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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

harte Winter hatte zwei prächtige Sägetaucher nach der Lahn hin verlockt, und der Jäger war so glücklich gewesen, beide zu erlegen. Man ließ die übrigen Schüsseln fast unberührt vorüber geben, um dem Braten, der nach Aller Meinung ebenso gut sein mußte, als der Vogel schön, alle nur erdenkliche Ehre anzuthun. Aber es roch nach Thran, schmeckte nach Thran und war so unendlich zähe, daß man ebenso gut einen wohleingeschmierten Jagdschuh als Object seiner Eßlust hätte wählen können. Die Lappen und Isländer aber, welche ihre Mahlzeiten statt mit Wein mit Fischthran würzen, finden begreiflicher Weise solchen Braten durchaus lecker, und die Stipendiaten meiner Vaterstadt, welche nach der Behauptung eines der Unglücklichen eine so nahrhafte Suppe bekamen, daß es auf das Gleiche herauskam, ob sie dieselbe aßen oder während des Regens die Zunge zum Fenster hinausstreckten – diese Märtyrer eines jugendlichen Appetites letzten sich weidlich an jungen Dohlen, welche ihnen unter der schmeichelhaften Bezeichnung von jungen Tauben im Frühjahr öfter vorgesetzt wurden.[1]

Man kann sich in der That in vielen Fällen fragen, ob der Nutzen, den wir aus einem Vogel als Nahrungsmittel ziehen, den Nutzen oder Schaden aufwiegt, den er uns in wildem Zustande zufügen kann. Die Jagdliebhaber werden sich freilich segnen und bekreuzen, wenn man kalten Blutes behauptet, daß fast alles Jagdzeug, mit Ausnahme der Schnepfen vielleicht, absolut schädliches Gethier ist, das die fortschreitende Civilisation um jeden Preis ausrotten muß. Aber wenn wir auch diese Verhältnisse unberücksichtigt lassen, so kann man dennoch in sehr vielen Fällen zweifelhaft sein, ob der Nutzen oder der Schaden überwiege. Halten wir die früher aufgestellten Grundsätze fest, so ergiebt es sich leicht, daß alle insectenfressenden Vögel ohne Ausnahme von dem größten Nutzen für uns sind und durch ihre unablässige Jagd auf diese kleinen Feinde jeden Schutz und Pflege verdienen, die wir ihnen nur angedeihen lassen können. Schwalben, Kukuke, Ziegenmelker, Fliegenschnäpper, Grasmücken, das ganze Heer der niedlichen Sänger mit seinem dünnen Schnabel, der zu schwach ist, um Körner zu hülsen, sind in diesem Falle und bilden eine ganze Armee wohlbestallter Polizeisoldaten, welche zur Hütung von Feld und Wald, von Garten und Busch berufen sind. Hier kann also kein Zweifel obwalten: man soll sie um so mehr hegen und schützen, als ohnedem das magere, saftlose Fleisch der Meisten nur wenig als Nahrungsmittel geschätzt werden kann. Anders aber verhält es sich mit den körner-, beeren- und früchtefressenden Vögeln, wie Drosseln und namentlich Kernbeißer und Finken, die mit starkem Kegelschnabel selbst die härtesten Samen enthülsen und sich gern vom öligen Inhalte derselben nähren. Es ist wahr, viele derselben nähren sich vorzugsweise von solchen Samen, die wir als Unkraut betrachten, und Niemand wohl wird den niedlichen Distelfink deshalb hassen, weil er dem Esel eine zukünftige Lebensfreude zerstört. Aber die meisten dieser Vögel kennen auch die guten und schmackhaften Samen sehr wohl, und der Bauer, der Hirse gesät hat, wird sich durch die Betrachtung, daß die Hänflinge auch den Samen des Taumellolches fressen, nicht abhalten lassen, ihnen auf den Pelz zu brennen, wenn sie in seinem Hirsenfelde rumoren. Vieles mag also hier von persönlicher Convenienz des Landeigenthümers und der Besonderheit seines Betriebes abhangen. Der Gartenliebhaber, der nur Blumen, Gemüse und höchstens einige Spalierbäume zieht, wird mit Vergnügen Vögel aller Art sehen, die ihm seine Beete und Bäumchen reinigen; derjenige aber, der einen Kirschengarten hat, wird der Spatzenhegung seines Nachbars nicht mit allzu großem Vergnügen zusehen. Ich kannte einen Pfarrer, den gutmüthigsten aller Menschen, der keiner Creatur jemals etwas zu Leide gethan haben würde. Um die Zeit der Kirschenreife aber gerieth das friedliche Pfarrhaus in eine wahrhaft fieberische Aufregung und glich fast einer Mördergrube: die Töchter strickten Netze, Söhne und Confirmanden machten Schlingen, Schrotpatronen, Pulverfrösche und Donnerschläge, und den Pfarrer mit seinen Knechten sah man nie ohne Gewehr. Das Zanken der Spatzen weckte den Pfarrer vor dem frühesten Morgengrauen aus dem Schlafe; bei dem Gesange einer Amsel ballte er die Fäuste und der Ruf des Pirols brachte ihn in Wuth. Der gute Mann hatte sich nach zwanzigjährigen Mühen einen großen, mit den edelsten Sorten bepflanzten Kirschgarten herangezogen, der ihm mehr einbrachte, als seine ganze übrige Pfarrerbesoldung. Hofrath Perner in München und Pfarrer Tschudi in Glarus würden dem sonst harmlosen Geistlichen vergeblich die Schonung der unschuldigen kleinen Vöglein gepredigt haben, für welche der Erstere namentlich schon so viele Insertionskosten in der Allgemeinen Zeitung bezahlt hat.

