Seite:Die Gartenlaube (1861) 212.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Carlo Andrea, und er erzählte nun sein Zusammentreffen mit dem Lieutenant Demarris vor der Wache.

„Das ist ein Schwätzer,“ sagte Napoleon, „im Uebrigen aber mein anhänglicher lustiger Camerad; was er jedoch von Frau von Colombier erzählt, hat seine Richtigkeit. Die Dame besitzt Vermögen und wohnt dicht bei der Stadt. Sie ist gastfrei und liebenswürdig und versammelt einen Kreis der besten Leute um sich, die hier zu haben sind.“

„Du bist häufig dort?“

„Zuweilen, aber ich bin gern dort.“

„Hat Frau von Colombier Kinder?“ sagte Carlo Andrea nach einigen Augenblicken gleichgültig.

„Eine Tochter, ein junges Mädchen, kaum aus der Pension gekommen; doch nun erzähle mir, was Du weißt von meiner lieben Mutter, von meinem Onkel, von meinen Schwestern, Brüdern und Freunden. Ich brenne vor Verlangen, denn ich habe seit einiger Zeit schon keinen Brief von Ajaccio erhalten. Wahrscheinlich weißt Du also mehr von ihnen als ich.“

Die beiden Jugendfreunde tauschten nun aus, was sie wußten und Napoleon sprach mit Zärtlichkeit von seiner Mutter und seinen Geschwistern, von dem alten, haushälterischen Oheim, dem Archidiaconus Lucian, der ihm kein Geld schickte, und von den Parteien in Corsica und Ajaccio. Er sprach in abgerissenen Sätzen bald von dem Einen, bald von dem Anderen, mit launigen und spöttischen Bemerkungen oder auch wohl von heftigen Ausrufungen unterbrochen, die seine lebhaften Empfindungen ihm eingaben. Nach einiger Zeit sagte er dann: „Du willst also jetzt nach Ajaccio zurück, und was denkst Du dort zu thun?“

„Ich denke Processe zu führen und den großen Proceß abzuwarten, der auch bei uns gewonnen oder verloren werden muß“, antwortete Pozzo di Borgo.

„Der Proceß, wem die Zukunft gehören soll!“ rief Napoleon. „Welche Partei wirst Du nehmen?“

„Die des Rechts und der Vernunft!“

„Das ist die des Volks! – Welche Dummköpfe von Aristokraten hat man in die Nationalversammlung geschickt! Einen Buttafuoco, den schlechtesten Kerl, der aufzutreiben war –“ er fing an zu lachen, kreuzte seine Arme und blieb von Carlo Andrea stehen; „dieser Mensch ist reich und wir sind arm, das ist der Unterschied. Wenn man General ist, geht man mit dem Hof, wenn man Lieutenant ist, geht man mit dem Volke.“

„Wir gehören ja Beide auch zum Adel Corsica’s,“ erwiderte der junge Rechtsgelehrte, „und in dieser Zeit hält es nicht schwer, sich mit reichen Familien zu verbinden.“

„Wodurch?“ fragte Bonaparte rasch.

„Durch eine Heirath. Wir haben reiche Mädchen genug, die Töchter der Peraldi, der Peretti, der Ornamo und Andere.“

Napoleon blickte ihn scharf an, drehte sich dann auf den Hacken um, sah zum Fenster hinaus und kehrte zurück. „Wohlan denn!“ rief er in lustigem Tone, „man muß es überlegen. Mir scheint jedoch, wenn man heirathen will, um sein Glück zu machen, muß es eine einflußreiche Familie sein; keine, die in einem Winkel Corsica’s auf ihre Schafheerden und Oelgärten den größten Stolz setzt. Wir wollen zu Frau von Colombier gehen; Du wirst da von ihrem Vetter, dem General Noallis hören und von einem halben Dutzend anderer Herren und Damen, die bei Hofe erscheinen oder in hohen Diensten und Ehren stehen. Sie ist sogar mit dem Herrn von Bretenil bekannt und hat Briefe von ihm aufzuwiesen.“

Er lachte laut auf, warf seinen Rock ab und fuhr in die Uniform, welche er vom Bett aufraffte. „Wir müssen so sauber erscheinen, wie es jungen Aristokraten zukommt,“ fuhr er dabei fort, „damit wir gnädig empfangen werden, Demarris sich meiner nicht schämt und der Verdacht nicht weiter um sich greift, daß ich ein Bewunderer des verabscheuungswürdigen, ganz aus der Art geschlagenen Grafen Mirabeau bin. Ich werde mir daher die Stiefeln blank bürsten lassen, gleich bin ich wieder hier.“

Carlo Andrea stimmte ihm bei; als Napoleon aber das Zimmer verlassen hatte, stand er auf, trat an das Schreibpult und betrachtete ein Blatt, welches der Lieutenant beschrieben und dann mit anderen Papieren bedeckt hatte. Seine Augen blitzten spöttisch darauf. „An meine theuere Beatrice,“ murmelte er, „Verse sogar! – Das sind also die letzten Studien für die Geschichte Corsica’s und das seine Begeisterung für das Vaterland!“ Er legte das Blatt wieder hin und setzte sich gelassen auf den Stuhl, wo er geduldig wartete, bis Napoleon zurückkehrte.


(Fortsetzung folgt.)




Eine deutsche Bürgerstochter.

Innsbruck zeigt trotz seines alten Ursprunges eine sehr moderne Architektur; fast möchte man sagen, seinen Straßen und Häusern sei der Alles nivellirende Charakter der Büreaukratie, denn diese beherrscht den Platz, aufgedrückt. An Werken der Baukunst, wie sie den Wanderer in mancher kleinen Stadt aus dem Mittelalter anheimeln, wird es vom nahen Hall übertroffen, die größten geschichtlichen Erinnerungen Tyrols knüpfen sich weder an seinen Namen, noch an die der Obrigkeit gegenüber stets zahme und ergebene Einwohnerschaft; die schöne Natur liegt vor seinen Thoren, und der eingeborene Bürger kümmert sich um diese auch sehr wenig, es sei denn irgendwo ein Wirthhaus, wo man guten Wein trinkt, oder eine Bauernhütte, in welcher süße Maibutter mit Zimmt gewürzt aufgetragen wird. Darum möge mir der Leser in das Freie folgen; bald haben wir die staubigen Straßen hinter uns, zur Seite rauscht die Sill, das Korn wogt im Winde und der duftige Klee lockt die Bienen auf die Wiese. Schon stehen wir am Eingange der Schlucht, welche der Waldbach tief in den grauen Schiefer gegraben, feuchte Kühlung weht uns entgegen, Büchsenknall von der Höhe rechts erinnert uns, daß da droben der Schießstand des Berges Isel sei. Der Berg Isel! kaum ein Hügel gegen die Riesen im Hintergrunde und doch hell beleuchtet vom Glanze großer Thaten! Hier warfen die Schützen von 1809 den französischen Marschall in die Flucht, daß er ohnmächtig grollend seiner Siege an der Weichsel und des Herzogstitels von Danzig vergessen mußte. Jetzt ist es Frieden, tiefer Frieden, kein Tropfen Blut färbt den Abhang mehr, den die rothe Steinnelke schmückt, und statt des Kampfgetöses tönt der laute Schrei des Falken, der nebenan auf einer Klippe sein Nest hat.

Wir wenden uns links, ein kunstloser Pfad leitet durch das Gebüsch, aus welchem hie und da ein neugierige Meise oder ein Rothkehlchen guckt; bisweilen öffnet eine Lichtung dem Blicke das

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_212.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)