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steht nur vereinzelt ein Wachholderbüschlein, die gemeine Erle oder eine verkümmerte Tanne. Nur der Adler senkt hungrig sich hieher, um kriechendes Gewürm in seinen Horst zu tragen, selten daß ein Haselhuhn quiekt oder ein Wiedehopf schreit. Der Erdmolch haust hier in großer Zahl, dieser träge und zornmüthige Geselle, ungiftig zwar, wenn nicht gereizt, aber mit übelriechendem und Geschwüre erregendem Schaume sich überziehend, sobald der unachtsame Fuß des Kletterers auf ihn tritt. Hunderte dieser häßlichen Thiere trifft man da, denn sie sind fruchtbar wie der Sand am Meere. Den Bewohnern gilt der Molch für den verlässigsten Wetterpropheten; steigt er bergan, so wird es heiter, und wenn bergab, so regnet und stürmt es bald. Auch heißen sie ihn den Wegnarren, und auf mich hat er in der That immer den Eindruck eines vierfüßigen Narren gemacht, wenn er mit gespreizten Füßen, glotzenden Augen, aufgeblähtem Körper und aufgesperrtem Maule sich gegen den Wanderer kehrt, der ihn doch mit einem Fußtritt vernichten kann. Die Sennerinnen müssen das Vieh, wenn es manchmal in die Gräben weidend hinabsteigt, hüten, damit es nicht trinkt aus Pfützen, wo der Molch badet; denn leicht erkrankt das Thier von dem Genusse jenes Wassers.

In tausend Windungen und in ewigem Zickzack kommt der Steig endlich droben auf einer Wiesenfläche, etwa tausend Fuß unter dem Scheitel der Bodenspitze, an; es ist ein längliches viereckiges Plateau, etwa 600 Schritte lang und 200 Schritte breit. Am westlichen Rande desselben stehen vier Sennhütten, die triftige Weide zieht sich empor zu der links steil sich erhebenden Spitze des Berges, das ist die Bodenalme. Rings glockenläutende Kühe. Ein frischer Luftzug streicht von den Tyroler Schneebergen her, deren eisige Häupter herüber ragen. Schauen wir zurück in das verlassene Thal; da drunten liegt es wie ein grüner schöngestickter Teppich, die Rottach zieht sich durch dasselbe wie ein Silberstreifen. Eingerahmt von lieblichen Matten und grünen Wäldern ziert der südliche Theil des Tegernsee’s den Thalgrund. Auf der hier offenen südlichen Seite des kolossalen Wallberges zeigen sich lieblich grünende Abhänge, an denen Hütte an Hütte klebt und manches Stück Vieh behaglich weidet, dessen Schellengeläute durch die von keinem Laute gestörte feierliche Ruhe traulich herübertönt.

Stärken wir uns, indem wir in eine der Sennhütten treten und die freundlich gebotenen Gaben genießen. Die Dirne giebt uns, was sie hat, Milch, Butter und Käse, und uns mundet herrlich, was sie uns gab; denn wer nie im Thale den Hunger kennt, jenes freudige Begehren des Magens nach Speise, – sicher lernt er es nach Ersteigung der Bodenalme kennen, leider ist dieselbe wasserarm; die Sennerinnen müssen den nöthigen Wasserbedarf ziemlich weit von unten herauf in Schäffeln auf dem Kopfe herschleppen. Gehen wir weiter mitten durch die weidende, den seltenen Fremden anstaunende Heerde nach der Länge des Wiesenplateau’s gegen Ost einem Walde zu. Hundert Pfade, von den Kühen getreten und deshalb für Menschenfüße bedenklich und zur Vorsicht mahnend, führen durch den Wald um den Bergrücken herum. Nach einer Viertelstunde sind wir vor dem Gehölze angekommen, und wir stehen an dem mit Zwerggehölze besetzten Rande eines steilen, grünen Abhanges, im Kreise herum erheben Felskolosse ihre Häupter, links ragt die Brecherspitze himmelan, gerade vor uns drunten im grünen Thale ist eine Alme, die Fürstalme; ein weiter Steindamm soll die Hütten schützen gegen die Steinbrocken, welche von den Wänden abgelöst manchmal in die Tiefe poltern.

Und was ist denn das dort, was trübe schimmert zwischen den Bergen? Es zieht von der Fürstalm ein Bach hinunter das enge Thal entlang zwischen einem Spalier von Fichten, und dort verliert er sich. Das ist der Spitzingsee, nahe an 5000 Fuß über dem Meere; melancholisch blickt er zu uns herauf, und in seinem matten Glanze spiegeln sich die Berge, die ihn umgeben, in ihm beschaut sich das Rind, das von den zahlreichen Almen an seine Ufer niedersteigt, um dort zu tränken. Um von unserer Höhe gerade hinab zu gelangen, müssen wir vorsichtig steigen; denn der Abhang ist von Felstrümmern und Gerölle überschüttet, und diese sind wieder von langem, aus den Spalten reichlich wachsendem Grase überdeckt, so daß die Lücken verborgen sind und der Fuß nur mit Mühe vor Straucheln geschützt werden kann. Drunten angekommen eilen wir auf weichem Wiesenboden am brausenden Bache fort und stehen bald mitten im Sumpfe, der den Spitzingsee umgiebt.

