Seite:Die Gartenlaube (1861) 241.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 16.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Am Scheidewege.

Von Th. Mügge.
(Fortsetzung.)


3.

Der Lieutenant Bonaparte ging nicht in das hohe, finstere Haus, in welchem er wohnte, sondern an dessen Thür vorüber und Straßen und Gassen hinab und hinauf, bis er endlich wieder an den Strom und zwischen die Felder und Gärten gelangte, wo er ruhelos weiter irrte. Er war in großer Aufregung, sein Blut glühte in allen Adern, tausend verschiedene Vorstellungen kreuzten durch seinen Kopf. Dieser tückische Carlo Andrea hatte ihn mit Nadeln zerstochen. Er hatte ihm unter scheinbarer Theilnahme und Bestimmung die schmählichsten Dinge gesagt: daß er mit Hülfe eines Mädchens, mit einer Speculation auf ihre Hand sich der Hofpartei empfehlen lassen wollte; daß er den Adel der Bonaparte’s bezeugt habe, obwohl alle Corsen wußten, wie es mit diesem Adel stand und welchem Einfluß die Bevorzugung zu der Zahl der Vierhundert zu danken war. Und dieser Hohn verschärfte sich durch die Art, wie Pozzo di Borgo von dem Capitainspatent und Oberstenrang gesprochen hatte, die den Segen der Schwiegermutter und die Umarmungen der Verwandten bewirken sollten; endlich aber wirkten die falschen Zweifel und Einreden, mit welchen Carlo Andrea die Erklärung aufgenommen, daß keine Speculation, sondern wahre Liebe die Triebfeder zu Napoleon's Plänen und Wünschen sei, und was er weiter daraus folgerte, wie Stacheln, deren Stiche er nicht länger zu ertragen vermochte und die ihn fortgetrieben hatten.

Und nun er in Nacht und Dornenhecken umherlief, brannte ihm der Kopf noch mehr davon. Was der kaltblütige, so sanft und freundlich sprechende und doch so hinterlistige Mensch gesagt, ließ sich mit aller Gewalt nicht Lüge nennen. Er hatte mit seinen schwarzen, stillen Augen bis auf den Grund gesehen und mit unbarmherziger Sicherheit jede sophistische Täuschung abgeschlagen und vergolten. Dürstete Napoleon nicht nach Thaten, nach Ruhm, nach Auszeichnung? War sein Kopf nicht voll heißer Träume, seine Gedanken in ewiger Arbeit, sein Gehirn voll ehrgeiziger Pläne, voll fieberheißer Vorstellungen? Und was er heute gedacht, verwarf er morgen; wonach er jetzt gestrebt, zerriß er in der nächsten Stunde. Mächtigen Männern empfohlen zu werden, rasch aufzusteigen zu den Höhen des Lebens, mit kühner Hand in die Geschicke eines mächtigen Volkes zu greifen – welch bezauberndes Bild! Aber wer waren diese Protectoren? Die Herren, die Feinde des Volks! Sie die aller Haß traf, sie die zu einer Kaste von Bevorrechteten gehörten, die vernichtet werden mußten, wenn die neue Zeit, die Zeit der Gleichheit, der Gerechtigkeit anbrechen sollte. Und Carlo Andrea halte ihm diese Protektion hohnvoll vorgehalten, den Abfall von seinem Vaterlande, Abfall von den Lehren der Freiheit und Wahrheit. Ein Speculant, der sich den Feinden des Volks verkauft, ein Speculant, der ein Weib betrügt, um mit deren Hülfe in die Zahl der Bedrücker aufgenommen zu werden!

„Nein; nein!“ rief er mit Heftigkeit, „es ist Lüge! Was ich will, ist gerecht! ich verkaufe mich nicht, verrathe mich nicht! Ich will einen Platz einnehmen, wo ich den tugendhaften Männern beistehen kann, die für Recht und Wahrheit kämpfen; ich will die Fahne des Volkes tragen, ich will sein Arm und sein Schwert sein! Das ist mein Ziel, ihm soll mein Leben geweiht bleiben. Speculant!“ fuhr er fort, „ich verachte diesen nichtswürdigen Namen. Ich liebe Beatrice, ich liebe sie! Ich will es beweisen, will es diesem elenden Spötter beweisen. Ist sie nicht schön und liebenswürdig, edel und gut? Und mir gehört ihr Herz allein. Ja, Beatrice, ich liebe Dich! ich liebe Dich! vor aller Welt will ich es bekennen!“

Er hatte einen hohen, kahlen Hügel erstiegen und am jähen Rande desselben sich auf einen Stein gesetzt. Von unten brauste der Strom dumpf herauf, oben am Himmel kündete ein mattes Leuchten im Osten den nahenden Tag an. So saß er mit glühendem Gesicht lange Zeit, den Rücken an einen wilden Oleander gelehnt, den Hut neben sich am Boden, mit starren Blicken in die dunkle Tiefe schauend. Und wie mit Rabenflügeln rauschte es um seinen Kopf, und vor seinen Augen spannen sich finstere Fäden und Netze, die über sein Gesicht fielen. Es war ein Zustand halb Traum, halb Wachen, er vermochte sich nicht zu rühren, aber an seinem Ohr hörte er die tiefe Stimme Pozzo di Borgo’s, welche laut und langsam sprach: „Geh hin, Du Thor, geh und vollführe Deine kindischen Pläne, mich erfreuen sie. Verachte Dein Vaterland, verrathe Dein Volk, wirf Dich in die Arme seiner Tyrannen, Du gehörst zu ihnen und wirst mit ihnen verderben. Deine eitle Blindheit sieht nicht, wie das Verderben ihnen naht, sieht nicht, wie der tarpejische Felsen schon vor ihnen steht, von dem sie Alle hinabgestürzt werden, ihrem Könige nach, der zuerst hinunter muß. Siehst Du nicht, daß dies eine Revolution ist, die sie Alle verschlingt? Siehst Du nicht, daß keiner dieser stolzen Uebermüthigen verschont bleibt? – Laß Dich ihnen nur empfehlen, hoffe nur auf ihre Gunst und Gnade; Du wirst in Spott und Schande mit ihnen enden, verflucht, verdammt von allen besseren Menschen, ein Verräther, ein Elender, der die Freiheit verkauft und verrathen hat!“

„Nein, nein!“ stöhnte Bonaparte, „ich bin ein Sohn des Volks.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_241.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)