Sehen wir uns genauer nach dem Verhältnisse der Vögel zu den Insecten um, so finden wir sehr verschiedene Beziehungen. Die meisten Körnerfresser, mit Ausnahme der Tauben, die unter allen Umständen dem Landwirthe schädlich sind, suchen besonders zur Zeit, wo sie Nestjunge haben, vorzugsweise gern Insecten auf und leisten uns dadurch die wichtigsten Dienste, so daß man selbst den Spatzen die wenigen Getreidekörner, die sie haschen können, in Berücksichtigung dieser Dienste gerne gönnen mag. Andere, wie Raben, Krähen, Dohlen, Stahre, Neuntödter und Wespenhabichte leben vorzugsweise von Insecten und deren Larven, verschmähen aber auch ein junges Vögelchen oder derlei Beute nicht, wenn es ihnen in den Wurf kommt. Die meisten kleinen Raubvögel, wie Thurmfalken und Lerchenhabichte, fallen über Insecten nur dann her, wenn sie gerade nichts Besseres zu finden wissen. Allein dies hindert doch nicht, daß bei den letzten der Schaden, den sie durch Verheerung der kleinen Vögel anrichten, weit den Nutzen überwiegt, den sie bei gewissen Gelegenheiten leisten können.

Gegen die größeren Raubvögel hat das Landvolk im Allgemeinen einen gewaltigen Haß, der sich dadurch bethätigt, daß man ihre Leichen zu ewigem Gedenken an die Scheunenthore annagelt; etwa in ähnlicher Weise, wie man im Orient und im Mittelalter die Körper ausgezeichneter Verbrecher bis zu gänzlicher Verwesung an den Stadtthoren aufstellte. Gerechtfertigt ist dieser Haß gewiß gegen die Edelfalken, die Hühner-, Tauben- und Lerchenhabichte, welche sich fast nur von Geflügel nähren; aber verwerfen muß man ihn, sobald er sich gegen diejenigen Raubvögel wendet, welche vorzugsweise von Ratten, Mäusen, Hamstern und ähnlichem Ungeziefer leben. Schon Mancher, der mit inniger Befriedigung einen Bussard an sein Scheunenthor nagelte, hat sich damit unbewußter Weise weher gethan, als wenn er einen Scheffel Getreide in das Wasser geschüttet hätte.

Die vielfachen Schäden, welche durch Insecten zu unserer Zeit veranlaßt worden sind, haben, wie ich schon erwähnte, Gelegenheit gegeben, die Mittel hervorzusuchen, welche man solchen Verwüstungen entgegen stellen könnte, und man hat hier namentlich darauf aufmerksam gemacht, daß die Schonung der Vögel überhaupt, namentlich aber der kleinen Singvögel, wesentlich zur Vertilgung des Ungeziefers beitrage. Pfarrer Friedrich von Tschudi, der sich schon durch ein vortreffliches Werk über die Alpen einen Namen gemacht hat, vermehrte sein Verdienst durch die Herausgabe eines kleinen Schriftchens über „das Ungeziefer und die Vögel“, das in ausgezeichneter Weise kurz alle diejenigen Gründe anführt, welche zu Gunsten der Vögel als Insectenvertilger sprechen. Es ist diesem Schriftchen gewiß die weiteste Verbreitung zu gönnen, und es wäre auch in unserem Kantone Genf außerordentlich zu wünschen, daß die darin enthaltenen Lehren die größte Verbreitung und Anerkennung fänden, da es wirklich empörend ist, die Menge mündiger und unmündiger Sonntagsjäger zu sehen, welche an Feiertagen alle Hecken und Büsche umschleichen und nach Spatzen und Grasmücken ihr Pulver verpuffen.

Tschudi behauptet mit vollem Rechte, daß die Zahl der nützlichen Vögel im civilisirten Europa bedeutend abgenommen habe und im steten Abnehmen begriffen sei. Er schreibt diese Abnahme hauptsächlich auf Rechnung der Vertilgungsjagd, welche in Italien (er hätte besser gesagt: in allen Mittelmeerländern) gegen die Vögel ausgeübt wird, und findet, daß durch diese Abnahme der Vögel auch die Zunahme der Insectenverwüstungen bedingt sei.

Diesen letzteren Punkt erlaube ich mir nun entschieden in Abrede zu stellen. Mit der fortschreitenden Cultur und Civilisation sind im Gegentheile Raupenschäden, Heuschreckenschwärme, Käferfraße entschieden seltener und unbedeutender geworden. Ich werde im Verlaufe dieser Vorlesungen Gelegenheit haben, Ihnen einige Beispiele von Insectenverwüstungen aus dem Mittelalter vorzuführen,

die Alles übertreffen, was in unserem Jahrhundert geleistet worden

  1. Einem meiner Studiengenossen, der später im fernen Afrika als österreichischer Consul ein bewegtes Leben endete, wurde das Stipendium entzogen. Einige Wochen später meldete er sich bei dem Ephorus, der ihn, Reclamationen witternd, mit einem grimmigen: „Was wollen Sie?“ anschnauzte. „Entschuldigen Sie,“ antwortete Konstantin, „wenn ich Sie störe. Ich wollte nur aus Mitleiden mit meinem Nachfolger mich bei Ihnen erkundigen, wie ihm das Stipendium bekömmt.“ „Brauchen gar nicht zu fragen,“ schnaubte wüthend der Ephorus, „es wird schon gegessen werden.“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_186.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)