankreich in fruchtbare Aufregung bringen muß. Du scheinst die Folgen nicht überlegt zu haben.“

„Ich habe Alles wohl überlegt, mein Freund.“

„Nun, so weißt Du vielleicht noch nicht Alles. Necker ist nicht allein abgesetzt und aus Frankreich verjagt, Paris nicht allein im Ausstande, auch die Bastille ist erobert. Die französischen Garden haben mit dem Volke gemeinschaftliche Sache gemacht, die deutschen Regimenter verjagt. Das Invalidenhaus wurde geplündert, dreißigtausend Gewehre, alle Kanonen vom Volke genommen, die Schweizer in der Bastille wurden niedergeschossen, General Delauncy, der Commandant, ermordet. Sein blutiger Kopf, seine Hände, der Kopf Flosselle’s, des Handelsgerichts-Prasidenten, wurden auf Piken durch die Straße getragen.“

Napoleon hörte stumm diese wunderbare, schicksalsvolle Neuigkeit, doch nichts verrieth seine Ueberraschung. Er stand mit verschränkten Armen, unbeweglich, seine Augen weit geöffnet.

„Die Revolution hat begonnen!“ sagte er, als Demarris schwieg.

„Eine Nationalgarde hat sich in Paris gebildet, Lafayette ist an ihrer Spitze,“ fuhr Demarris fort. „Die Armee ist zurückgezogen, sie soll aufgelöst, Broglie entlassen werden. Nationalgarden entstehen überall.“

„Das Volk wird siegen!“ rief Napoleon. „Die Revolution wird siegen!“

„Wie wird sie enden!“

Napoleon antwortete nicht, er blickte über die Rhone hinaus. „Sind diese Nachrichten schon in Valence verbreitet?“ fragte er.

„Noch nicht, man verheimlicht sie noch, um Maßregeln zu berathen, möglichen Unruhen vorzubeugen. Aber wie lange soll das währen? Kaum ein paar Stunden.“

„Höre, Demarris!“

„Was willst Du, lieber Napoleon?“

„Schweige gegen Jedermann.“

„Das will ich Dir versprechen. Auch der Oberst hat es mir befohlen. Es giebt manche unruhige Köpfe, selbst im Regimente, die ihm Sorge machen, aber diese – diese haben jetzt an andere Dinge zu denken.“ Er warf einen halb freundlichen, halb scheuen Blick auf den Freund. Napoleon schien nichts zu hören und nichts zu bemerken.

„Komm in einer Stunde wieder her zu mir, Demarris,“ sagte er, „ich habe Dir etwas mitzutheilen. Etwas Wichtiges, das uns Beide angeht.“

„Ah!“ rief Demarris, und eine plötzliche Nöthe schoß über sein Gesicht. „Du willst mir mittheilen – ich werde kommen, Bonaparte, doch ich sage Dir –“

„Jetzt laß mich allein!“ unterbrach ihn dieser. „Geh! geh! lieber Demarris.“

Diese letzten Worte wurden so bewegt und mit solcher Hast hervorgestoßen, daß Demarris verstummte und sich entfernte. Kaum war er hinaus, so warf Napoleon den Rock ab, die Uniform über, steckte den Degen an und drückte den Hut auf sein wirres Haar. So folgte er Demarris rasch nach.



5.


Nach einer Stunde kam Pozzo di Borgo. Er hatte sich sauber angekleidet und blieb erstaunt stehen, als er Bonaparte an seinem Schreibpulte fand, wo er Papiere, Karten und Bücher zusammenräumte. Um ihn her lag Alles in Unordnung. Ein großer Kasten stand neben dem Pulte, in der Mitte des Zimmers ein Koffer, Kleider und Wäsche lagen auf den Stühlen, sammt allerlei anderen verschiedenartigen Dingen.

„Ein interessantes Bild der babylonischen Verwirrung!“ lachte Pozzo di Borgo. „Aber warum bist Du noch nicht im Staat?“

„Setze Dich, Carlo, ich muß nothwendig erst damit fertig sein,“ antwortete Napoleon, „und Ordnung schaffen.“

„Ein Hausvater muß an Ordnung denken, aber was sollen Koffer und Kisten? Das sieht aus, als wolltest Du reisen.“

„Es kann wohl so sein,“ nickte Napoleon freundlich.

