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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wird seinen Sitz um 8 Uhr einnehmen und seinen glänzenden Marstall von Schooß-Dachshündchen oder Stäubern vorführen. Mr. Lerinke hat einen Stäuber, 3½ Pfund schwer, erbötig, mit jedem Hunde in der Welt von gleichem Gewicht um die Wette zu tödten“ (nämlich im Ratten-Theater).

Hier ließ sich also gewiß ein Hochgenuß für die Phantasie (oder vielmehr die unübersetzbare englische „fancy“) erwarten, obgleich die Programms zur Hunde-Schau im „Lauerer“, in der „Krone“ und im Fiedler-Gäßchen (Haymarket) auch verführerisch genug klangen. Ich entschied mich für die „Ente“ in Bethnalgreen, weil diese von meiner Wohnung aus am ersten zu erreichen war.

Aus der großen nordsüdlichen Hochstraße, die über 10 Meilen lang unter verschiedenen Namen durch London und über die Londoner Brücke läuft, bog ich in der Nähe der Shoreditch-Kirche östlich links ab und hinein in eine schwarze, enge Kluft von Gäßchen, die mich in die berühmt-berüchtigte Club-Row führte. Das ist der classische Boden eines eigenthümlichen Sonntag-Wochenmarktes, der Vögel-, Kaninchen-, Ziegen- und Meerschweinchen-Messe, und das Schlachtfeld der lieblichsten Wettkämpfe zwischen Primadonnen der Finken und Kanarienvögel in eigenen dazu bestimmten Sälen vor Preisrichtern und einem oft hochwettenden Publicum. Die Preise für die Sieger bestehen aus neusilbernen, silbernen und andern kostbaren Bechern bis zum Werthe von zehn Pfund Sterling oder auch baarem Gelde, je nach Lust und Laune der Eigenthümer.

Vorbei, damit wir hier nicht stecken bleiben und wunderbare Geschichten erzählen von goldenen Kanarienvögeln und Goldfinken, die sich in der Wuth des Wettgesangs im Augenblicke des Sieges die zarten, aber heroischen Sing-Organe zersprengten und vom Gipfel ihres Triumphes plötzlich todt niederfielen.

Muth! Weiter! Muth! Wir müssen durch diese hohle Gasse, so drohend sie uns auch entgegengähnt, durch noch eine Spalte, zu eng, um auf den Namen Gasse Anspruch machen zu können, eine Art Riß oder Einsturz zwischen dem vermoderten Mauerwerk, um in die „Entenstraße“ und die Taverne gleichen Namens zu gelangen.

Und da ist sie endlich, die „Duck-street“, Entenstraße, und auch die „Duck-Tavern“ mit dem Namen des Eigenthümers „Lerinke“ über dem Eingange. Gefunden, ohne zu fragen, da es an Führern nicht fehlte. Erst folgte ich einem Manne, aus dessen Rocktasche mit nachlässig aufgeflegelten Vorderpfoten ein feiner, vornehmer, verdrießlich aussehender Köter herausguckte, der mich mit malitiösem Geknurre in den Finger biß, als ich ihn streicheln wollte, und auf alle Menschen, besonders die Jungen, tödtlichste Blicke des Hasses warf. Dann drang ich fast gleichen Schritts mit einem andern Individuum weiter vor, das etwas umfangreich Lebendiges zwischen Weste und unten zugeknöpftem und oben desto offnerem Rocke trug, das sich unter einer Laterne als ein ziemlich großer, weißer, pudelnärrischer Hund erwies, der seine Amme oder den Pflegevater mit übermüthiger Zärtlichkeit in dem schmutzigen Gesichte herumleckte und ihm auf diese Weise Seifensieder und Waschwasser zu ersparen schien. Dann fielen mir mehrere Mannsen und Kerls auf, alle wie eine besondere Gattung von Menschen und alle mit Hunden, von denen keiner zu Fuße ging, sondern jeder auf irgend eine zärtliche Weise wie ein Kind getragen wurde. Selbst ein riesiger Bulldogg, der natürlich in keiner Tasche, keinem Busen unterzubringen war, lief nicht, sondern stand mit je zwei Beinen auf einer Schulter seines Herrn, dessen pelzmützenbedeckter Kopf auf diese Weise aussah, als wäre er viel dicker, als der ganze Kerl.

Vor der „Barre“ des Trink-Palastes drängten sich Menschen und Hunde. Die Zink-Oberfläche mit den metallenen Pumpen sah aus, wie die der Tausende anderer „Public-Häuser“ in ganz England, nur etwas schmutziger, fließender, hier und da mit Vertiefungen und kleinen Teichen versehen. Hinter der Barre waren Mr. und Mrs. Lerinke und das auch hier hübsche „Bar-Mädchen“ eifrig beschäftigt, einzuschenken, Geld mit großer Heftigkeit und Geschicklichkeit gegen die metallene Barrenplatte zu schleudern, es in die Höhe springen zu lassen und ausnahmslos mit der Hand von Künstlern wieder aufzufangen, um nach dieser Prüfung der Echtheit es zu wechseln und darauf blitzschnell richtig herauszugeben. So weit war Alles, wie gewöhnlich. Aber der Eigenthümer dieses berühmten Public-Hauses setzte mich in Erstaunen. Ich hatte gehört, daß er persönlich mit den grimmigsten Hunden den Kampf aufnehme, ohne sich je beißen, geschweige besiegen zu lassen, daß er als Secundant und Mäcenas von Preis-Boxern sich eines hohen Ruhmes erfreue und bei Rattenhetzereien (er hat auf dem Boden ein Theater dafür) die Säcke voll selbst herbeischaffe und ausschütte. So hatte ich einen stahlarmigen, muskulösen, grimmig bärbeißigen Riesen erwartet, den Schrecken aller Bulldoggs, und fand nur ein kleines, dünnes Männchen mit ewigem Lächeln und dünner, öliger Stimme, ein Zwerglein neben der Frau mit dem Brustkasten eines Falstaff und dem Nacken eines Mastochsen.

