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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Du ein Sohn des Volks? Du ein Held der Menschheit?“ rief die Stimme hohnvoll; „Du könntest ihre Geißel werden. Wo sind die Hoffnungen, welche Paoli auf Dich setzte? Er, der edle, tugendhafte Greis, der sich täuschen ließ von Deinen Lügen? Wo sind Deine Grundsätze, die Du heucheltest und die Du mit Füßen trittst? Wo ist Dein Muth, mit dem Du vorgabst der Freiheit und der Tugend Dein Leben zu weihen und für Wahrheit und Recht zu kämpfen bis zum Tode?“

„Ich will! ich will!“ murmelte Bonaparte sich qualvoll windend.

„Du willst nicht!“ sprach die Stimme an seinem Ohre, „es ist Alles falsch an Dir, Alles erlogen, nichts wahr und gewiß, als Dein unersättlicher Ehrgeiz. Du bist ein Corse, ein echter Corse mit allen seinen schlimmen Eigenschaften und seinen Lastern, ohne seine Tugenden zu besitzen. Treue kennst Du nicht, Freundschaft hat keinen Werth für Dich, nur Deine Vortheile berechnest Du und Deine Liebe verkaufst Du. Lüge nicht, Tu weißt, daß es so ist. Lüge nicht. Du betrügst sie Alle, nur mich nicht und Dich selbst nicht. Lüge nicht, Du liebst Beatrice nicht, Du liebst keinen Menschen auf Erden und magst keinen lieben; das wird Dein Loos sein und Verlassenheit Dein Ende!“

„Fort von mir!“ schrie Bonaparte mit wüthender Gebehrde und in gewaltiger Anstrengung richtete er sich empor, da war das gespenstische Traumbild verschwunden. Er blickte verstört umher, seine Lippen zuckten und zitterten, seine Hände ballten sich krampfhaft, er bedeckte das bleiche, blutlose Gesicht. Oede und einsam war es Überall, aber vom Himmel strömte ein rosiges Leuchten aus und vor ihm sank es nieder auf das Thal und auf den Garten am Strome und auf das Landhaus mit dem hohen Dache, das unter den Bäumen hervorschaute. Und wie er darauf hinabsah, schien das Laub sich Heller zu röthen, und die Blumen nickten zu ihm herauf, und der Wind kam geflogen und flüsterte ihm etwas zu, daß er plötzlich aufsprang und beide Arme ausstreckte. „Zu Dir, meine Beatrice!“ rief er, „errette Du mich vor diesem Spuk! Ein Höllenwerk ist es,“ schrie er auf, und seine rollenden Augen blickten in den feurigen Punkt am Himmel; er legte die geballte Hand auf sein Herz. „Ich liebe sie, ja, ich liebe sie! Ich will zu ihr, will es mit tausend Eiden schwören. Es soll kein Mensch, kein Gott daran zweifeln!“

Er raffte seinen Hut auf und ging mit vorsichtigen Schritten an der Hügelwand hinab, wo ein schmaler Pfad über das Gestein führte, und bald stand er an der kleinen Pforte, wo die weinbelaubten Terrassen sich an den Berg lehnten. Einen Augenblick blieb er dort stehen und schien in Gedanken versunken. Jetzt war es, als wollte er sich entfernen, ein widerwilliges Empfinden drückte sich in seinen Mienen aus; doch in der nächsten Minute verschwand dies. Rasch und lächelnd öffnete er die Thür und trat hinein. Die Rebengehege verbargen ihn, leise ging er darunter fort, die Stufen hinab und schaute in die stillen, noch halb in Morgenduft gehüllten Gänge. Es regte sich kein Blatt. In der Ferne murmelte die Fontaine, durch die Blumen ging ein Flüstern, in den Baumkronen schaukelte sich das Licht und in der höchsten begann ein Vogel zu singen.

Wo die Reben endeten, befand sich eine Laube, und vor ihr zu beiden Seiten standen zwei Kirschbäume mit tiefhängenden Zweigen, dicht bedeckt von dunkelrothen, süßen Früchten. Auf der Bank unter dem einen dieser Bäume setzte sich Bonaparte nieder, und seine Augen hefteten sich auf das Landhaus auf ein Fenster im oberen Geschoß, das zwischen den hohen Lorbeerrosen, die daran hinaufreichten, sichtbar wurde. Als er darauf hinsah und seine Blicke nur brennender wurden, hörte er hinter sich in der Laube ein Rauschen und leises Lachen, und als er aufsprang mit ahnungsvollem Lauschen, fand er Beatrice Colombier halb versteckt unter dem grünen, reichen Geblätter, halb vorgebeugt ihn erwartend.

Die Hände nach ihr ausgestreckt, regte er sich doch nicht und näherte sich nicht. Er betrachtete sie einige Augenblicke, wie von seiner Ueberraschung gefesselt; in lieblicher Verwirrung ließ sie es geschehen. In dem weißen, leichten Morgengewande sah sie wunderbar schön aus. Braune Locken fielen frei in ihren Nacken, ein süßes Liebeslächeln schwebte auf ihren Lippen, dabei blickten ihre Augen schüchtern und fast furchtsam in seine unbeweglichen Mienen.