„Heute noch?“

„Ich glaube es beinahe.“

„Also bist Du auch dessen schon sicher, lieber Napoleon? Es ist Alles entschieden?“

„Entschieden für immer, Carlo. Du sollst es erfahren, gedulde Dich nur noch kurze Zeit.“

„Du hast Recht,“ sagte Carlo Andrea, „wer das Glück vor sich sieht, muß nicht zögern, es zu benutzen. Was wird aber aus Deiner Geschichte Corsica’s werden?“

„Sie muß unvollendet bleiben.“

„Das ist schade, doch wohlbedacht, denn in Deinen neuen Verhältnissen würde diese Arbeit vielleicht nicht passen.“

„Ich kann damit warten,“ erwiderte Napoleon, und seine Augen glänzten muthwillig, „bis die nächsten Jahre Stoff zu einigen neuen interessanten Capiteln liefern, was doch wohl zu erwarten ist.“

„Wirklich, es kann so kommen!“ rief Pozzo di Borgo, „und möglich genug, daß Du dann das Ganze umarbeiten mußt.“

„Wenn ich Zeit dazu habe!“ lachte Napoleon und packte eifrig weiter. „Aber ich fürchte, lieber Carlo, daß ich sobald nicht wieder dazu gelange.“

„Weil andere Thaten Dich rufen! Du siehst sehr heiter aus, Napoleon. Bedenkst Du nicht auch, was Du hier zurücklassen mußt?“

„Gewiß bedenke ich es,“ sagte Bonaparte und warf den Kopf in die Höhe. „Aber bin ich dazu geschaffen, bei einem Weibe zu sitzen und ihr die weißen Hände zu küssen?“

„Der neue Cäsar, den die Welt erwartet!“ lachte Andrea.

„Erst der Ruhm, dann die Liebe!“ rief “Napoleon. „Erst das Volk, dann die Familie. Das macht mich frei und leicht und nimmt alle Zweifel von mir, mein lieber Carlo. Und jetzt bin ich fertig, und hier kommt Demarris. Hierher, mein Freund, Du kömmst zur rechten Zeit. Erzähle ohne Zurückhaltung, was Du gehört hast; Pozzo di Borgo wird so erfreut darüber sein, wie wir es sind.“

„Daß Paris im Ausstande und die Bastille erstürmt ist, rufen sich die Leute schon auf den Straßen zu,“ sagte Demarris.

„Wahrhaftig!“ rief Andrea, „ist es so weit?“

„Aber die nächste Nachricht ist die,“ fuhr der Lieutenant fort, „daß Necker zurückgerufen ist und von Paris mit Begeisterung erwartet wird.“

„Was sagst Du dazu?“ fragte Bonaparte.

„Du wirst zur glücklichen Stunde erscheinen, um den tugendhaften Minister einziehen zu sehen,“ erwiderte Andrea. „Ich bin überrascht und erstaunt zwar, doch es ließ sich voraussehen, es mußte so kommen. Der König kann jetzt keinen Widerstand mehr leisten, er wird sich in die Arme des Volkes werfen.“

„Aber das Volk nicht mehr in seine Arme!“ rief Napoleon.

„Die Revolution ist da, die Armee aufgelöst. Jetzt gilt es bei Volk und Vaterland zu stehen.“

„Dazu wirst Du Gelegenheit genug finden, mein lieber Napoleon.“

„Ich habe sie! ich bin dabei!“ schrie Bonaparte, ergriff Demarris beim Arm und sah ihn mit seinen schwarzen, funkelnden Augen durchdringend an. „Ich fordere von Dir einen großen Freundesdienst,“ begann er, „doch ich weiß, daß ich mich auf Dich verlassen kann.“

„Fordere was Du willst, Bonaparte,“ erwiderte Demarris, während sein Gesicht sich dunkel röthete. „Ich bin bereit.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_260.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)