Seite:Die Gartenlaube (1861) 204.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

mir hierüber, „gab ich den Burschen schlechten Fusel zu trinken, Und da blieben sie nie mehr lange in der Wurzenhütten. Einmal war wieder Einer gekommen, und die Burgl hatte nur mit genauer Noth in’s Faß wischen können. Drinnen aber fing die dumme Dirne zu lachen an, weil ich kurz zuvor was Spaßiges gesagt hatte, und der Scherge merkte nun den Braten und fand die Burgl bald, denn das Faß stand dort, wo es heut’ noch ist, neben dem Heerde. Die Burgl sollte mit aufs Pflegamt folgen, aber sie war stark, stieß den Schergen von der Straße in den See und entlief in die Berge. Da kam denn der Pfleger bald selbst hernach, um mir das Geschäft zu sperren und die Hütte anzuzünden. Ich bat und bat, Alles umsonst; schon legten die mitgekommenen Schergen Hand an, um des Pflegers Willen zu thun, als dieser von heftigem Leibschmerz befallen wurde, welcher ihm schier den Leib zerriß. In diesem Elend verhieß ich den Pfleger zu heilen, wenn er mir die Hütte und die Burgl überlasse. Noth bricht Eisen, er willigte ein, und ich gab dem kranken Pfleger ein Glas vom echten schärfsten Enzian. So überfiel ihn starker Schweiß, und ich rieth ihm, diesen durch starke Bewegung zu fördern, und er befolgte den Rath und ging heim, wo er darnach gesünder war als heute. Seitdem ist kein Polizeimann mehr, nach der Burgl zu suchen, gekommen! O, was so ein Leibschmerz zur rechten Zeit vermag!“

Vielleicht hätten die schon im vorgerückten Alter stehenden Liebenden nunmehr auch heirathen dürfen; aber es schien ihnen nimmer nöthig zu sein. Jetzt zählen sie mitsammen etwa 160 Lebensjahre, ein Muster deutscher Treue und Anhänglichkeit; aber heute noch klettern sie zwischen den Klippen umher, nach Wurzeln und Kräutern suchend. Sowohl die Lage der kleinen im dichten Laubschatten am Abflusse des Sees befindlichen Hütte, die großartige Natur ringsum, als auch die beiden Alten selbst, an deren Liebe heute kein Mensch mehr sich ärgert, locken im Sommer gar viele Fremde hierher, und gewiß erinnert sich Jeder zeitlebens mit Vergnügen an den Gang zur Wurzenhütte. Im Hinblicke auf die durchlittene Liebezeit scheinen Jörgl und Burgl heute noch, nicht ferne vom Rande des Grabes, Mitleid und Nachsicht mit den Liebenden der Umgegend zu üben; nicht selten trifft man im Blockhause oder in der Laube vor demselben Sennerinnen von den zahlreichen Almen, welche an der Seite ihres Galans, eines gebräunten Holzknechtes, sich in Liebesgeflüster ein Branntweinräuschlein anduseln. Ob Dulcinea Burgl den Ritter Jörgl heute noch so zärtlich liebt wie vor etlichen Jahrzehnten, vermag ich nicht zu sagen. Als ich das jüngste Mal in der Wurzenhütte einkehrte, sprach die bekümmerte Burgl in etwas zornigem Tone: „Ja, ja, der alte Lump macht guten Schnaps und trinkt ihn selber! Schaut nur da hinaus in die Holzschupfe!“ – Und wirklich lag zur hellen Mittagszeit der eisgraue Jörgl auf Hobelspänen in den Armen des Schlafes.




Uebersiedelung der Besatzung des Forts Moultrie nach Fort Sumpter.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_204.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)