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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

an seinen Hof einen Dichter berufen, dessen ungewöhnliche Schriften ein bis dahin beispielloses Aufsehen in Deutschland machten, den sechsundzwanzigjährigen Dr. Goethe, der sein vertrautester Freund und nach wenigen Monaten sein erster Minister wurde.

Karl August steht unter den Fürsten hoch, wie Goethe unter den Dichtern, und der Letztere selbst spricht noch in seinem hohen Alter von dem herzoglichen Freunde: „Er war ein geborner großer Mensch, eine dämonische Natur wie Napoleon, Friedrich der Große u. A. Er übte auf die Menschen eine unwiderstehliche Anziehung, ohne daß er gerade freundlich und gütig gegen sie zu sein brauchte. In Fällen, wo mein Verstand nicht hinreichte, brauchte ich ihn nur zu fragen, was zu thun sei; sofort sprach er es instinctmäßig, aus, und ich konnte stets eines guten Erfolges gewiß sein.“

Der Herzog war in seiner Jugend ein schlanker Mann mit länglichem Gesicht, markirten Zügen und bräunlich blondem Haar, das er in zwei Locken an der Stirn trug. Die Stirn war hoch, und die Knochen über den Augen traten stark hervor. Die hellblauen Augen blickten lebhaft, geistvoll und forschend um sich. Der Mund drückte feste Entschiedenheit aus, und sein ganzes Gesicht deutete auf starke Leidenschaft. Goethe dagegen war, als er in Weimar ankam, ein langer, schmächtiger, fast dürrer junger Mann mit hoher Stirn, langem Halse, schwellenden Lippen und leuchtenden, großen, schwarzen Augen, die schwermütig-schwärmerisch schmachten, übermüthig keck und humoristisch lachen und im Zorn vernichtende Blitze schleudern konnten. Dabei besaß er eine Fülle von Körperkraft, war gewandt in allen Leibesübungen, voll kecken Uebermuths und neckischen Muthwillens, unerschöpflich in Possen und närrischen Einfällen, übersprudelnd von Geist und Witz, an ein lustiges Leben gewöhnt und sicher im Gefühle seines Werthes und seines jungen großen Dichterruhmes. Wieland sagt in einem Gedichte von ihm:

Ein schöner Hexenmeister er war
Mit seinem schwarzen Augenpaar,
Zaubernden Augen mit Götterblicken,
Gleichmächtig zu tödten und zu entzücken. –
So trat er unter uns herrlich und hehr,
Ein echter Geisterkönig, daher.
So hat sich nie in Gottes Welt
Ein Menschensohn uns dargestellt,
Der alle Güte und alle Gewalt
Der Menschheit so in sich vereiniget;
So seines Gold, ganz innerer Gehalt,
Von fremden Schlacken ganz gereiniget.

Kann sich Jemand wundern, daß diese beiden genialen Menschen, sobald sie verbunden waren, nicht in den ausgetretenen Gleisen des gewöhnlichen Lebens gingen, sondern die althergebrachten leeren Formen und Regeln mißachteten und in übersprudelnder Jugendkraft auf neue Bahnen getrieben wurden?

Karl August war ein leidenschaftlicher Naturfreund und fühlte sich nirgends wohler als „draußen im Freien“. Er haßte deshalb auch allen Prunk und Flitterkram. „Der Mensch,“ schrieb er einmal, „ist doch nicht zu der elenden Philisterei des Geschäftslebens bestimmt; es ist Einem ja nie größer zu Mühe, als wenn man die Sonne untergehen und die Sterne aufgehen sieht.“ Aus demselben Grunde war ihm stets das Einfachste das Liebste und zwar in Kleidung, Wohnung und Kost. Noch heute ist in dem Parke zu Weimar das sogenannte Borkenhäuschen zu sehen, in dessen engem Raume der junge Herzog im Sommer häufig allein wohnte, während an der andern Seite der Ilm und einer Wiese sein dichterischer Freund ein höchst einfaches Gartenhäuschen innehatte. Ein Raum diente dem Herzog als Wohn-, Arbeits-, Speise- und Schlafgemach.

Bei dem schlechten Zustande der Wege in damaliger Zeit machte man alle Ausflüge und Reisen zu Pferde. Wenige Tage mögen vergangen sein, an denen, in den ersten Jahren ihrer Freundschaft, Karl August und Goethe nicht zu Pferde saßen. Sogar wenn man von Weimar aus eine Feuersbrunst in der Nähe bemerkte, ritten sie selbst an Ort und Stelle, um die Löschanstalten zu leiten und persönlich tüchtig mit zuzugreifen. (Eine solche Scene schildert B. Auerbach in den „Feuerreitern“ in s. Volkskalender von 1801.) Was sie im Reiten leisteten, beweiset die beglaubigte Thatsache, daß sie einmal von Leipzig nach Weimar in acht Stunden ritten (von früh 7 bis Nachmittags 3 Uhr). „Wir waren oft sehr nah am Halsbrechen,“ erzählte Goethe im Alter, „auf Parforcejagden über Hecken und Gräben und durch Flüsse, bergauf und bergab. Tagelang sich abzuarbeiten und dann Nachts unter freiem Himmel zu campiren, das war nach seinem Sinn.“