Mit einem Male aber verschwand diese Starrheit und verschmolz in einem auflodernden Feuer. „Meine liebe, meine angebetete Beatrice!“ rief er, während er die weißen, kleinen Hände mit Küssen bedeckte. „Wie vielen Dank, wie viele Freude empfinde ich in diesem Augenblick! Ich wähnte mich allein mit meiner Sehnsucht, vergessen von der, mit der mein ganzes Denken sich beschäftigt; der Gedanke erstickte mich, nun bin ich herrlich davon erlöst!“

„O,“ sagte Beatrice, indem sie sich an ihn schmiegte und schmeichelnd schmollte, „hatte mein Freund so wenig Vertrauen? Versprach ich nicht gestern, beim ersten Morgenscheine hier zu sein? und noch ehe dieser kam, da es noch ganz finster war, befand ich mich schon in der Laube und wartete und ängstigte mich.“

„Warum, theure Beatrice, warum?“

„Weil – weil – Ich weiß es nicht, es war Thorheit. Ich konnte nicht schlafen, mein Herz ließ mich nicht schlafen. Ein böser Geist flüsterte mir zu: Es ist vergebens. Da schlagen die Glocken schon vier Uhr. Du kannst das Kreuz der Kapelle an der Brücke sehen. Es ist zu spät.“

„So läuteten böse Geister auch mir ihre Glocken!“ rief Bonaparte fröhlich. „Doch wir jagen sie in die Flucht. Ich bin hier, um allen falschen Stimmen zu trotzen, hier bei meiner geliebten Freundin, und diese fürchtet sich nicht mehr.“

Er blickte sie an, sie schüttelte lächelnd den Kopf, und als er sie inniger umfaßte, ließ sie es geschehen und sträubte sich nicht.

„Beatrice vertraut mir?“ fuhr er fort.

Sie nickte ihm zu. –

„Sie glaubt an mich ?“

„Alles! Alles!“

„Daß ich Dich liebe, daß ich Dich anbete?“ rief er mit steigender Leidenschaft so laut, daß es schallte.

Beatrice blickte scheu umher, kein Lauscher war zu entdecken. Seine zärtlichen Schwüre fanden keinen Widerstand mehr, sie legte ihre Hand auf ihn, und ihre leuchtenden blauen Augen sagten ihm noch mehr, als ihre Worte.

„Liebst Du mich denn auch ganz allein, so wahr und treu, wie ich Dich liebe,“ flüsterte sie, „mein theurer, mein einzig geliebter Freund?“

„Zweifle nicht daran, zweifle nicht!“ rief er, und seine schwarzen Augen funkelten brennend. Er beugte sich von ihr zurück und schaute sie an. „Ob ich Dich liebe? Frage nicht, meine edle, meine schöne Beatrice. Ich liebe die Ehre, ich liebe den Ruhm, nichts kann mich von ihnen trennen; doch mein Herz gehört Dir allein, keine Andere soll es jemals mit Dir theilen!“

„Und willst Du in Glück und Noth mich lieben, willst Du mir treu bleiben bis in den Tod?“ fragte Beatrice ihn festhaltend.

„Treu will ich Dir sein, treu mein Herz, treu meine Liebe. Wie ich meinem Vaterlande, meinem Volke treu bin bis in den Tod, so Dir bis an meine letzte Stunde.“

„So will ich glücklich sein!“ rief Beatrice, „und meine Mutter wird uns segnen. Sie wird nicht länger zweifeln, sie wird Dir vertrauen, wie ich es thue.“

„Deine Mutter?“ fragte er, und seine Mienen wurden ernsthaft, die Begeisterung verschwand aus seiner Stimme. „Hat Deine Mutter mit Dir gesprochen?“

„Ja,“ sagte Beatrice, „gestern Abend, als Tu gegangen warst und wir allein zurückblieben. Sei unbesorgt, meine Mutter ist gütig, sie ist Dir gewogen, mein geliebter Freund.“

„Sie weiß es also,“ sprach, er halb vor sich hin.

„Sie hielt mich in ihren Armen fest, küßte mich und sah mir in die Augen. Tu siehst so geheimnißvoll aus, mein liebes Kind, sagte sie dabei. Warte doch und werde nicht roth, laß uns noch ein wenig plaudern. Setze Dich her zu mir. Wie hat Dir der junge Pozzo di Borgo gefallen, der so unerwartet uns mit seinem Besuche erfreute? – – Er hat mir sehr gut gefallen, liebe Mama, denn er ist sehr höflich und weiß zu unterhalten. – Gefällt er Dir bester als der Lieutenant Demarris? – Er gefällt mir viel besser, denn er hat viel mehr Geist und Anstand, Mama. Aber ich glaube, es ist ein versteckter Charakter, dem man nicht allzuviel trauen darf.“

Bonaparte schien sich über diese Urtheile zu freuen. Er nickte beifällig dazu.

„Ja, diesen Corsen darf man überhaupt nicht zu viel trauen, fuhr meine Mutter fort, sie sind Alle versteckt und schlau. Meinst Du nicht, mein liebes Kind? O nein, Mama, Alle gewiß nicht! rief ich so schnell, daß meine Mutter laut lachte und ich ganz roth wurde. – Nicht alle? fragte sie, also machst Du Ausnahmen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_242.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)