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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

geber, vollständig unsinniger Sympathiemittel, die abenteuerlichsten Folgerungen und Schlüsse ziehen.

Doch das wären nichts weiter als kleine Lächerlichkeiten, die in den meisten Fällen nur belästigen, ohne positiven Schaden anzurichten, sind es auch unleugbare Beeinträchtigungen der inneren Freiheit, und eben dadurch häufig Störungen äußerer Thätigkeit. Allein weit schlimmer, als man das so auf den ersten Blick einzusehen vermag, können die Folgen des groben Aberglaubens, z. B. der Wahrsagerei, ausfallen. Mir ist unter vielen anderen ein ganz besonders auffallendes Beispiel bekannt geworden, das ich hier erzählen will, um damit eine Warnungstafel aufzustellen, die vor dem häufig auftretenden unsinnigen Gelüste, mit der eigenen Schwäche ein unbedachtes Spiel zu treiben, zurückschrecken soll.

Ein seines Prophetenblickes wegen oft genannter und bekannter Wahrsager war ein gewisser Sohn in Berlin. Unter den vielen älteren und jüngeren Personen vornehmen und geringen Standes waren es im Jahre 184* zwei junge Mädchen aus guten Familien, welche dem Gelüste, einen Blick in die Zukunft zu thun, nicht widerstehen konnten. Sie gingen zu jenem Sohn, und er war bereitwillig, ihnen die Zukunft zu offenbaren. Der Einen weissagte er alles Glück, während er der Andern eröffnete, daß sie sich zwar bald glücklich verheirathen, mit ihrem Manne auch sehr zufrieden leben würde, indeß stehe es fest, daß sie im ersten Wochenbett sterben müsse. – Das Unglück wollte nun, daß Einiges der glückverheißenden Offenbarungen für die Freundin in Erfüllung ging; natürlich Alles nur im Verlauf geordneter Verhältnisse; aber sie waren einmal vorhergesagt und daher bleierne Gewichte, die sich mit immer mehr erschwerender Gewißheit an die Unglücksprophezeiung für die zweite junge Dame hingen. Sie liebte! Doch trotz der Einwilligung der Eltern und dem Drängen des Bräutigams suchte sie stets die Hochzeit hinauszuschieben, bis sie endlich in traulicher Stunde den Muth faßte, dem Geliebten ihre sie beängstende Sorge, der Weissagung halber, mitzutheilen. Was vermag die beredte Zunge des Geliebten nicht? Die Hochzeit kam zu Stande. Das Paar war selig, und das Glück der jungen Gatten sollte im Spätherbst seinen Gipfelpunkt in der glücklichen Geburt eines Söhnchens erreichen.

Der kräftige Gesundheitszustand der jungen Mutter ließ auch den letzten Schein von Besorgniß aus der Seele des glücklichen Vaters schwinden. Morgen sollte die Frau zum ersten Male das Bette verlassen. Der Ehemann trat in fröhlicher Stimmung während der Dämmerstunde des vorhergehenden Abends an das Wochenbette der geretteten Gattin. „Nun siehst Du, mein süßes Weibchen,“ sagte er in unseliger Sorglosigkeit, „wie Dein miserabler Prophet zu Schande geworden ist; Du und unser liebes Kind, ihr seid beide froh und munter. Ich habe absichtlich die dumme Geschichte nicht wieder erwähnt; aber jetzt wirst Du doch wohl für alle Zeiten von der Thorheit, an derlei Firlefanz zu glauben, geheilt sein.“ Die Dämmerstunde ließ den jungen Mann nicht sogleich die furchtbare Veränderung wahrnehmen, welche augenblicklich mit der noch immer leidenden Frau geschah. Da er jedoch nach wiederholten Fragen keine Antwort erhielt, bis endlich unter lautem Schluchzen ihm die Erwiderung wurde: „Ach, Otto, nun bin ich gewiß verloren; ich werde mein Krankenlager nicht mehr verlassen!“– da rief er nach Licht und erblickte sein wie durch einen Zauberschlag verändertes geliebtes Weibchen in fieberhaft zitternder, ängstlicher Aufregung Seine Worte, seine Beredsamkeit waren vergebens. Sie blieb überzeugt, sterben zu müssen. Aerzte wurden herbeigerufen; an Sorgfalt und Anstalten jeder Art fehlte es nicht; umsonst. – Binnen 3 Tagen erlag das arme Weib einem hitzigen Nervenfieber, als Opfer der Wahrsagerei!

Jeder wird leicht in dieser wahren Darstellung der Thatsachen den natürlichen Zusammenhang erkennen. Es giebt kein bequemeres Mittel mit Erfolg wahrzusagen, als sich einen Moment im Leben des Weibes, der mit vieler Wahrscheinlichkeit eintreten muß, zum Brennpunkt der Offenbarung zu wählen, und dann den natürlichen Proceß der beinahe jedesmal auftretenden theilweisen Lebensauflösung als gefahrbringendes Unheilsziel zu setzen. Aber mit derlei drastischen Erfolgen wissen solche gewissenlose Subjecte, trotz ihrer häufigen Dummheit dennoch pfiffig genug, ihrem Gewerbe jenen mystischen Schein zu verleihen, der ihnen die ganze Zahl seelenschwacher Menschen und deren geöffnete Geldbeutel zuführt. – Ins Zuchthaus mit solchen gewissenlosen Betrügern, oder ins Irrenhaus mit derlei gefährlichen Narren, die mit ihren speculativen oder selbst gehirnkranken Inspirationen ein Gewerbe treiben und Unheil in die Gesellschaft streuen!

