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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Und was ist der Grund dieser grenzenlosen Verödung? Was würden die alten Römer sagen, wenn sie aus ihren Gräbern aufständen und sehen würden, was die päpstliche Regierung aus dem Paradiese gemacht hat, welches sie einst mit hunderttauscnd Sclavenhänden rings um die Hauptstadt der Welt geschaffen hatten? Die zwei Millionen der ewigen Roma sind auf nur hundertsiebenzigtausend Bewohner herabgesunken, und die Campagna ist nicht einmal im Stande, die Bewohner des modernen Rom zu ernähren. Die ungeheueren Gütercomplexe des alten republikanischen und kaiserlichen Roms sind in die Hände der Pfaffen und der Principi des heurigen Kirchenstaats übergegangen. Diese Pfaffen, diese Fürsten, diese geistlichen Congregationen haben keine Neigung und auch keinen Begriff von Ackerbau. Sie sind enorm reich, ihre Güter und Besitzungen liefern ihnen pecuniäre Mittel genug, um in Schwelgerei und in einem halb asiatischen Luxus zu leben; sie verpachten deshalb ihre großen Gütercomplexe in der Campagna an Mercanti, welche die weiten Strecken zu Viehzucht benutzen, weil sie kein Interesse und keine Lust daran haben, aus ihnen urbare und getreidetragende Ländereien zu machen.

Würden diese großen Gütercomplexe parcellirt, würde dann die Regierung des Papstes ihre Aufgabe verstehen, den Ackerbau, die Industrie, überhaupt alle commcrcielle und industrielle Verhältnisse in den römischen Staaten ebenso zu heben und zu fördern, wie sie dieselben von Jahr zu Jahr herunterdrückt und principiell vernachlässigt: so würden in der öden Campagna statt des gelbblühenden Ginsters wiederum Wein und Maulbeerbäume wachsen, und der Wind würde in den Halmen von Getreidefeldern rauschen, wo er jetzt an den Ufern mooriger Teiche und sumpfiger Ebenen in der riesigen römischen Canna (Rohr) flüstert. Aber die Parcellirung der großen Latifundien, die Hebung des Ackerbaues, die Handelsschiffe, die Eisenbahnen und die Straßenzüge, das Alles ist dem innersten Wesen der theokratischcn Regierung, welche über dem Patrimonium St. Petri waltet, vollkommen zuwider! –

Mittag war lange vorbei, und blaudüstere Schatten umhüllten die bewaldeten Höhen des Gebirges, welches ganz nahe an die Straße herantrat, mit ihrem schattigen Mantel, als ich an Palestrina vorüber fuhr. An den Felsen, wo jetzt die ärmlichen Häuser amphitheatralisch übereinander ragen, lehnte sich einst das uralte Präneste, lange vor Rom erbaut, einst Hauptstadt des lateinischen Bundes, in der Römerzeit und im Mittelalter vielfach erobert, zerstört und wieder aufgebaut. Dann rollten die Räder des Wagens auf antiker Römerstraße. Noch einige Miglien und Cavi erschien, die Häuser malerisch gruppirt auf ihrem Tufffelsen am Abhang des Monte di Montorella. Der Abend nahte, ein Meer dunkler Schatten lagerte sich über die zweitausendjährige Vergangenheit der Campagna hinter mir, aber heller und durchsichtiger wurde die Atmosphäre, da hielt ich vor dem Thore Gennazzano’s. Rauschend stürzten mir die Wellen des Rivorano entgegen, sapphirblaue Wellen, weiße, geträufelte Schaumwirbel auf ihren Häuptern. Geisterhaft blickte das uralte Schloß auf einsamer Höhe herab.

Das Begräbniß.
Nach der Natur aufgenommen von Zwahlen und Zielcke

Was ist das für ein wunderbarer Zug, der da langsam aus dem Thore hervorschreitet und die Stufen des steilen Weges hinabsteigt? Voran wurde das Kreuz getragen, von Priestern in ihren weißen, goldgestickten Gewändern umgeben, dann eine Reihe sonderbarer, unheimlicher Gestalten. Sie waren alle in aschfarbene Kutten gehüllt, vom Kopf bis zu den Füßen vermummt, die Kapuzen durchlöchert, aus deren ausgeschnittenen Augenhöhlen die Augen gespenstisch hervorleuchteten. Ein eintöniges, unheimlich klingendes Grablied singend, schritten sie vor der Bahre vorher. Vier von ihnen trugen die Bahre, welche mit schwarzsammtnem Teppich bedeckt war, auf dessen Grunde silberne Rosen blühten, auf ihren Schultern. Auf der Bahre lag, ganz in weiße Mullkleider gehüllt, die Leiche, ein junges Mädchen, über deren schwarze Locken kaum achtzehn Frühlinge vorübergerauscht waren, ein sanftes Lächeln auf den Friede und Ruhe athmenden Zügen. Junge Märchen sterben so leicht; ohne Schmerz und ohne Qual schwingt sich der Geist auf zum Aether, und lächelnd blickt ihm das Antlitz der Gestorbenen nach. Ein goldgestickter Schleier fiel über die zarten, weißen Schultern hinab, und ein Kranz von weißen Rosen und Tuberosen umschlang das duftige Haar. Hinter der Bahre schritten wieder die vermummten Gestalten, das Sterbelied singend, gespenstisch mit dunkeln Augen aus den Löchern der Kapuze hervorblickend. Es waren die Mitglieder der Confraternita, einer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_220.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)