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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Demarris starrte ihn an.

„Nun,“ lachte Carlo Andrea, „hat Ihr Oberst denn nicht ganz verständig gesprochen? Ist das nicht eine sehr vortheilhafte Partie für einen jungen Lieutenant von einundzwanzig Jahren? Ist die Familie nicht von Einfluß? Wird der Schwiegersohn der Frau von Colombier nicht sehr bald Capitain sein, nach, Paris berufen werden und dort sein Glück machen können?“

„Ja, ja,“ murmelte Demarris, „das wird er. Er ist geschickt, ehrgeizig, kühn. Ich dagegen – ich!“ Er senkte seinen Kopf und fuhr fort: „O, Herr Pozzo di Borgo, daran habe ich niemals gedacht. Nicht an ihr Geld, nicht an den Familieneinfluß. Ich wollte nur sie, ihr Herz, dies allein, und es schien mir, als dürfte ich darauf hoffen.“

Pozzo di Borgo zuckte die Achseln, in seinem Lächeln lag ein verächtliches Mitleid. „Was berechtigt Sie denn, daran zu verzweifeln?“ erwiderte er. „Die Herzen der Frauen sind die Schlachtfelder für ihre Bewerber, und das Glück ist mit dem Muthigen. Wie es auch mit Bonaparte sein mag, kämpfen Sie mit ihm um die Gunst der schönen Dame, machen Sie ihm jeden Zoll breit Raum streitig und erringen Sie den Sieg. Ich glaube, er kann Ihnen nicht allzu schwer werden.“

Einige Augenblicke lang glänzte Demarris’ Gesicht vom erwachenden Stolz, aber dann erlosch dieser Glanz und er faßte Carlo Andrea’s Hand und drückte diese lebhaft. „Ich danke Ihnen, mein Herr,“ begann er, „vielleicht darf ich, sagen, mein Freund, wenn Sie es mir gestatten wollen, und dann habe ich eine Bitte, um welche ich Sie anspreche.“

„Ich soll Ihnen beistehen, nicht wahr?“

„Ja, das ist es. Suchen Sie von Bonaparte zu erfahren, ob er Beatrice liebt.“

„Erklären Sie sich ihm selbst, Herr Demarris, das dürfte besser sein.“

„Ich kann es nicht!“ rief Demarris. „Sprechen Sie kein Wort von mir, es darf von mir nicht die Rede sein.“ Leiser fuhr er fort: „Wenn er sie liebt, so ist es genug. Er ist mein Freund, er verdient es glücklich zu sein, und Beatrice – ich will ihr Glück niemals stören.“

„Sie sind ein vortrefflicher, großmüthiger Freund!“ sagte Pozzo di Borgo, aber diese bewundernden Worte hatten einen so schneidenden Beiklang, daß Demarris ihn forschend anblickte und lebhafter erwiderte:

„Ich weiß, was Ehre und Freundschaft mir gebieten. Wollen Sie meine Bitte erfüllen, Herr Pozzo di Borgo?“

„Ohne Zweifel, Herr Demarris; so gut ich es vermag, will ich Ihr Vertrauen rechtfertigen,“ erwiderte Carlo Andrea, indem er ihm freundlich die Hand schüttelte. „In einer Stunde will ich Bonaparte besuchen, wir haben es gestern so verabredet; dann sollen Sie Alles erfahren, was ich aus ihm herausbringen konnte.“

Demarris war damit zufrieden. Er drückte seinen Dank aus, stand dann noch eine Minute kämpfend mit seinen Gedanken und Gefühlen, bis er heftig ausrief: „Machen Sie es so, mein lieber Freund. Ich will ihn nicht beneiden, nicht zürnen, wenn er glücklicher ist, als ich. Leben Sie wohl, und – gute Geschäfte! Leben Sie wohl!“

Er entfernte sich rasch, und Pozzo di Borgo drückte die Thür zu, rieb sich die Hände und lachte leise vor sich hin. Er hatte etwas Katzenhaftes, wie er die Schultern hochgezogen und den Körper zusammengeduckt umherschlich, als wollte er einen plötzlichen Sprung thun. Endlich aber blieb er stehen, warf den Kopf in den Nacken und sagte: „So oder so, es bleibt sich gleich! – Wenn dieser sentimentale Pinsel ihm zu Leibe gegangen wäre, möchte es freilich noch besser sein oder wenigstens romantischer verlaufen. Welcher Triumph für das Fräulein von noblen Gefühlen, wenn ihre Anbeter um ihren Besitz auf Leben und Tod kämpfen, wie es in ritterlichen Zeiten Mode war! Schade darum, allein da die Degenstöße ausbleiben, muß er auch ohne diese glücklich werden.“

Er ging von Neuem auf und ab und fuhr dabei halblaut sprechend fort: „Geh’ nur hin und laß Dich von den Hofjunkern zum Helden machen. Das ist ein schönes Loos für die freiheitglühende Seele, von welcher Paoli so Großes erwartet. Wie wird er sich freuen und wie werden alle Corsen Dich verehren! Ich werde Dich glücklich machen, glorreicher Napoleon. Du sollst ein schönes, reiches Fräulein heirathen, sollst ein Aristokrat werden.

