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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Gutmüthig trocken weiß er Freud’ und Lachen
Im ganzen Cirkel laut zu machen,
Wenn er mit ernstlichem Gesicht
Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.

Wer ist der Andre, der sich nieder
An einen Sturz des alten Stammes lehnt,
Und seine langen, feingestalten Glieder
Ekstatisch faul nach allen Seiten dehnt,
Und, ohne daß die Zecher auf ihn hören,
Mit Geisterflug sich in die Hohe schwingt
Und von dem Tanz der himmelhohen Sphären
Eim monotones Lied mit großer Inbrunst singt?




Ich höre sie auf einmal leise sprechen,
Des Jünglings Ruhe nicht zu unterbrechen,
Der dort am Ende, wo das Thal sich schließt,
In einer Hütte, leicht gewimmert,
Vor der ein letzter Blick des kleinen Feuers schimmert,
Vom Wasserfall umrauscht, des milden Schlafs genießt.




… Unter diesem Dach
Ruht all mein Wohl und all mein Ungemach:
Ein edles Herz, vom Wege der Natur
Durch enges Schicksal abgeleitet,
Das ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur,
Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet,
Und, was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt,
Mit Müh’ und Fleiß erst zu erringen denkt.




Gewiß, ihm geben auch die Jahre
Die rechte Richtung seiner Kraft.
Noch ist, bei tiefer Neigung für das Wahre,
Ihm Irrthum eine Leidenschaft.
Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal;
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmuthiger Bewegung
Ruht er unmuthig wieder aus.

Und nicht blos mit der Jagd vergnügten sich die Herren in Ilmenau, sie erlaubten sich da jugendkeck auch andere Freuden. In dem nahen Dorfe Stützerbach tanzten sie, namentlich der Herzog und Goethe, auf dem gewöhnlichen Tanzboden, der heute noch zu sehen und so niedrig ist, daß ein etwas langer Mann leicht mit dem Kopf an die Decke anstoßen kann, bisweilen halbe Nächte lang mit den Bauermädchen und geleiteten die bevorzugten Schönen nach Hause. Sie liebelten mit ihnen, fanden aber so wenig etwas Unpassendes oder gar Unrechtes darin, daß Goethe selbst die Freundin, die strenge Frau v. Stein, davon benachrichtigte, wie er ihr ein andermal mittheilte, er habe auf dem Vogelschießen in Apolda leidenschaftlich getanzt. Man hatte eben Lust am Leben und Kraft es zu genießen. Darum tanzte man damals in Weimar überhaupt sehr viel. Der Hof gab jeden Winter fünfzehn Redouten, andere Bälle ungerechnet, und auch im Sommer wurde getanzt, namentlich im Freien. Oftmals bekam Bertuch, der Chatoullier und Maitre de Plaisir, noch spät in der Nacht Befehl, den Küchenwagen zu rüsten, weil man mit dem Frühesten hinaus in den Wald ziehe. Ging der Ausflug nicht weit, so genügten ein paar Küchenesel, den Mundvorrath zu tragen. Wenn es aber weiter gehen sollte, dann gab es in der Nacht gar viel zu schaffen, und in der herzoglichen Küche herrschte die emsigste Thätigkeit, denn es mußte gekocht und gebraten, gesotten und gebacken werden. Herren und Damen, fröhlich gemischt machten sich dann am andern Morgen auf den Weg, und Einer überbot den Andern an Witz und muthwilliger Laune. Man lagerte endlich essend, trinkend, singend im stillen grünen Wald, und nicht selten führte man da auch kleine, sofort extemporirte Stücke auf. „In dieser harmlosen Zeit,“ schreibt eine Zeitgenossin, „konnte man sich einen Scherz, wohl auch einen ausgelassenen, erlauben. Man wog nicht ängstlich ab, ob es sich auch vollkommen schicke und was die Nachbarn sagen würden. Es gab noch keine Klatschblätter, die es in jedem Winkel Deutschlands herumgebracht hätten, daß Herr … dem Fräulein … einen Kuß gegeben etc.“[1]

Zweierlei aber darf man nicht vergessen, erstens, daß man, wie oft und viel man auch jagte und ritt, tanzte und liebelte, trank und Komödie spielte, auch fleißig und emsig arbeitete und für das Wohl des Landes in jeder Hinsicht thätig war, und zweitens, daß bei aller Ausgelassenheit und Ungebundenheit das,

