Seite:Die Gartenlaube (1861) 192.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Curry neigte wie befriedigt den Kopf. „Die Sachlage ist einfach die folgende,“ sagte er mit noch mehr gemäßigter Stimme.

„Sie glaubten vor einiger Zeit, ich habe mich bei Ausübung meines Amtes eines sündlichen Uebergriffes gegen Ihre Schwester schuldig gemacht, wurden aber bald so von Ihrem Irrthum überzeugt, daß Sie mir Ihr besonderes Vertrauen schenkten und mich sogar zum Mittelmanne machten, um in genauere Beziehung zu Mrs. Burton und deren Tochter zu kommen.“

„Erlauben Sie einen Augenblick,“ fiel ihm Young, dem das Blut in’s Gesicht stieg, in die Rede. „Erstens handelt es sich nicht um einen Irrthum, sondern um ein Verbrechen, das Sie an meiner Schwester begingen, und das ich nur des Mädchens wegen für den ersten Augenblick verschwieg. Sie selbst aber waren es, der mir Miß Burton mit ihrem Vermögen als Köder vor die Augen hing – “

Curry winkte beschwichtigend mit der Hand. „Das sind Ihre Ansichten von der Sache, Sir,“ sagte er ruhig, „Ansichten, die Ihrem Benehmen kaum Ehre machen würden und außerdem Ihnen die Möglichkeit, Ihren finanziellen Verhältnissen durch eine Heirath aufzuhelfen, sofort nehmen müßten, lassen Sie uns friedlich mit einander gehen, so werden wir Beide am besten fahren, und drängen Sie mich nicht in einer Weise, die mir es ganz unmöglich macht, für Ihr Interesse zu wirken. Mrs. Burton ist ein eifriges Mitglied meiner Kirche, aber dennoch muß ich der besondern Stunde warten, die mir den rechten Einfluß auf sie gewährt.“

„Aber es handelt sich um ihre Stieftochter, die nicht einmal zu den Methodisten gehört!“

„Richtig! Um deren Erziehung sich aber der Vater nicht kümmert, und die deshalb unter der vollen Controlle der Stiefmutter steht.“

In diesem Augenblicke klang ein voller Pianoaccord, dem ein rasender Läufer folgte, aus dem großen Versammlungszimmer; einzelne barocke Sprünge folgten nach, dann schlug eine Thür zu und wie im Sturm erschienen zwei junge Mädchen auf der Piazza, der Ausgangstreppe zueilend. Young hatte bei dem ersten Tone gehorcht und sprang bei dem Erscheinen des Paars auf. Mit Erblicken der Männer indessen zügelten Beide ihren Schritt, zogen die verschobenen breiten Strohhüte zurecht und kamen hochaufgerichtet, mit glühenden Wangen heran – einen halben Schritt voraus eine schlanke Brünette, mit dunkeln, muthigen Augen und halb spöttisch aufgeworfenem, üppigem Munde, während in dem dunkelblonden Haare, den lachenden Augen und den weichen, maifrischen Zügen ihrer Gefährtin, die nur mit einer leichten Scheu zu folgen schien, sich ein Gegensatz von eigenem Zauber bot.

„Miß Burton, ich bin glücklich, Sie noch einmal zu sehen,“ sagte Young, der Brünette entgegentretend, „ich denke morgen mit dem Frühesten abzureisen und hoffe, daß wir uns bald in den gewohnten Kreisen der Heimath wiedersehen!“

„Ich glaube wohl, Sir, daß Sie glücklich sind, Abschied zu nehmen!“ lachte die Angeredete, „grüßen Sie mir unsern schönen Wald und sagen Sie ihm, er habe zwar lange keine so schöne Menagerie von allerhand wunderbarem Gethier, wie es sich hier einsperren läßt, ich käme aber doch, so bald ich könnte!“ Sie nickte dem jungen Manne leicht zu und eilte, von ihrer Begleiterin gefolgt, die Stufen hinab, als habe sie den dasitzenden Geistlichen kaum bemerkt – ein helles Kichern aber klang, schon als sie nicht mehr sichtbar waren, aus der Ferne herüber.

„Sie gehen also morgen schon?“ begann Curry, als wolle er die Gedanken seines Gesellschafters von dem eben erfolgten Auftritte abziehen.

„Ich gehe, Sir, denn meine Anwesenheit ist daheim nothwendiger als hier!“ erwiderte Young die Augen zusammenziehend. „Denken Sie aber daran, daß wir Preis um Preis gegenseitig handeln, und daß ich noch immer zu guter Geschäftsmann bin, um ohne Weiteres einer absichtlichen Täuschung zum Opfer zu fallen!“ Er wandte sich langsam weg und schritt dem Hause zu; der Geistliche aber sah ihm kurz nach, preßte dann die Lippen zusammen und begann das Ausputzen seiner Nägel von Neuem.

Fortsetzung folgt.)


Eine Todtenfeier Klopstock’s. Zu Ottensen unter der Linde liegt der Sänger des Messias bestattet. Mit fast königlichem Gepränge hatte man die sterbliche Hülle Klopstocks der Erde übergeben. Die Behörden und Bürger Hamburgs, wo er sich die letzten dreißig Jahre seines Lebens beinahe ununterbrochen aufgehalten, waren dem Sarge in über siebzig Wagen und in unendlichem Zuge gefolgt; unter militärischer Ehrenwache und unter dem vollen Geläute von sechs Thürmen hatte man Altona, wo sich andere fünfzig Wagen anschlossen und auf den Schiffen im Hafen Trauerflaggen wehten, und bald das Dorf Ottensen erreicht. Eine sinnige Feier in der Kirche daselbst war noch abgehalten worden, indem man einentheils aus dem Messias, an der sich der Dichter in seinen letzten Augenblicken gelabt hatte, vorlas und weinende Chöre Klopstock’sche Lieder sangen. Dann war der Sarg mit Blumen überschüttet in die Erde gesenkt worden. So Klopstock’s Todtenfeier im Frühling des Jahres 1803.

