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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Napoleon’s Gesicht veränderte sich. Seine bleiche Farbe machte einer schnellen Röthe Platz. „O Madame,“ rief, er lebhaft, „dies Gedicht –“

„Schweigen wir davon,“ unterbrach sie ihn, „ich ehre und liebe die schönen Empfindungen der Seele und habe auch zu meiner Zeit meine Gedichte empfangen. – Das sind Erinnerungen, an welche man immer mit Vergnügen zurückdenkt.“

Sie wickelte sich in das große Tuch und sah ihn gnädig lächelnd an. „Frauen lassen sich gern besingen,“ fuhr sie dabei fort, „sie haben das mit den Königen gemein, so ähneln sich beide auch in dem Verlangen nach treuen Unterthanen, Herr Bonaparte. Doch ach! das sind gefährliche Zeiten für alle Herrscher auf Erden; um so höher schätzen und lieben wir diejenigen, von denen wir Treue hoffen dürfen. Treu dem Könige, treu der Dame seines Herzens soll jeder Ritter sein. Sie kennen den schönen alten Wahlspruch, Herr Bonaparte.“

„Er ist mir wohl bekannt, Madame.“

„Und man kennt Ihre Gesinnung, man weiß diese zu schätzen, ich sowohl, wie Alle, die Ihnen wohlwollen. Das war es, was ich Ihnen mittheilen wollte und was Sie noch hören müssen, ehe wir uns trennen. Sie werden dem Grafen von Artois dringend empfohlen werden. Ich zweifle nicht daran, daß dies für Sie die glücklichsten Folgen haben wird, daß Sie dadurch Gelegenheit erhalten werden, dem Könige Ihre Treue zu beweisen. Dies ist doch gewiß Ihr lebhafter Wunsch?“

„Ja, Madame, ja. Ich möchte dem Könige die größten und wichtigsten Dienste leisten.“

Frau von Colombier blickte beifällig in seine flammenden Augen und wie sein Gesicht einen begeisterten Ausdruck erhielt, der es ungemein verschönte. „So bleibt nur noch die Dame Ihres Herzens übrig,“ fuhr sie mit gewinnenden Mienen fort, „doch diese hat jedenfalls dieselben ritterlichen Gefühle zu erwarten.“

„Zweifeln Sie nicht daran, gnädige Frau,“ erwiderte Napoleon, „ich werde nur mit meinem Leben diese Gefühle aufgeben!“

„Sie werden ihr unwandelbar treu in allen Gefahren zur Seite stehen?“

„Wie Ehre und Liebe es gebieten.“

„Wohlan denn!“ sagte Frau von Colombier, „ich frage nicht weiter, denn der Tag ist da und die Straße wird lebendig. Aber ich erlaube Ihnen, Ihre Grundsätze uns heut noch zu wiederholen. Ich erlaube Ihnen, das mit Beatrice begonnene und unterbrochene Gespräch in meiner Gegenwart heut Abend fortzusetzen, nicht mehr hier im schädlichen Morgennebel, sondern in der Halle und vor unseren Freunden. Auf Wiedersehen also, Herr Bonaparte, auf Wiedersehen! Ich will Beatrice darauf vorbereiten.“

Sie reichte ihm ihre Hand, und er führte diese an seine Lippen. Noch einen Augenblick blieb sie stehen, sah ihn an, lächelte und nickte leise; darauf wiederholte sie: „Kommen Sie also nicht zu spät, ehe Andere erscheinen. Beatrice wird Sie erwarten, bringen Sie die besten Grundsätze mit. Adieu! Adieu!“

Mit diesen glückverheißenden Worten verließ er die gütige Beschützerin, und es war als wolle er ihr nacheilen, doch nach dem ersten Schritte schon blieb er stehen, und seine aufgehobene Hand sank nieder. Er sprach die Bitte nicht aus, zu der sein Mund sich geöffnet hatte. –

Als Frau von Colombier noch einmal nach ihm zurückblickte, war er verschwunden.



4.

Am folgenden Tage erhielt Carlo Andrea einen Besuch in dem rothen Hause von dem Lieutenant Demarris. Der junge Officier beschwerte sich über die rasche Trennung am Abend und daß er trotz aller Mühe ihn sowenig wie Bonaparte habe auffinden können. „Wir hätten noch beim Glase zusammengesessen,“ sagte er, „ich freute mich darauf. Bonaparte war so heiter, wie ich ihn kaum jemals gesehen, und wenn er seine gute Laune hat, ist er bewunderungswürdig.“

„Es scheint, als habe er sich hier viele Freunde erworben,“ erwiderte Pozzo di Borgo.

