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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

seinen Unfall gewiß einer Schwalbe zu verdanken, und den Fisch, den der Engel damals so leicht fand und dessen Galle den Doctor Gräfe mit seinen sämmtlichen Nachfolgern entbehrlich machen würde, suchen die Naturforscher bis heute vergebens. Ganz gewiß bedeuten die Hausschwalben unter dem Gesimse noch heute Glück, nur wenn auch eine Schwalbe keinen Sommer macht, so lauscht doch der Landmann wie der Städter dem fröhlichen Gezwitscher, womit sie ihre Ankunft ankündigen, und prophezeit aus frühem oder spätem Wegzuge die Wahrzeichen des bevorstehenden Winters. Im Mittelalter trugen die Schwalben die Panacee für alle Krankheiten mit sich im Leibe herum; jeder Körpertheil hatte eine andere wunderbare Heilkraft: die zerquetschten Brustmuskeln waren das beste Gegengift gegen Schlangenbiß und Scorpionenstich; der Koth, mit Wasser angerührt und als Trank genommen, bewahrte vor Hundswuth und Tobsucht. Die jungen Schwalben wurden im Mörser zerstoßen und das ekle Gemisch mit Bibergeil und Essig bei mäßigem Feuer destillirt; das gab dann das berühmte Schwalbenwasser, das, wie der Schneeberger echte und gerechte Schnupftabak, alle Flüsse vom Haupt nicht nur, sondern alle Gebrechen ohne Ausnahme radical heilte, aber nur in den schrecklichsten Fällen gebraucht wurde, weil es unmittelbar beim Gebrauche die Haare ausfallen machte. Damals aber galt es noch nicht als eine Empfehlungskarte für einen Gelehrten oder Staatsmann, kahlköpfig zu sein, wie dies später in Frankreich zu Guizot’s Zeilen der Fall war, und man opferte nur in der dringendsten Gefahr die Zierde des Hauptes, um das Leben zu retten.

Die Milde der toscanischen Gesetzgebung ist bekannt. Nichts desto weniger gehören die Schwalben dort zu den übelbeleumdeten Vögeln, werden den Raubvögeln, den Raben und Spatzen gleichgestellt und für vogelfrei erklärt. Für die übrigen kleinen Vögel hat das Gesetz wenigstens schützende Bestimmungen, die freilich nirgends beobachtet und gehalten werden – für die Schwalben aber spricht kein Buchstabe. Man kann sich denken, mit welcher Energie man über die armen Thiere in denjenigen Zeiten herfällt, wo die Jagd geschlossen, das Tragen von Gewehren bestraft und das Legen von Fallen und Schlingen für andere Vögel verboten ist. Ueberall hängen die feinen, grünen Seidennetze, welche die armen Schwalben in ihren hastigen Wendungen nicht sehen: überall flattern an Fischangeln die lebendig gespießten Käfer und Heuschrecken, die sie mit hastiger Gier verschlingen, um nun selbst an der Angel zu zappeln!

Zu den Schwalben verhält sich die Nachtschwalbe oder der Ziegenmelker etwa wie die Eule zu den Falken. Der kurze dicke Kopf mit den großen, runden Augen, das weiche Gefieder, der leise schwebende Flug, das unheimliche Geschrei, das Schlafen bei Tag und an versteckten Orten – Alles das ist vollkommen eulenartig und gehört zum Charakter des Nachtvogels, der mit der Dämmerung sein Leben beginnt und beschließt. Der außerordentlich dünne, biegsame Schnabel mit dem weiten Rachen hingegen ist durchaus schwalbenartig, und in der That stehen auch hinsichtlich ihrer inneren Organisation die Ziegenmelker den Mauerschwalben oder Seglern am nächsten. Von den alten Griechen her stammt schon die Ungunst, welche die Ziegenmelker mit allen übrigen Nachtthieren theilen. Sie sollen in den Ställen die Euter der Ziegen so sehr aussaugen, daß diese selbst vertrocknen. Das Fächeln ihres Flügelschlages soll das Vieh blind machen, und ihr kläglicher Schrei, der demjenigen des Käuzchens ähnlich ist, aber noch etwas Schnarrendes dazu hat, soll ebenso wie der Eulenschrei alles mögliche Unglück anzeigen. Eine nordamerikanische Art hat sogar bei den dortigen Ansiedlern nicht minderen Ruf erlangt, als der Kauz in Europa, und wer Cooper’s Romane gelesen hat, erinnert sich wohl der öfter wiederholten Scenen, wo das Geschrei des Whip-poor-Will, das unheimlich durch die Nacht ertönt, den bevorstehenden Ueberfall der Indianer oder sonst ein Unglück zum Voraus anzeigt.

Aber auch hier gilt es, dem Vorurtheile des Volkes ebenso kräftig entgegenzuarbeiten, als bei den Eulen. Denn die Nachtschwalben gehören, wie ihre Verwandten des Tages, zu den nützlichsten Vögeln, die überhaupt existiren; sie melken nicht und blenden nicht, sie fressen weder Körner noch Fleisch, schnappen aber mit unsäglicher Freßgier alle jene Nachtinsecten weg, unter denen wir unsere hauptsächlichsten Feinde finden. Die großen Käfer, die in der Dämmerung umherschnurren und deren Larven Wurzeln oder Holz nagen; die dicken Nachtfalter, deren Raupen unsere Bäume und Gemüse verwüsten; all’ das kleine Geschmeiß von Motten und Mücken, Bremsen und Schnaken findet sein Grab in dem weiten Rachen der Nachtschwalbe, die nur deshalb in Ställen und Gehöften umherstreicht, weil eben dort auch das Geschmeiß sich ansammelt. Lasse man sie also ruhig gewähren; sie stört Niemandes Schlaf und arbeitet in der Nacht für den Menschen, der sie zum Danke verleumdet und verfolgt.