Ja, es war Mr. Lerinke und ist’s heute noch. Kein Mißverständniß möglich, da ich Leute der verschiedensten Art fragte und jeder die Thatsache bestätigte, daß der dünne, hungrig aussehende Mann Lerinke war, Lerinke, der einstige Besitzer des berühmtesten aller Bulldoggs, der große „Kynologe“ oder Hundeweise, der kunstgebildete Ratten-Theater-Director und höchste schiedsrichterliche Instanz in allen Hunde-Duellen. — Daß sein Herz ganz den Hunden gehörte, wurde mir bald klar. Die verliebten Seitenblicke, die er verstohlen (wegen der dragonerartigen Gattin, fürcht’ ich) bald diesem, bald jenem der zahlreichen Köter zuwarf, das zärtliche Purren und Spitzen, Schnalzen und Glucksen, womit er Säuglinge und Kindlein von Hunden streicheln und „eyete“ — waren Beweises genug. Und welche Menge ausgestopfte und kostbar in überglasten Mahagonikasten an den Wänden angebrachte Hunde-Mumien! in dem prächtigsten dieser Sarkophage fiel besonders ein mörderisch und scheußlich häßlich aussehendes Exemplar von Bulldogg auf, zumal als Mr. Lerinke mehrmals mit tragischem Schmerze auf ihn blickte, eine Weile darauf haftete und dann mit der Erschwerung eines Vaters, der eben seinen einzigen Sohn verloren, fortfuhr, Leben und Tod dieses Unvergeßlichen, zu früh dahin Geschiedenen einem Gentleman zu erzählen, der den Kopf seines Skye-Dächsels zur Rocktasche heraus trug, wie der Stutzer den Zipfel seines ersten seidenen Taschentuchs.

„Funfzig Pfund hätt’ mir Einer können hier baar herzählen,“ rief Mr. Lerinke mit schmerzlichem Enthusiasmus, zwanzig Pfund mehr, Sir, siebig Pfund, Sir: kein Gedanke, ihn dafür zu verschleudern. Vierzig wurden mir geboten, ja fünfundvierzig und zehn (Schillinge). Pah! Hätten ebenso gut fünfundvierzig für meine Katze bieten können oder (mit dem schlauesten Flüstern, für meine Frau. Also, sag’ ich, er wurde vergiftet, Sir, vergiftet. Das schönste Thier in der Welt und so klug und – und – o! Und so vergifteten ihn die Vagabunden an einem Sonntage. Ganz munter lief er zwischen deren Beinen herum vor der Barre hier. Abends sollte „Schau“ stattfinden, und sie gönnten ihm seine Superiorität nicht. Und so schnappte er ganz munter und unschuldig nach einem Stück Fleisch und lag in der nächsten Minute todt, todt, Sir, wie ’n Pflasterstein. Mit Blausäure in ’nem Stückchen Fleisch.

Der Herr mit dem kye-Dächsel in der Rocktasche war von dieser tragischen Geschichte so gerührt, daß er sein Glas mit einem „Gulp“ austrank und eine Treppe im Winkel hinauf sprang. Ich folgte ihm in die Hallen der Hunde-Ausstellung. Durch die offene Thür pfauchte mich eine dicke Wolke von Qualm und Kneipengeruch an, vermischt mit einer eigenthümlichen köterigen Würze. Diese Geister waren nicht sehr einladend, zumal mit dem viel- und mißtönigen Geknurre und Gebelle und mit den vielen Galgen-Physiognomien, die im getrübten Gaslicht aus dem dichten Qualme heraus mehr oder weniger sichtbar wurden. Aber ich wagte mich mit ungenirter Miene hinein und sah mir die Sache an. Ein langes, ödes, enges, von Hunden und Lumpengesindel gefülltes Zimmer, am Ende mit einer Erhöhung von Bretern und dem Präsidentenstuhle. An den Wänden entlang Hunde in Glaskasten ausgestopft und lebendig in Käfigen. Auf den langen Tischen Hunde zwischen Gläsern und Krügen und Thonpfeifen und Tabakspapieren, Hunde auf den Schößen, ·Hunde zwischen Menschen und Stuhlbeinen, Hunde in allen Größen und Spielarten, Hunde aller Farben, Hunde in den verschiedensten Launen von erstickender Mordwuth am Stricke bis zur naivsten, kindlichsten Artigkeit und schwanzwedelnden, übermüthig glücklichen, nach allen Seiten mit der Zunge leckenden Menschenfreundlichkeit.

Außer ausgestopften und lebendigen Hunden hingen noch große Bilder von Sayers und Heenan, den Preis-Box-Königen, Box-Scenen, Schnell-Läufer, rattentödtende Hunde, einander tödtende

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_248.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)