Nur eine einsame Möve schwärmt über dem matten Wasserspiegel. Was sucht sie? Einen Frosch etwa, dessen Gequake aus der Pfütze tönt? Der See ist ja fischleer! Vor Zeiten war’s anders. In reicher Menge lebte der Karpfen im dunklen Gewässer, und selbst die Forelle rieb ihr schlüpfrig Gewand an den Binsen und am Röhricht des Ufers. Das Recht des Fischens gehörte den Fischern des Schliersee’s. Diese stiegen mit Netz und Reusen herauf, um für das Stift Tegernsee oder für die zahlreichen Sommerfrischgäste in der Gegend einen Fang zu thun. Einst trafen sie mehrere Tyroler, die aus der nahen Heimath über das Gebirge gestiegen waren, um sich im Spitzingsee wohlfeilen Fischbraten zu holen, weil nach ihrer Ansicht die Fische Eigenthum Aller sind. Es kam zu Streitigkeiten und zu Schlägereien, und von nun an kamen die unberechtigten Fischer öfter als früher. Endlich schritten die Behörden ein, und die Freifischer erlitten harte Bußen. Jetzt kam zwar kein Tyroler mehr zum Fischen, aber eines Tags erzählten zu Thal gekommene Leute, sie seien am Spitzingsee vorbeigegangen und hätten an seinen Ufern Tausende von Fischen und Krebsen todt gesehen, ja, das ganze Spitzingthal stinke von Fischaas. Sogleich eilten die Fischer hinauf und fanden die Hiobsmähre wahr. Man vermuthete, es sei Gift in den See geworfen worden: von wem aber, hat Niemand sagen können. Seitdem sieht man keinen Fisch im Spitzingsee, selbst der Wurzenjörgl sieht keinen mehr und seine Burgl auch nicht, von denen ich drunten mehr sagen will.

Der von Nord nach Süd und in einem Kessel nach Nordwest sich ausdehnende Spitzingsee mag eine Meile im Umfange haben; seinem westlichen Ufer entlang zieht sich ein Sträßchen, das von der Kaiserclause am Valeppflüßchen und von Brandenberg und Rattenberg her führt und durch das Hochthal des Spitzing nach Schliers und in das Flachland Baierns hinausgeht. Am nördlichen Ufer des Sees ist die Spitzingalm, und um hundert Schritte weiter gegen Norden eröffnet sich eine herrliche Rundschau ins Land hinaus, in die umliegenden Tiefthäler und auf die majestätischen Kolosse, welche sie umgürten, als König der kühn über alle hinausragende Wendelstein. Zu Füßen tief drunten der Schliersee mit seinen lieblichen Ufergeländen, den freundlichen spitzthürmigen Kirchen in Nord und Süd, mit seiner grünenden Insel, der schattigen bergigen Halbinsel im Osten und der Burgruine in Mitte schwarzer Waldungen im Westen. Drüber hinaus aber schweift der Blick in der offenen Runde über tausend Orte, über Wälder und Flüsse bis hinunter zur Trausnitz, deren Herren die Gegend einst unterthan gewesen.

Auf dem Sträßchen von Nord nach Süd, am westlichen Gestade fortgehend, gelangt man zur sogenannten „Wurzenhütte“. Hier haust seit vielen Decennien der alte Jörgl mit der getreuen Burgl. In ihrer Jugend war die Burgl eine rothwangige frische Sennerin, der Jörg ein stämmiger Holzknecht. In den Bergen hatte der Zufall sie einst zusammengeführt, und die Liebe ließ sie einen Bund knüpfen. Doch waren Beide zu arm, um sich nach den Gesetzen und in Ehren ihren Heerd zu begründen; und dennoch mochten sie nimmer von einander lassen. Da faßten sie vor fünfzig Jahren einen originellen Entschluß. Jörg verstand Etwas vom Schnapsbrennen und er erhielt die Erlaubniß, am Ausfluß des Spitzingsees ein Blockhaus zu bauen und dort aus der ungemein heilkräftigen Schwarzwurzel (Enzian) Branntwein zu brennen, den die Gebirgsleute als Lebens-Elixir schätzen. Jörg dehnte die Fabrikation auch auf die Brunnenkresse, Wachholderbeere, Kalmus und dergleichen aus, und schließlich suchte er den freien Besitz der Burgl damit zu verbinden. Man ließ ihn aber nicht heirathen, weil der Hausstand nicht gesichert sei. Die Burgl trat nunmehr als gebirgs- und wurzelkundige Dirne zu Jörgl in Dienst als Wurzensammlerin. Als die Burgl die Jugendblüthe abgestreift hatte und in’s canonische Alter getreten war, wagte es Jörgl, sie als Häuserin in das Blockhaus aufzunehmen; die nächsten Jahre aber brachten eine Reihe von polizeilichen Verfolgungen wegen verbotenen Zusammenlebens, heirathen aber durften sie doch nicht. „Was die Lieb’ zusammengefügt,“ sagte mir die Burgl hierüber, „konnte der Pfleger nit trennen!“ – So oft ein Gensd’arm oder ein Scherge von Amts wegen kam, um nachzuschauen wie es mit der Lieb’ Jörgl’s zur Burgl stehe, mußt’ die Häuserin in ein großes leeres Branntweinfaß kriechen und da drinnen bleiben, bis die Kerle wieder gingen, was oft verzweifelt lange anstund, da ihnen der Enzian oder der Kalmus trefflich schmeckte. „Später,“ sagte Jörgl

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_203.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)