Ganz im Gegensatz zu ihr steht aber eine andere, die Jahre lang nachher still und sinnig in dem Hause des dahingeschiedenen Dichters begangen wurde, und zwar von Niemand anders als von seiner hinterlassenen Gattin und – dem alten Blücher.

Als dieser nämlich im Jahre 1817 auf dem Gipfel des Ruhmes sein Vaterland Mecklenburg wieder einmal besuchte, gelangte an ihn von Hamburg aus die Einladung, doch auch hierher zu kommen: habe man die trüben Tage mit einander getheilt, so wünsche man auch die guten mit einander zu genießen. 1808 nämlich, nach der unglücklichen Affaire zu Lübeck, hatte sich Blücher nach Hamburg begeben und war in der kurzen Zeit seines Aufenthalts mit Jung und Alt, Vornehm und Gering in die traulichsten Beziehungen getreten. Seit diesen Tagen hatte man ihn nicht wieder gesehen und bat nun jetzt, nachdem sich so Vieles geändert, den alten Marschall Vorwärts um seinen Besuch. Aber in einer verbindlichen Antwort bedauerte er, dieser Einladung nicht folgen zu dürfen, da seine Gegenwart in Berlin nothwendig sei. Indem er jedoch die Feder ansetzte, dies zu unterzeichnen, wurde es ihm wieder leid und schnell entschlossen schrieb er unter den Absagebrief: „Ich will doch kommen!“ – Er kam, und unermeßlicher Jubel empfing ihn. „Man erzeigt mir zu viel Ehre,“ rief er aus; „ich habe wahrhaftig nichts als meine Schuldigkeit gethan.“ Auf den ununterbrochenen Ruf: „Vater Blücher!“ zeigte er sich dem in der Straße, an den Fenstern, auf den Dächern gedrängten Volke, immer ein treffendes, ein biederes, ein heimliches Wort in Bereitschaft. Man illuminirte die Stadt, man gab im Theater ein Stück „Vorwärts“, und auf einem Balle, ihm zu Ehren gegeben, sangen ihm zwanzig junge Mädchen ein Ehrenlied, wofür er alle zwanzig der Reihe nach und unter lautem Hurrah der Gesellschaft küßte. Mit dem Ehrenbürgerrecht beschenkt reiste er nach zehntägigem Aufenthalt wieder ab; „es ist die höchste Zeit, daß ich gehe, denn ich erliege sonst,“ hatte er beim Abschiede gesagt. –

Aber mitten in dieses öffentliche Geräusch fiel nun eben jene stille, sinnige Todtenfeier Klopstock’s, die der greise Feldherr mit der hinterlassenen Wittwe beging.

Blücher hatte Klopstock persönlich gekannt und geschätzt, hatte ihn wohl als seinen Freund bezeichnet. Nur mit entblößtem Haupte ging er an des Dichters Grabstätte zu Ottensen vorüber und konnte sich auch in diesen festlichen Tagen seines Hamburger Aufenthalts nicht versagen, die Wittwe desselben aufzusuchen. Sein Gastfreund von Hostrupp hatte fragen müssen, ob und wann er sie besuchen dürfe, und war dann der einzige bei der Zusammenkunft Gegenwärtige.

Die ehrwürdige Matrone empfing in Trauer gekleidet den alten Feldmarschall. Ehrerbietig hatte sie ihn erwartet an der Thüre des unscheinbaren Hauses, wo sie mit ihrem Gatten gelebt und das mit der Inschrift bezeichnet ist: „Hier lebte und starb Klopstock.“ Ein Frühstück stand bereitet, und man nahm Platz an dem einfach geschmückten und besetzten Tische. Mit inniger Liebe gedachten die beiden Alten des Dahingeschiedenen und seiner Werke, besonders der Oden und der Lieder, die Blücher genauer kannte; ein Glas Portwein wurde dazu getrunken. Vor langen, langen Jahren hatte nämlich, wie jetzt die Wittwe des Dichters ihrem Gast und dem ihn begleitenden Hostrupp erzählte, der König von Dänemark ihrem Gatten zwanzig Flaschen vorzüglichen Portwein geschenkt. Lange hatten sie und nur bei festlichen und außerodentlichen Gelegenheiten davon getrunken. Eine war noch im Keller, als Klopstock sich zum Sterben legte. „Hebe sie auf,“ hatte er noch gesagt, „bis zu einem seltenen Ehrenfalle.“ So erzählte die Wittwe und fuhr fort: „Dieser ist jetzt gekommen, meinem Hause ist die Ehre widerfahren durch Euer Durchlaucht Gegenwart. Mir und dem Weine geschieht Ehre, wenn Sie ihn trinken.“ – Man trank still und gerührt, und Thränen im Auge feierte der greise Held den heimgegangenen Dichter.

M. B. 

Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal des neueu Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen. Der Schluß des Gerstäcker’schen Briefes erscheint in einer der nächsten Nummern.

Leipzig, im März 1861.

Die Verlagsbuchhandlung.  
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_192.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)