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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

ankommen, ich dürfte überdies über Ihr Engagement nicht allein bestimmen. Bis dahin aber hoffe ich, Ihnen einen bestimmten Bescheid geben zu können.“

Reichardt erhob sich zögernd – er hatte wenigstens auf eine Einladung gerechnet, bei Gelegenheit seine Fähigkeiten zu zeigen, aber er unterdrückte jedes Zeichen seiner Täuschung. „Sie haben zu bestimmen, Sir!“ erwiderte er, „würden Sie mir aber wohl gestatten, die Orgel einmal zu probiren? Sie ist neu und gut, wie ich höre, und ich habe mich schon während der Reise auf den ersten vollen Griff gefreut!“

Der Prediger setzte, wie uneins mit sich selbst, den Stuhl bei Seite, indessen schien bald eine Art Neugierde seine Bedenklichkeiten zu überwiegen. „Wenn Ihnen etwas daran liegt, werde ich den Kirchendiener rufen,“ sagte er, sich langsam nach der Thür wendend. Nach Kurzem aber schon sah sich Reichardt durch eine Handbewegung eingeladen, ihm zu folgen.

Man sah es dem Innern der kleinen Kirche an, daß die Crème der städtischen Bevölkerung sie in Besitz hatte. Die sämmtlichen Stühle waren mit reichem Polster versehen, weiche Teppiche bedeckten überall den Boden, und Holzwerk wie Wände glänzten in geschmackvollem Oelfarben-Anstrich. Das reichverzierte Orgelgehäuse erschien dem Deutschen fast zu klein für die Zahl der Register, welche es zeigte. Als er aber den mitgekommenen Schwarzen die Bälge anziehen hörte und, um sich einen Begriff von der Gesammtkraft zu verschaffen, das ganze Werk öffnete und voll in die Tasten hineingriff, brauste ihm eine Tonfülle entgegen, die er in allen Nerven zu fühlen meinte und die er niemals in diesem Raume vermuthet. Er setzte sich fester auf die Bank; er begann das Werk in voller Lust durchzuarbeiten; waren doch schon auf dem Piano freie Phantasien im Kirchenstyle seine Lieblingsübung gewesen. Vergaßen auch jetzt die Füße, noch nicht an den Dienst gewöhnt, einmal das Pedal, so hatten sie doch bald, von doppelter Aufmerksamkeit überwacht, den Ausfall zu ersetzen, und Reichardt fühlte, daß es nur weniger Uebung für ihn bedürfen werde, um auch hierin die nöthige Fertigkeit zu erlangen. Als er aber dem ersten Drange, welcher ihn überkommen, genügt, änderte er die Registratur, und in eins der weichen Mendelssohn’schen Lieder übergehend, gab er den sanften Stimmen ihr Recht. Selten noch glaubte der Spielende so viel Süße und Klarheit getroffen zu haben, er begann das Thema mit seinen eigenen Phantasien zu umschlingen, sich ganz dem Zauber hingebend, welchen diese wundersam milde Principalstimme auf ihn übte; er fühlte, daß er besser spielte, als er sich nur selbst zugetraut, und hatte bald, sich in den eigenen Genuß versenkend, alles Uebrige um sich her vergessen. Erst als er nach einem Accordengange, der immer dem Ende zuzustreben und ihm doch stets wieder auszuweichen schien, geschlossen hatte und mit einem tiefen Athemzuge aufsah, bemerkte er, daß er sich in größerer Gesellschaft befand, als er gewußt. Die halbe Barriere des Chors zu seiner Seite war mit Männern, ihrem Aeußern nach zu der besten Classe der Bewohner gehörig, besetzt, welche aufmerksam seinem Spiele gehorcht zu haben schienen. „Fahren Sie fort!“ rief Einer derselben kopfnickend, als Reichardt mit einiger Ueberraschung seinen Sitz verlassen wollte, „oder können Sie nicht etwas spielen, was wir kennen – etwas wie old hundred oder so?“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Berichtigung. Die Nr. 8 Ihres Blattes veröffentlicht die vortreffliche Rede, welche Ad. Stahr bei Anlaß der letzten Lessingfeier in Leipzig gehalten hat. In einer Vorbemerkung nennt Stahr die Stadt Leipzig als diejenige, welche auch mit der Schillerfeier in Deutschland vorangegangen sei. Erlauben Sie, daß dieser Irrthum in Ihrem Blatte berichtigt werde. Es war nicht Leipzig, das, indem es 1840 sein erstes Schillerfest hielt, mit dem Gedanken der Schillerfeier voranging, sondern es ist Stuttgart, das seit dem Jahr 1824 bis jetzt ohne Unterbrechung alljährlich ein öffentliches Schillerfest begangen hat. Das Morgenblatt, die Allgem. Zeitung, der Schwäbische Merkur etc. haben über diese Feste jährlich berichtet und in der Regel auch die Festreden abgedruckt. Schon 1839 aber, also ein Jahr vor dem ersten Leipziger Schillerfeste, ist zu Stuttgart Schiller’s Denkmal, eine Frucht dieser Feste, eingeweiht worden. Wir glaubten diese Bemerkung der Wahrheit und dem Geburtslande Schiller’s schuldig zu sein, umsomehr als man der Inanspruchnahme des ersten Gedankens an eine Schillerfeier für Leipzig immer und immer wieder begegnet.