Demarris schüttelte lächelnd den Kopf. „Viele sind es wohl nicht,“ sagte er, „im Gegentheil hat er nicht wenige Widersacher, die sich nicht mit ihm vertragen können, denn er ist sehr stolz, und man nennt ihn anmaßend und zanksüchtig. Mir jedoch ist er sehr ergeben,“ fuhr er selbstgefällig fort, „und ich vertheidige ihn, wie man einen Freund vertheidigen muß.“

„Aber seine Vorgesetzten sind doch mit ihm zufrieden?“ fiel Pozzo di Borgo ein.

„Wie man es nehmen will,“ lachte Demarris. „Er hat Kenntnisse, ist der beste Mathematiker von uns Allen, und was den Dienst betrifft, läßt er sich nichts zu schulden kommen. Aber er ist ein Krittler, der überall seine Anmerkungen macht, und wenn Einer klüger sein will, als alle Anderen, und obenein als seine Vorgesetzten, so erwirbt er sich damit nicht eben deren Zuneigung.“

„Sehr wahr!“ rief Carlo Andrea. „Die Klugheit muß sehr klug sein, wenn sie nicht über jeden Klotz oder Stein auf ihrem Wege stolpern und verschrieen und verlästert werden will.“

„Ja, diese Nachteulen!“ nickte Demarris erfreut, „sie möchten ihn hacken, wo sie können, und ihn am liebsten weit fortschicken. Es bekommt Niemand so leicht Urlaub wie er, und heut erst, als ich beim Obersten zu thun hatte, fragte er mich, wie es käme, daß der Lieutenant Bonaparte noch nicht nach Corsica gereist sei.“

„Dazu wird er jetzt am wenigsten geneigt sein.“

„Warum glauben Sie das?“ fragte Demarris rasch.

„Nun, weil, wie Sie mir selbst schon sagten, er hier Besseres zu thun hat.“

Der Lieutenant schwieg einen Augenblick, während er mit der Hand durch sein Haar strich und nachsann. „Ja, das habe ich freilich gesagt,“ fuhr er dann fort, „aber ich habe nicht das dabei gedacht, was ich jetzt denke. Bonaparte hatte mir mitgetheilt, daß er fleißig arbeiten wolle, was er in Ajaccio nicht könne, um seine Geschichte der Insel fertig zu schaffen, und daß er dann dies Werk nach Paris schicken wolle, wo er sich große Erfolge verspricht.

Heute nun aber – wissen Sie, was der Oberst mich fragte?“

„Wie kann ich das wissen, Herr Demarris?“

„Freilich nicht. Sie haben Recht. Er fragte mich, ob Bonaparte häufig Frau von Colombier besuche – und als ich dies bestätigte –“

„Nun, Herr Demarris?“

„Alle Teufel!“ rief der Lieutenant, „ich glaube wahrhaftig, es ist etwas daran.“

„Was meinen Sie?“

„Gestern war sein Benehmen auffällig, nun fällt es mir erst recht ein. Der Oberst sagte: Dies Fräulein Colombier ist hübsch, genug, und die Mutter hat Vermögen und Connexionen. Es ist gar keine üble Partie, eine ganz gescheidte Speculation.“

„Eine gescheidte Speculation!“ lachte Carlo Andrea.

„Ja, doch was sagen Sie. Herr Pozzo di Borgo?“

„Was kann ich sagen, Herr Demarris? Sie müssen das besser wissen.“

(Schluß folgt.)


Aus Weimars „lustigen“ Tagen.

Noch vierzehn kurze Jahre und ein Jahrhundert ist bereits vergangen, seit in dem damals sehr kleinen und armseligen Weimar durch zwei junge Männer eine Zeit heraufgeführt wurde, die ihres Gleichen nie und nirgends gehabt hat und die für das deutsche Vaterland, ja für die ganze Welt Früchte trug, an denen wir uns heute noch erfreuen und erquicken. Unsere Zeit ist eine so ganz andere geworden, so prosaisch-blasirt und banal, daß jene poetisch-geniale und naive von den Meisten gar nicht mehr verstanden wird und nur einige Wenige zu ihr zurückschauen wie ein Mann im Alter etwa auf die schönsten Tage seiner Jugend zurückblickt.

Der Herzog Karl August, der Zögling Wieland’s, hatte in seinem achtzehnten Jahre die Regierung seines Ländchens von seiner verwittweten, erst 36 Jahre alten, lebenslustigen und geistvollen Mutter Amalie, die sie lange segensreich als Vormünderin geführt, selbst übernommen, mit Louise von Darmstadt sich vermählt und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_244.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2022)