Die Jagd war allerdings das Lieblingsvergnügen des Herzogs und zwar namentlich in dem thüringischen grünen Waldparadies, in Ilmenau, wo man, fern vom Hofe und Allem was zu demselben gehört, in aller Ungebundenheit und allem Jugendübermuthe sich ergehen konnte. Bis auf den heutigen Tag haben sich in der thüringischen Jägerwelt zahllose Anekdoten von „des Herrn“ schlagfertigem Witze und derb zutreffenden Ausdrücken, so wie von seiner Einfachheit und Gutherzigkeit erhalten, und man spricht in solchen Kreisen jetzt noch von ihm mit einer gewissen schwärmerisch liebenden Verehrung, ja mit Bewunderung.

Die gewöhnlichen Begleiter des Herzogs auf der Jagd und andern Ausflügen waren, außer Goethe, der gelehrte ehemalige preußische Lieutenant, jetzt Erzieher des Prinzen Constantin, Bruders des Herzogs, v. Knebel, ein Mann von riesenhafter Gestalt; der welterfahrene ehemalige sardinische Oberstlieulenant v. Seckendorf, ein feingebildeter, dichtender und componirender Cavalier; der Oberforstmeister v. Wedel, der mit dem Herzog aufgewachsen und erzogen war, und der Stallmeister v. Stein, der Gatte der geistvollen Charlotte v. Stein, der geliebten Freundin Goethe’s.

Eine Jagdscene hat der Letztere, als der Eifer für solche aufreibende Vergnügungen bei ihm bereits ziemlich erkaltet war, durch ein Gedicht zu dem Geburtstage des Herzogs 1783 verewigt. „Es ist darin,“ erzählte er später, „eine nächtliche Scene vorgeführt nach einer halsbrechenden Jagd im Gebirge. Wir hatten uns am Fuße eines Felsens (die Tradition bezeichnet die Stelle noch auf dem Gickelhahn) kleine Hütten gebaut und mit Tannenreisern bedeckt, um darin auf trocknem Boden zu übernachten. Vor den Hüllen brannten mehrere Feuer, und wir kochten und brieten, was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem die Tabakspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst und ergötzte die Gesellschaft mit allerlei trocknen Späßen, während die Weinflasche von Hand zu Hand ging. Seckendorf, der schlanke, mit den langen feinen Gliedern, hatte sich behaglich am Stamme eines Baumes hingestreckt und summte allerlei Poetisches. Abseits in einer ähnlichen Hülle lag der Herzog in tiefem Schlafe. Ich selber saß davor, bei glimmenden Kohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlung von Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriften (Werther) angerichtet.“

Unser Bild stellt diese Scene dar. Der am weitesten vorn links am Baumstamme liegende Mann ist Seckendorf, zunächst neben ihm sehen wir Wedel mit Kochen beschäftiget, dann folgt Knebel mit der Tabakspfeife und diesem der ebenfalls rauchende Stein. Die andern Figuren sind in dem Gedicht nicht erwähnte Jagdgenossen. Das Gedicht, eines der schönsten des großen Meisters, heißt „Ilmenau“ und beginnt mit dem Aufrufe an diesen lieblichen Ort:

Anmuthig Thal, Du immergrüner Hain,
Mein Herz begrüßt Euch wieder auf das Beste!
Entfaltet mir die schwerbehangnen Aeste,
Nehmt freundlich mich in eure Schatten ein,
Erquickt von euren Höhn, am Tag der Lieb’ und Lust,
Mit frischer Lust und Balsam meine Brust! …

Die eben angedeutete Scene selbst wird so geschildert:

Wo bin ich? Ist’s ein Zaubermärchen-Land?
Welch’ nächtliches Gelag am Fuß der Felsenwand?
Bei kleinen Hütten, dicht mit Reis bedeckt,
Seh’ ich sie froh am Feuer hingestreckt.
Es dringt der Glanz hoch durch den Fichten-Saal;
Am niedern Heerde kocht ein rohes Mahl;
Sie scherzen laut, indessen, bald geleert,
Die Flasche frisch im Kreise wiederkehrt.

Es folgen nun die Schilderungen von Knebel und Seckendorf, „die mir,“ sagt Goethe im hohen Alter, „heute noch gar nicht schlecht gezeichnet erscheinen, wie auch der junge Fürst nicht im düstern Ungestüm seines zwanzigsten Jahres.“

… Wer ist’s, der dort gebückt
Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?
Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,
Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme.
Er saugt begierig am geliebten Rohr,
Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_246.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)