Helgoland. In Nr. 9. dieses Jahres der „Gartenlaube“ befindet sich eine Notiz über die Insel Helgoland, durch welche zu rechter Zeit aus die große Bedeutung jenes Felseneilandes für Deutschland aufmerksam gemacht wird. Einsender dieser Zeilen, ein großer Freund jener Insel, ihrer eigenthümlichen Natur und ihres originellen Lebens, freute sich, auf den Werth ihres Besitzes hingewiesen zu sehen, bedauerte dabei aber die Wiederholung eines Vorurtheils, welches längst vor der wissenschaftlichen Kritik gefallen ist. Die Insel Helgoland war niemals wesentlich größer, als sie jetzt ist, hatte niemals jene Ausdehnung, jenen Reichthum an Waldungen, Dörfern und Tempeln, jene große Einwohnerzahl u. s. f., wovon in älteren und neueren Schriften, ja sogar auf alten Karten gefabelt wird. Die Wahrheit dieser Behauptung ist unwiderleglich bewiesen und zwar auf doppeltem Wege, historisch und geologisch. Die Abspülungen durch das Meer, welche in der Einbildungskraft furchtsamer Menschen den Felsen in wenigen Jahren vernichten sollen, finden allerdings statt, sind aber so unbedeutend, daß, wenn nicht ungewöhnliche Naturereignisse ganz anderer Art hinzukommen, das Alter und die Geschichte der Insel jedenfalls noch nach Jahrtausenden in die Zukunft hinaus berechnet werden müssen. Wer über diese und ähnliche Resultate der Forschung Belehrung wünscht, den verweisen wir auf folgende Schriften: J. M. Lappenberg, Ueber den ehemaligen Umfang und die alte Geschichte Helgolands. Hamburg 1830, und: K. W. M. Wiebel, Die Insel Helgoland nach ihrer Größe in Vorzeit und Gegenwart. Vom Standpunkte der Geschichte und Geologie.

Hamburg.

Ernst Hallier. 


Schach.

Lösung von Aufgabe Nr. 1.

1. S e 2 – c 3 † K d 5 – e 5. 2. D a 6 – d 6 † S f 5 – d 6. 3. S b 7 – a 5, Schwarz muß nun einen Springer ziehen, worauf der weiße Springer von a 5 aus nach Umständen entweder auf c 4 oder c 6 Matt giebt. Diese Doppelwirkung des Springers kann auch von d 8 aus durch 3. S b 7 – d 8 erzielt werden, und die doppelte Darstellung jener Doppelwirkung in derselben Composition bildet die eigentliche Pointe der letzteren. Gefunden ist die richtige Lösung zunächst von Aarland (Leipzig), Richter (Wildenthal), Voigt (Marienberg), Walther (Zwickau), Luhde (Grimmen), W–z-d (Leipzig), Büchner (Darmstadt), Mattfeldt (Lassrönne), Evans (Geyer), Wehrmeister (Liebenau), Weigt (Liegnitz), welche den Weg des Springers über a 5 nehmen, sodann von Harsonbetten (Cassel), Schwerdfeger (Leipzig), Pinsker (Saaz), Meyer (Herisau), Lindau (Hainsberg), B. in G–e, Bendix (Hamburg), E. A. in M., Posner (Brody), Riedl (Schibowic), H–n (Riga), Möbius (Diedenhein), Eb. D. R. O. (Tharandt), Hempen (Meppen), Tz. in G., Negenborn (Lübeck), Sach (Kesdorf), welche den Weg über d 8 wählen.– Die Pointe der Doppel-Combination ist nur von R. Schaufuß in Leipzig angegeben und gewürdigt worden. Viele haben sich durch die verlockende Spielweise 1. S e 2 – c 3 † K d 5 – e 5. 2. D a 6 – a 5 † d 6 – d 5. 3. D a 5 – c 7 † etc. blenden lassen und das Zwischenopfer 2… S d 4 – b 5, welches dem Könige Luft und ein vierzügiges Matt unmöglich macht, übersehen. Noch Andere versuchen 2. D a 6 – d 3 S f 5 – e 7 † -3. K g 6 – f 7 und lassen den Gegenzug d 6 – d 5 außer Acht. Im Ganzen sind (bis 12. März) 67 Lösungsversuche, darunter 33 richtige, eingegangen.


Bei dem Unterzeichneten gingen in den letzten Wochen an Geldern ein: Für die Henglin-Expedition: 5 Thlr. von Ferd. Thieme in Moskau – Durch E. und C. in Dresden 5 Thlr. von F. A. S. in N. – 1 Thlr. von Th. R. in D. – 1 Thlr. von Ed. G. in D. – 6 Thlr. Einige junge Bergbeflissene und Maschinentechniker in Müsen bei Siegen – 48 Thlr. 26 Ngr. Deutsche Liedertafel in Bukarest, durch deren Vorstand, Präsident Gust. Rietz.


5 Thlr. von P. N. S. F. (Postzeichen Waltershausen) für das Hermanns-Denkmal – 1 Thlr. von Gabr. Meyer für das Arndt-Denkmal – 3 Thlr. M. in Posen, zur freien Verwendung an einen vom Schicksal Heimgesuchten – 10 Thlr. von Laemmert in Rio Janeiro für das Schill-Denkmal – 10 Thlr. von C. A. S. für den Schiller-Fonds (bereits früher quittirt).

Ernst Keil. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_240.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)