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einrichten, auf der sie große Opern und die besten französischen Werke zur Aufführung brachte. Oft sah man sie mitten im Orchester am Clavier sitzen und mitwirken. Ihr Beispiel weckte den Geschmack an der Kunst und trug wesentlich zur Bildung und Veredlung des ganzen Hofes und der Residenz bei. Der Kurfürst selbst ließ über dem Reithause in der breiten Straße ein Theater bauen, ebenso gründete der Oberbürgermeister von Berlin von Hessig in seinem Hause in der Königsstraße eine kleine Opernbühne; alle jüngeren Personen am Hofe waren musikalisch, und selbst die Herzogin von Kurland und die nächsten Verwandten des Kurfürsten verschmähten nicht, neben den fremden Künstlern in der Oper: „i trionfi del Parnasso“ zur Einweihung der neuen Schloßbühne aufzutreten.

Natürlich fehlte es nicht an Widerspruch gegen dieses ungewohnte Treiben, besonders von Seiten der zelotischen Geistlichkeit, der die ganze Richtung und die weltlichen Lustbarkeiten des Hofes als ein Gräuel erschienen. Als die Kurfürstin am zweiten Pfingstfeiertage eine Opernvorstellung in Lützelburg geben wollte, worin einige junge Edelleute und Fräulein mitwirken sollten, eiferte der Hofprediger Cochius von der Kanzel herab gegen dieses Vorhaben mit unduldsamer Rede. Nicht durch Trotz, sondern durch Liebenswürdigkeit hoffte sie den strengen Mann zu überwinden, indem sie seine Frau und Tochter freundlich zu der Vorstellung einladen ließ, mit dem Bemerken, diese würden ihm am besten dann bezeugen können, daß daselbst nichts Böses vorginge. Trotzdem unterblieb die Vorstellung, und die Bühne mußte auf Befehl des Kurfürsten abgebrochen werden, da dieser der Stimme seiner Geistlichkeit diese Rücksicht schuldig zu sein glaubte. Dennoch siegte zuletzt die hohe Frau durch ihr kluges Benehmen, und als in der Folge der berühmte Spener die Schauspiele als dem Christenthum entgegen untersagt wissen wollte, erzielte er blos, daß die Aufführung wirklich anstößiger Stücke verboten wurde.

So war und blieb Sophie Charlotte der geistige Mittelpunkt der feinsten, ungezwungensten Geselligkeit, um sie sammelten sich die besten und edelsten Männer und Frauen der damaligen Zeit. Sie besaß das Talent, die hervorragendsten Geister anzuziehen und auch dauernd zu fesseln. Wie Leibnitz ihr vertrautester Freund, so war Fräulein von Pöllnitz ihre beste Freundin. Sie war eine der sechs Kammerfräulein der Kurfürstin, ausgezeichnet durch Geist und Schönheit wie ihre Herrin, dieser ähnlich durch jugendlichen Sinn und muntere Neigung, empfänglich für Freundschaft und von grenzenloser Ergebenheit. Sie hatte eine lebhafte Einbildungskraft, raschen Witz und ein so reiches Wissen, wie man es bei Frauen nur selten findet und ihnen kaum gestatten will. Dabei besaß sie die Gabe des Anordnens und Erfindens, und durch ihre Leitung und Fürsorge gewannen die Vergnügungen und der tägliche Lebenslauf in Lützelburg einen großen Theil des Reizes und der Annehmlichkeit, wodurch sie sich auszeichneten. Wie innig das Verhältniß beider Frauen war, bezeugt am besten ihr Briefwechsel, aus dem folgende Zeilen ihre gegenseitige Stellung und ihren innern Werth abmessen lassen: „Meine theure Pöllnitz! Sie haben mich vollständig besiegt, denn ich bin nicht im Stande, Ihre Liebenswürdigkeiten zu erwidern, und ziehe es deshalb vor, daß Sie eher an meiner Freundschaft zweifeln mögen. – Ihre Mutter benachrichtigte mich, daß Sie in acht Tagen wieder ausgehen können. Mir schlägt mein Herz vor Freude, ich empfinde das Vergnügen im Voraus. Jetzt kann ich nicht über die Dummheiten lachen, die um mich vorgehen: mit Wem? – Gewisse Philosophen verabscheuen das Leere, und ich, theure Pöllnitz, das Volle. Gestern sah ich an meinem Hofe zwei Damen, dick bis zu den Zähnen, langweilig bis zum Scheitel und dumm bis zu den Zehen. Glauben Sie, meine Theuere, daß Gott, indem er solche Creaturen schuf, sie nach seinem Ebenbilde geformt hat? – Nein, er machte für sie eine besondere und ganz verschiedene Form, um uns den Werth der Schönheit und Grazie durch die Vergleichung erkennen zu lassen. Wenn Sie das boshaft finden, so weiß ich, an wen ich mich adressire. Gleich und Gleich gesellt sich gern. – Da einmal mein Geist im boshaften Zuge ist, so will ich auch so fortfahren. Ich sah auch hier zwei fremde Jammergestalten. Wenn Gold, Stickereien und Orden das Verdienst bezeichneten, so würde keines dem ihrigen gleichkommen. Aber da ich wenig Respect vor solchem Reichthum habe, so weiß ich ihren wahren Werth zu schätzen. Ich begreife es, daß der Anblick der Großen einschüchtern und dem Geiste die Fähigkeit rauben kann, sich zu zeigen und zu glänzen; dann halte ich es für meine Pflicht aufzumuntern. Wenn aber die Dummheit sich breit macht und die Anmaßung, mit Thorheit verbunden, die Rücksicht für sich beansprucht, die wir allein dem wahren Talente schuldig sind, dann bin ich ohne Erbarmen und schonungslos. Wie schätzenswerth ist das Mißtrauen unseres eigenen Werthes, aber diese Tugend ist selten! Glauben wir nicht immer, einige Karate mehr zu wiegen als die anderen Menschen? Wie erbärmlich ist die Eitelkeit, und doch ist dieses Gefühl unser treuster Begleiter. Großer Leibnitz! Was für schöne Dinge hast Du darüber gesagt! Du entzückst, überzeugst, aber besserst Keinen. – Ich bin im Zuge zu moralisiren, doch das Concert beginnt; ein neuer Sänger wird singen, und ein großer Ruf geht ihm voran. Wenn er ihm entspricht, wie angenehm werde ich meine Zeit verbringen! Adieu, Adieu, die Musik erwartet mich, und ich muß die Freundschaft dem Talente opfern. Nochmals Adieu und diesmal ohne Widerruf.“