„was uns alle bändigt. das Gemeine,“

von diesem heitern Kreise stets fern blieb, den ja die Poesie verklärend überstrahlte. War es doch Goethe möglich, in und trotz dieser „lustigen“ Zeit außer andern Dichtungen seine herrliche Iphigenie zu schreiben, zum Theil sogar in schlechten Dorfwirthshäusern, während er als Rekrutirungs-Commissar zu Pferde das Land durchzog, zum Theil in dem einsamen Häuschen auf dem Gickelhahn, wo er bekanntlich auch sein unvergleichliches Lied schrieb:

Ueber allen Gipfeln ist Ruh –
In allen Wipfeln spürest du
Keinen Hauch –
Die Vöglein schweigen im Walde –
Warte nur, balde –
Ruhest du auch.

Diezmann.




Eine Hunde-Schau in London.

Seit der großen Gewerbe-Ausstellung vor zehn Jahren treibt eine „Schau“ die andere in London, wo nun eine zweite große Welt-Industrie-Ausstellung für den Mai des künftigen Jahres vorbereitet wird. Es giebt immerwährend ein Paar Dutzend offene Ausstellungen außer den gelegentlichen und regelmäßig wiederkehrenden Kunst- und Natur- „Schau’s,“ (um damit das englische Wort zu übersetzen): Ochsen-, Schaf- und Schweine-, Hühner-, Gänse-, Enten- und Kaninchen-, Kanarienvögel-, Maschinen-, Blumen-, Frucht- und Gemüse- und Wurzelknollen- und sogar Lord-Mayor’s-Schau. Das bekundet und fördert Gewerbe- und Kunstfleiß. Daß aber bei diesen täglichen Kämpfen und Schlachten von 3 Millionen zusammengedrängten Menschen auch Viele „auf den Hund kommen“, ist kein Wunder. Nur daß Tausende der so „Berittenen“ noch eine Art stolze Cavallerie bilden, den Hund, wie der Araber sein Roß, zu einem Cultus machen und in unzähligen „Hunde-Ausstellungen“ in ihrer Begeisterung für die Schönheiten des Kötergeschlechts sich oft bis zu einer Art von Hundswuth verzuckten, nur das ist, wenn nicht gerade ein Wunder, doch wenigstens eine eigenthümliche und sehr umfangreiche Lebens- und Erwerbsweise unter den niedrigsten Schichten der Londoner Bevölkerung. Sie kommen dadurch zugleich mit den höchsten Classen, welche ihren Zehn- und Zwanzigpfund-Preisköter kaufen und oft enthusiastische Kunden bilden, in Geschäftsverbindung. Auch huldigt dieses hunderitterliche Geschlecht nicht selten noch den noblen Passionen des Hahnen- und Hunde-Ratten-Kampfs, der hohe und höchste Herrschaften in ihre Winkel, ihre Theater lockt, wo sich auf diese Weise Bodensatz und Sahne der Gesellschaft brüderlich und schwesterlich vereinen. Es giebt wenigstens fünfzig Locale für Hunde-Ausstellungen in London, meist in versteckten, schmutzigen Winkelstraßen, in „Public-“ d. H. Bier- und Spiritus-Häusern, auf deren Böden sich die verbotenen Geheimnisse der Hahn- und Hunde-Ratten-Theater zuweilen des gemischtesten Publicums erfreuen.

Ich hatte oft von Hunde-Ausstellungen gehört und in „Bell’s Life“, der großen Zeitung für alle die tausenderlei schönen Künste und Kämpfe, die unter dem Namen „sport“ zusammengefaßt werden, auch gelesen, aber noch nie eine gesehen. Endlich wollte ich aus eigener Anschauung wissen, wie eine Hunde-Ausstellung aussehe. Ich fand in „Bell’s Life“ mehr als ein Nutzend Anzeigen und Einladungen und beschloß, einer zu folgen, die in der Uebersetzung so lautete:

„Hochgenuß für die Phantasie! Nächsten Sonntag Abend findet eine Hunde-Schau in Mr. Lerinke’s „Ente“ Statt, Bethnalgreen. Präsident Mr. Abrahams, unterstützt von Billy Cool,


  1. Ausführlich ist diese Periode des Lebens am Hofe zu Weimar geschildert in meiner Schrift: „Goethe und die lustige Zeit in Weimar“. Leipzig, Ernst Keil. 1 Thlr. 10 Ngr.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_247.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)