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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

obwohl vom deutschen Bunde ausgeschlossen, trotzdem durch Stammesart und Geschichte zu Deutschland gehöre.

Nur zu bald folgte die schwere Enttäuschung. In den Congreßberathungen über die Bundesacte behielt die Meinung jener Staaten den Sieg, welche den Rheinbund geschlossen hatten; das Geschenk Bonapartes, die Souveränetät der Einzelstaaten, blieb erhalten. Noch eine kurze Frist, und die in übereilter Hast entworfene Bundesacte ward für ein makelloses, unantastbares Werk erklärt. Der vaterländische Sinn, der begeisterte Idealismus unserer Jugend, ohne welche das Werk der Befreiung nie gelungen wäre, wurden den neuen Gewalthabern verdächtig. Der Bundestag begann seinen Kampf gegen das Einzige, was unser Volk noch einte, gegen deutsche Geistesbildung; die Septemberbeschlüsse von 1819 stellten unsere Hochschulen unter polizeiliche Aufsicht, und der Deutsche mußte mit anhören, daß ein französischer Staatsmann uns sagte: „Eure Staatsmänner thun mir leid, sie führen Krieg mit Studenten.“ Das war zu viel für Dahlmann’s Rechtsgefühl und Gelehrtenstolz. Als er ein Jahr darauf den Geburtstag des Herzogs von Schleswig-Holstein feiern sollte, nahm er das Thema: „was der Staat den Hochschulen schuldig sei“. Die lateinische Rede ist gedruckt, natürlich zu Schleswig; denn wie hätte die deutsche Censur die kühnen Worte des Redners ertragen mögen, der die Universitäten durch jenen Bundesbeschluß „unvergeßlich herabgewürdigt und beleidigt“ nannte? Mit bitterem Spotte bezeichnet er das Majestätsverbrechen als „das eigenthümliche und einzige Verbrechen derer, welche nie ein Unrecht gethan;“ er warnt vor der Verfolgung „jener edlen Liebe der Freiheit, welche zugleich die Liebe des Guten und aller Tugenden und edlen Künste ist“. Aber sein streng gewissenhafter Sinn findet in dem erlittenen Unrechte zugleich die Aufforderung an Professoren und Studenten, durch Gesetzlichkeit und Fleiß zu beweisen, wie schwer der Bundestag sich versündigt. Noch immer war er dem Studium der Politik und der modernen Geschichte fern geblieben. Aber längst hatte er begriffen, was ja Preußen, als die Berliner Hochschule gegründet ward, öffentlich anerkannte, daß die heutige Wissenschaft nicht länger die todte Gelehrsamkeit früherer Tage bleiben dürfe, sondern den ganzen Menschen ergreifen, den Charakter veredeln solle. Er war zuerst ein Mensch und ein Bürger, dann erst ein Gelehrter. Als daher unter dem Schutze desselben Bundestages, der die Wissenschaft geknebelt, die große Sammlung deutscher Geschichtsquellen erscheinen sollte, lehnte Dahlmann jede Betheiligung ab; denn „mein guter Name ist mir mehr werth als ein wissenschaftliches Unternehmen,“ und „ich möchte nicht, daß es gelänge, auf dem mit Unterdrückung und Verfolgung – und womit vielleicht bald? – befleckten Boden edle Früchte der Wissenschaft durch gebundene Hände zu ziehen.“

Schleswig-Holstein war ihm bald eine zweite Heimath geworden; seine Mutter stammte aus dem Lande, und seine durchaus niederdeutsche Natur, langsam erwärmend, aber das einmal Liebgewonnene mit Treue und nachhaltiger Kraft festhaltend, fühlte sich wohl unter dem verwandten Menschenschlage. Er beschenkte seine Landsleute mit einer Ausgabe und Erklärung der Chronik des Neocorus, jenes alten Pfarrherrn, der die Heldenkämpfe der Dithmarscher Bauern für „de leve Frieheit“ so köstlich treuherzig zu schildern wußte. Seine Vorlesungen über alte Geschichte wurden der Mittelpunkt für die allgemein-wissenschaftlichen Studien zu Kiel, und in Kopenhagen vergab man es ihm nicht, daß er den zahlreichsten Hörerkreis um sich versammelte. Von dem Ernste und der Vielseitigkeit seiner damaligen Arbeiten geben die „Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte“ ein Zeugniß – Abhandlungen über Fragen aus der altnordischen und der griechischen Geschichte, keine darunter für das Wesen des Mannes so bezeichnend wie die Untersuchung über Herodot. An dem „Vater der Geschichte“ preist Dahlmann die erste Tugend des Historikers, die schlichte Wahrhaftigkeit: „die die ganze Welt beherrscht, die Furcht vor dem Lächerlichen, berührt die erhabene Einfalt seines Sinnes nicht.“ Aber auch durch praktische Thätigkeit ward Dahlmann seinen Landsleuten werth: er war ihr Vorkämpfer bei dem Beginne des dänisch-deutschen Streites. Prälaten und Ritterschaft von Schleswig-Holstein ernannten ihn zu ihrem Secretär. Als solcher verlangte er das verbriefte Recht der Steuerbewilligung zurück, das diesen Ständen von Alters her zustand, aber von der dänischen Regierung widerrechtlich vernichtet worden war. Die Stände und ihr unermüdlicher Secretär begnügten sich nicht mit wiederholten Eingaben und Druckschriften aus Dahlmann’s Feder. Sie brachten die Sache vor den Bundestag, der nach seiner löblichen Gewohnheit die Verfechter des deutschen Rechtes dadurch widerlegte, daß er ihre Eingabe confisciren ließ. Durch diese Arbeiten für das Recht seiner Mitbürger ward Dahlmann zuerst auf das Studium der Politik geführt. „Vierzigjährig, also nach spartanischen Begriffen gerade ausgewachsen“, schrieb er zum ersten Male wissenschaftliche Aufsätze über Politik in die Kieler Blätter, und es waren köstliche Früchte, die so langsam und stätig gereift waren. Da führte ihn i. J. 1829 ein Ruf nach Göttingen hinweg. Die Liebe und das Vertrauen der Schleswig Holsteiner hätte ihn gern zurückgehalten, doch das entschiedene Mißwollen der Dänen gegen den unverbesserlichen Unruhestifter versperrten ihm in Kiel jede Aussicht auf eine gesicherte Zukunft.