Außer dem Fräulein von Pöllnitz gehörten die Hofdamen von Bülow, von dem Bussche und Seesfeld, der Oberhofmeister Eusebius von Brand und Bülow, die Kammerherren von der Marwitz und Graf Otto von Schwerin, der Chevalier François de Jaucourt, Seigneur de Villarneul, ein alter Junggeselle voll Originalität, und der Legationsrath Isaak von Larrey, der eine Geschichte der „Eleonore von Guyenne“ schrieb, zu der vertrauten Umgebung der Kurfürstin. Mit ihnen überließ sie sich einer heiteren Geselligkeit; Theatervorstellungen, Opern und Schauspiel wechselten mit Bällen und Festen ab, die stets das Gepräge eines geistigen Vergnügens trugen. Besonders beliebt waren die sogenannten „Wirthschaften“, Maskenscherze, welche durch die Verse des Dichters Canitz und des Oberceremonienmeisters Besser verherrlicht wurden. Wir besitzen die Schilderung eines derartigen Maskenfestes von der Feder des berühmten Leibnitz. Das Lützelburger Schloß stellte einen Jahrmarkt mit Buden vor, belebt von dem buntesten Maskengewühl. Die Rollen wurden durch das Loos vertheilt; die Kurfürstin selbst erschien als Quacksalberin an der Seite des Geheimrath von Osten, der den Charlatan übernahm. Seine Gehülfen waren der Markgraf Albert und der Graf von Solms. Der damals zwölfjährige Kurprinz stellte einen Taschenspieler vor und erntete großes Lob für seine Geschicklichkeit. Die Fürstin von Hohenzollern wahrsagte als Zigeunerin dem in seiner Loge anwesenden Kurfürsten und den hohen Herrschaften. An Sophie Charlotte richtete sie die folgenden Verse:

Wofern mir meine Kunst recht kund,
Zeigt dieser Strich, der so zertheilet:
Daß sie viel Tausend zwar verwundt,
Allein noch Keinen hat geheilet.

Der sächsische Gesandte, Herr von Flemming, rief auf gut pommersch:

„Vivat Friedrich und Charlott’!
Wer’s nicht recht meint, ist ein Hundsfott!“

Das Fest dauerte bis spät in die Nacht, was Leibnitz zu den Worten veranlaßt: „Je fais ici une vie, que madame l’électrice appelle après moi „ein liederlich Leben.“ – Ueber diese Zerstreuungen vergaß indeß die Kurfürstin nicht ihre ernsten Pflichten. Vorzugsweise beschäftigte sie die Erziehung ihres Sohnes, des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm I. , dessen wilde, trotzige Natur ihr vielen Kummer bereitete. Schon als Kind zeigte er die deutlichen Spuren eines unbändigen Charakters. Als ihn eines Tages seine Gouvernante züchtigen wollte, kletterte er auf die Fensterbrüstung und drohte sich hinabzustürzen, wenn ihm die zugedachte Strafe nicht erlassen würde. Im Gegensatz zu seinem prachtliebenden Vater verrieth er schon frühzeitig einen hohen Grad von Einfachheit, indem er einen goldstoffenen Schlafrock in das flammende Kaminfeuer warf. Seine Sparsamkeit grenzte fast an Geiz, und statt nach dem Wunsche seiner geistreichen Mutter sich mit den Wissenschaften zu beschäftigen, zeigte er nur eine auffallende Neigung für den Soldatenstand und für das rohe Lagerleben. Ohne die sich in solchem Thun äußernde Kraft zu verkennen, bemühte sie sich, durch die Wahl ausgezeichneter Erzieher und durch mütterliches Zureden auf ihn einzuwirken und seine rauhen Ecken abzuschleifen.

Nicht minder war sie bedacht, auch da den Wünschen ihres Gemahls nachzuleben, wo sie seinen Ehrgeiz und seinen Hang für äußerliche Größe nicht theilte. Schon lange ging der Kurfürst mit dem großen Gedanken um, seinem Hause die Königswürde zu verschaffen;

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