Je lebendiger die Phantasie eines Kindes ist, ein desto fruchtbareres Feld für die Saat des Aberglaubens findet sich in ihm. Ich entsinne mich, schon im Alter von 7–9 Jahren alle alten Weiber an Erfindung von Schauer-, Geister- und Wundergeschichten überboten zu haben. Daß ich mir derlei Erzählungen, die ich zuweilen auch in Anwesenheit Erwachsener vor einem aufmerksamen Cirkel kleiner Zuhörer vortrug, selbst erfand, ist wohl ein Beweis, daß ich in gewissem Sinne nicht daran glauben konnte; und dennoch habe ich gerade dadurch mir selber eine Seelenschwäche herangebildet, die mir später, und zuweilen noch bis heute, viel zu schaffen machte. In wenig Monaten bin ich jetzt 36 Jahre alt, und eben daran will ich eine kleine Erzählung knüpfen, die, eben weil ich jetzt selbst in vollständig rigoroser Weise darüber spreche, einen Beweis abgeben möge, wie schleichend unbesiegbar der Aberglaube nachwirkt, auch bei solchen, die keine Anstrengung scheuten, sich davon zu heilen, wie dies bei mir aus dem Folgenden erhellen wird.

Ich hatte einen Onkel, der General-Feld-Zeugmeister der österreichischen Armee war und in Linz seine Pension verzehrte, woselbst ich in einem Militär-Institut von meinem 10. Lebensjahre an erzogen wurde. Da Linz, wenigstens zu jener Zeit, der Aufenthalt vieler hoher Militär-Pensionäre gewesen, so konnte es nicht besonders auffallend sein, daß gerade im Frühjahre 1830 schnell hintereinander 2 große Leichenbegängnisse verstorbener alter Generale stattfanden. Für uns Jungen der Militär-Schule waren solche Leichenbegängnisse förmliche Feste. Wir hatten Nachmittags keinen Schulunterricht und durften in Galla, eine Compagnie kleiner Soldaten rangirend, derartige Feierlichkeiten immer mitmachen. Kanonen wurden in unserer nächsten Nähe gelöst; Bataillone gaben Ehrensalven den Verstorbenen ins Grab; das Alles gefiel mir nicht wenig, und beim Nachhausemarschiren sagte ich zu meinem Nebenmann, dem Zögling K., darüber einige Worte, wie mich derlei Paraden amusirten. Da meinte K., daß wir bald einen anderen General, den Feld-Marschall-Lieutenant R., begraben würden, ich also das Vergnügen nächstens wieder haben könne. – Und wirklich, wie er sagte, geschah es. Dabei war nun allerdings selbst für einen Abergläubischen noch immer wenig Wunderbares. Als ich jedoch diesmal beim Nachhausegehen K. fragte: „Nun, weißt Du vielleicht auch jetzt wieder, wen wir zunächst begraben werden?“ antwortete mir K., ein munterer, witziger Bursche, stets voller Tollheiten und bervorragenden Verstandes (er ist gegenwärtig Major des österreichischen Ingenieur-Corps), mich plötzlich ernst ansehend: „Ja! heute über acht Tage Deinen Onkel, den Feldzeugmeister M.“ Ich erklärte diese Antwort für einen schlechten Scherz, aber K. blieb steif und fest dabei, daß er das genau wisse. Was soll ich viele Worte machen? Noch des anderen Tages besuchte mich bei Gelegenheit eines Spazierganges mein Onkel im Institut; als ich jedoch an dem darauf folgenden Donnerstage, dem gewöhnlichen Tage, wo ich am Tisch desselben zu Mittag speiste, mich eben zu ihm verfügen wollte, kam ein Diener des Generals mir das Diner abzusagen, weil Se. Excellenz heftig erkrankt waren. Und genau am achten Tage nach dem Tage der Prophezeiung stand ich als Leidtragender an der Grube des Entschlafenen. Mein Onkel laborirte schon lange an Schlaganfällen, und sein Tod war längst jeden Tages zu erwarten und zu befürchten. Dennoch machte die ganze Geschichte auf mich einen tiefen Eindruck, welchem ich mich um so mehr hingab, als ich an meinem Onkel viel, sehr viel verloren hatte.

Da trat eines Tages mein College K. an mich heran und sprach mir Muth ein, indem er sagte, der Schlag könne mich nicht unvorbereitet getroffen haben, da er ihn mir ja vorhergesagt habe. – Das machte mich wüthend, und ich wies ihn unwillig zurück; – doch er meiner spottend sagte: „Gebehrde Dich wie Du willst, deshalb weiß ich doch, daß Du nicht 36 Jahre alt wirst!“ Es war nichts weiter als kindischer Muthwille, den er sprach, das weiß ich jetzt, das sah ich schon damals ein, und dennoch schlugen jene Worte so in meine Seele, daß sie darin immer fester Wurzel schlugen, so daß ich sie Jahre und Jahre lang als Gewißheit mit mir herumtrug. – Jetzt bin ich nahezu 36 Jahre alt, also nach K.’s Meinung gerade in den letzten Zügen meines Erdenwallens. – Aufrichtig gesagt, beunruhigt mich die Prophezeiung trotz meines schon seit Jahren anhaltenden, zuweilen bedenklichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_250.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)