In Göttingen erschloß sich ihm nicht nur ein größerer akademischer Wirkungskreis, er las jetzt zumeist über Politik und neuere deutsche Geschichte; bald ward er auch berufen, sein politisches Nachdenken praktisch zu verwerthen. Es galt damals, die Adelsherrschaft, welche bisher, nicht gestört von dem fernen Landesherrn, in Hannover geschaltet, zu verdrängen durch ein modernes constitutionelles Regiment. Die Verfassung Hannovers, welche im Jahre 1833 rechtmäßig zu Stande kam, entstand mit wenigen Aenderungen aus den Entwürfen Dahlmann’s, der sich das persönliche Vertrauen des Regenten, des Herzogs von Cambridge, enworben hatte und von der Universität zu der entscheidenden Ständeversammlung abgeordnet wurde. Bei alledem stand Dahlmann den Durchschnittsmeinungen der Gebildeten jener Tage sehr fern. Die lange Mißregierung des Bundestages hatte die Gemüther dem deutschen Staatsleben entfremdet; man blickte mit würdeloser Bewunderung auf das Trugbild des französischen Kammerwesens, meinte auch wohl, eine kleine Revolution mehr könne nicht schaden, wenn sie den liberalen Bestrebungen diene. Wie wenig hatte Dahlmann’s sittlicher Ernst mit solcher Frivolität gemein! Er beurtheilte die Menschen nach ihren Mitteln, weil der guten Zwecke Jedermann sich rühme: „einen Liberalismus von unbedingtem Werthe, d. h. einerlei durch welche Mittel er sich verwirkliche, giebt es nicht.“ Darum war er im Göttinger Senate der Einzige, der den Muth besaß, in den Tagen der tragikomischen „Göttinger Revolution“ ein entschiedenes Einschreiten gegen die Studentenschaft zu fordern, freilich auch der Erste, der nach der Niederschlagung des Aufruhrs Milde gegen die Besiegten verlangte. Jene Jahre, welche über die Gesinnung des Mannes zu entscheiden pflegen, hatte er verlebt unter dem großen Eindrucke der preußischen Reformen von 1807 bis 1813. Zudem war er nicht durch philosophische Speculation, wozu sein auf das Concrete gerichteter Sinn wenig Neigung spürte, sondern durch die harte Arbeit des schleswig-holsteinschen Verfassungskampfes in die politische Thätigkeit eingeführt worden. So verstand es sich ihm von selber, daß es nicht gelte fremdländischen Idealen nachzutrachten, vielmehr „die Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände“ – das will sagen: des deutschen Volkslebens – zurückzuführen. Während in dem alternden Freiherrn von Stein die Gewaltigen jener Zeit den heimlichen Jakobiner, die Liberalen der französischen Schule den heimlichen Junker beargwohnten, nannte es Dahlmann zürnend ein böses Zeichen, daß der Tod des größten deutschen Staatsmannes fast spurlos vorübergehe an seinem Volke: „Die Zeit wird kommen, da man ihm seine Tugenden verzeiht.“ Dahlmann war Monarchist; denn wie konnte er von republikanischen Formen unser Heil erwarten, wenn er um sich schaute und es mit Händen griff, daß die edelste demokratische Revolution unsres Jahrhunderts, die Befreiung des deutschen Bauernstandes, ein Werk ist der Monarchie in Preußen? Seine Hoffnung stand auf Preußen; und die Herren in Berlin, dienstbar geworden den Habsburgern und ihrem Metternich, machten es damals den Freunden Preußens gar schwer, die Wahrheit zu verkündigen, daß sich Niemand einen guten Deutschen nennen soll, der sich mit der frevelhaften Hoffnung trägt, das Größte und Herrlichste, was die politischen Kräfte unsres Volkes geschaffen, – den preußischen Staat – zu zerstören. In Berlin am wenigsten freute man sich dieses Bewunderers von Preußen, welcher nicht müde ward auf die Nothwendigkeit eines Reichstags für Preußen hinzuweisen; denn er ist vom Könige feierlich verheißen „und gar nicht wie ein Weihnachtsgeschenk, wie ein Putzhut, den man dem Volke giebt, das sich darein vergafft hat, sondern als eine inhaltsvolle, tiefsinnige Einrichtung, als der Schlußstein einer ehrenwerthen

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