Ich komme in letzter Linie zu dem Kuckuk, dem beschrieensten aller Vögel und dem nützlichsten vielleicht, den wir kennen, dem unermüdlichen Glöckner des Frühjahrs und Vorsommers, der mit Hunderten von Sagen in Beziehung steht und der Fabel nach im Wettgesange mit der Nachtigall den Preis davon trug, weil er gut Choral sang und der Esel Schiedsrichter war. Alle haben ihn gehört und nur wenige haben ihn gesehen, den schönen, scheuen Vogel, der nur selten zum Schuß kommt, äußerst schlau ist, kein Nest baut, sondern als Freund der Grasmücken, Bachstelzen und Lerchen sein Ei in das Nest dieser kleinen Vögel legt, die den jungen Kuckuk besser pflegen, als ihre eigenen Jungen, welche sie sogar verkümmern lassen aus Sorge für den Eindringling. War es vielleicht aus moralischem Unwillen über das schlechte Beispiel, welches der Kuckuk durch sein Benehmen dem Menschengeschlecht giebt, daß der Kanton Uri bis in die jüngste Zeit ein Schußgeld auf jeden Kuckuk gesetzt und die Vertilgung dieses Vogels zum Range einer Staatsaction erhoben hatte? Oder stammte diese Verfolgung weit her aus alter, grauer Zeit, und war sie vielleicht in den Verhältnissen irgend eines der höheren Magistrate der altehrwürdigen Republik begründet, der den Ruf des Kuckuks nicht hören konnte, ohne darin eine Anspielung zu finden? Wie dem auch sein mag, so viel ist gewiß, daß der Kuckuk bis in die jüngste Zeit im erleuchteten Staate Uri verboten und jetzt erst in seine waldursprünglichen Rechte wieder eingesetzt worden ist.

Der Kuckuk spielt aber auch keine geringe Rolle im Aberglauben. Sein Name ersetzt den Teufel, wo man diesen nicht auszusprechen wagt: „Hol’ Dich der Kuckuk!“ „Geh’ zum Kuckuk!“ sind landläufige Redensarten, und sein Ruf gilt ebensowohl als Bezeichnung von Jahren und Jahreszeiten, wie als Vorbedeutung für eine Menge zukünftiger Dinge. Der Schwindsüchtige hört den Kuckuk nimmer rufen, und den verliebten Mädchen zeigt er ebensowohl die Zahl der Jahre an, während deren sie noch auf den Freier harren müssen, als den Kindern die Zahl der Sommer, die sie noch zu leben haben. Hat man viel Geld in der Tasche, wenn man zum ersten Male den Kuckuk rufen hört, so bleibt man reich das ganze Jahr hindurch; schade nur, daß dies meist, für die Städter wenigstens, bei Waldpartien begegnet, wo man gerade nicht die Gewohnheit hat, sich übermäßig mit Geld zu versehen. Die alten Weiber, sagt ein französischer Schriftsteller, die weder Anspruch auf heiße Liebe, noch auf eine fabelhafte Lebensdauer machen können, begnügen sich bescheidener Weise, ein wenig von der Erde zu nehmen, auf welcher der Kuckuk in dem Augenblicke saß, wo sie ihn zum ersten Male hörten, und halten sie für ein gutes Mittel gegen die Flöhe. Saß der Kuckuk auf einem Baume, so hat das bischen Erde, auf welchem man mit dem rechten Fuße stand, dieselbe Tugend.

Unter Förstern und Landleuten gehen noch andere Dinge um. Im Herbste wird er Sperber und im Frühjahr Kuckuk; andere lassen ihn sogar im Winter zur Kröte werden, die sich in einen hohlen Baum setzt; noch andere wissen etwas von seinen Wanderungen; aber sowie die Grasmücke seine Jungen ernähren muß, so muß die Gabelweihe ihn auf ihrem Rücken aus dem Lande und wieder herein tragen.

Und der Kern von allem diesen? Daß der Kuckuk der Raupenvertilger des Hochwaldes ist. Andere Insecten speist er nebenbei. Aber die stacheligen Bärenraupen, die haarigen Processionsraupen, die sogar giftige Eigenschaften haben, die sind es gerade, welche er zur täglichen Mahlzeit vorzieht und womit er sich die innere Magenwand so spickt, daß man früher glaubte, dieselbe sei behaart, während es doch nur die stacheligen Raupenhaare sind, die sich in den Magenwänden einhaken und durch die Drehungen derselben eine wirbelähnliche Stellung erhalten. Unglaubliches kann der Kuckuk in dieser Beziehung durch seine Gefräßigkeit leisten. Ich wunderte mich nicht mehr, erzählt Ratzeburg, der berühmte Beobachter der Forstinsecten, daß unser Raupenzwinger sich so schnell entvölkerte, seitdem ich wußte, daß sich ein Kuckuk in der Nähe angesiedelt hatte.



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