Was kann ich mehr für Dich thun? Sage mir Niemand, daß ich keine Freundschaft fühle. Gleich will ich mich auf den Weg begeben und es Dir beweisen.“

Rasch war er angekleidet und stieg nach kurzer Zeit die holprigen Treppen des Giebelhauses hinauf, wo Bonaparte wohnte, und als er die Thür leise öffnete, fand er ihn ganz so wie gestern an dem alten Schreibpulte in seiner Arbeit vertieft sitzen. Bei seinem ersten Gruße aber sprang Napoleon auf und kam ihm mit freundlichen Mienen entgegen.

„Sei willkommen, lieber Andrea!“ rief er, „ich, habe Dich so lange schon erwartet und an Dich gedacht, daß meine Arbeit nicht von der Stelle will.“

„Es wird doch wohl ein anderes Bild sein, das Dir vor Augen schwebt,“ lachte Pozzo di Borgo, „und Deine Gedanken in Beschlag nimmt.“

„Sonderbar,“ sagte Napoleon und faßte an seine Stirn.

„Mein Kopf ist wie ein Schrank mit zahllosen Kasten. Ich kann jeden leicht aufziehen und bis auf den Grund umherwühlen, so lange ich will. Sobald ich ihn aber zuschiebe, denke ich, nicht mehr daran, was drinnen ist, bis ich ihn wieder brauche.“

„Heute aber will sich der Kasten nicht zuschieben lassen, in welchem die Acten und Papiere einer gewissen jungen Dame liegen, mit welcher der Lieutenant Bonaparte einen wichtigen Proceß führt.“

„Das ist ein gewonnener Proceß, er macht keine Sorgen!“ rief Napoleon. „Nein, Andrea, es liegen mir einige Deiner Worte von gestern noch im Sinn. Du sagtest: wer weiß, ob dieser Strom in seinem Bette gehalten werden kann und wen er verschlingen wird. Glaubst Du, daß die Nationalversammlung unterliegt?“

„Nein,“ sagte Pozzo di Borgo, „ich glaube, daß sie zuletzt siegen muß.“

„Zuletzt?“

„Ich meine, daß der Widerstand, den die Reformen finden, nicht leicht zu überwinden sein wird.“

„Die Schwachköpfe!“ rief Napoleon. „Der König hat so viel schon gethan, daß er nicht mehr umkehren kann.“

„Sehr wahr, lieber Napoleon, es würde sehr gefährlich sein.“

„Er muß mit Necker gehen und mit der Nation!“ rief Napoleon. „Ich habe heute früh einen Brief an Necker geschrieben, zunächst entworfen. Denn ich bin entschlossen, ihm meinen Aufsatz über Corsica zu überreichen, wie er da ist, mit einem kurzen Schluß. Ich kann die Arbeit jetzt nicht weiter ausführen.“

„Ah,“ sagte Pozzo di-Borgo, „Du willst sie ihm selbst überreichen? Du denkst also bald nach Paris zu reisen?“

„Ja, das denke ich und ich wollte –“ er hielt inne und blickte seinen Landsmann argwöhnisch an. In Carlo Andrea’s klugen Augen schien es wie Spott zu glänzen, und seine Freundlichkeit sah nicht besser aus.

„Du wolltest, daß Du schon dort wärest, um mit Deinen Großthaten die Welt zu füllen?“ siel er ein. „Ja, mein lieber Napoleon, das ist ein anderer Proceß, der leichter verloren gehen kann.“

„Er wird nicht verloren gehen!“ rief der kleine Lieutenant stolz und ungeduldig. „Habe ich Gelegenheit mich auszuzeichnen, so wird es auch geschehen. In der Hütte geboren werden, in der Einsamkeit sterben, das ist das Loos zahlloser Menschen, die unter anderen Verhältnissen Helden und Könige geworden wären.“

„Gewiß hast Du Recht,“ sagte Pozzo di Borgo. „Du bist auf dem Wege ein Mann des Plutarch zu werden.“ Er unterdrückte seine geheime Lustigkeit und fuhr mit der einschmeichelnden Treuherzigkeit, die ihm zu Gebote stand, fort: „Das ist meine wahrhafte Ueberzeugung, lieber Napoleon, denn ich finde, daß das Glück Dich wunderbar sucht, und ich weiß nicht, was mir sagt, daß es Dich eben so treu begleiten wird.“

„Ja, das Glück! das Glück!“ rief Napoleon. „Ich will daran glauben, es soll mir dienen!“

„Und es kommt Dir entgegen in Gestalt einer reizenden Gottheit mit goldenen Händen; ganz wie die Alten es sich dachten,“ nickte Andrea. „Es kommt mir vor, als hättest Du diese liebliche Gottheit schon auf Deinen Knieen angebetet und das himmlische Bündniß abgeschlossen.“

Ein finsterer Blick antwortete ihm darauf. Napoleon schien sich einen Augenblick zu bedenken, dann aber sagte er mit frohem Gesicht: „Das ist nicht nöthig, Freund. Wie Cäsar komme ich,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_258.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)