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Friedrich Christoph Dahlmann.

deutsche Wissenschaft gewann ihn erst, als er seit d. J. 1804 in Halle bei F. A. Wolf und Schleiermacher philologische und schönwissenschaftliche Vorlesungen hörte. Als ein Schatz für das Leben blieb ihm von diesen classischen Studien die Gewöhnung an eine streng wissenschaftliche Methode und ein geläuterter Schönheitssinn. Und ein noch köstlicheres Gut trug er davon. Ihm geschah wie Unzähligen: erst als Deutschland verloren schien, begann man zu erkennen, daß es ein Deutschland gebe. Aus dem Jammer und der Schande der bonapartischen Herrschaft erwuchs dem jungen Manne die fromme, treue Liebe zum Vaterlande. Es waren unstäte Tage; „man wußte in dieser napoleonischen Zeit nichts mit sich anzufangen.“ Umsonst suchte Dahlmann in Deutschland nach einer Stellung im Leben; da führte ihn in Dresden ein glücklicher Zufall mit Heinrich von Kleist zusammen, und der gemeinsame Haß gegen die fremden Zwingherren, die gemeinsame Liebe zur Kunst machte den besonnenen, erwägenden Gelehrten rasch vertraut mit dem leidenschaftlichen, reizbaren Dichter. Dahlmann selbst hat uns geschildert, wie die Beiden selbander nach Böhmen und auf das kaum verlassene Schlachtfeld von Aspern wanderten, wie zu Prag Kleist seine Hermannsschlacht hervorholte, den Freund begeisterte durch die Kraft und Kühnheit des wunderbaren Gedichts, und Beide sich zusammenfanden in der Hoffnung auf einen Befreiungskampf bis zum Ende, „bis das Mordnest ganz zerstört und nur noch eine schwarze Fahne auf seinen öden Trümmerhaufen weht“. Die Hoffnung ward für diesmal zu Schanden. Dem Heinrich Kleist brach das Herz, weil seine stürmische Ungeduld das langsame Reisen des Volksgeistes nicht abwarten mochte. Dahlmann aber erwarb sich zu Wittenberg die Doctorwürde und betrat i. J. 1811 in Kopenhagen die akademische Laufbahn, lehrte und schrieb über das Lustspiel der Athener und machte sich vertraut mit dem Wesen und den Schriften jenes Dänenvolkes, dem er bald ein so unbefangener und darum ein so verhaßter Gegner werden sollte.

Schon nach einem Jahre ward er als Professor der Geschichte nach Kiel gerufen. Sehr schmerzlich empfand er es, daß ihm die Theilnahme an dem nun ausbrechenden Freiheitskriege versagt blieb, denn nach teutscher Weise dachte er groß von dem Kriege und pflegte noch in den politischen Vorlesungen seiner letzten Jahre mit warmer Vorliebe von dem edlen Handwerke des Soldaten zu reden. Er mußte sich begnügen, durch Briefe seiner Mecklenburger Heimath Nachricht zu geben von dem Untergange der Franzosen in Rußland und an seinem Theile die große Erhebung vorbereiten zu helfen. Nach dem Siege ward ihm die Ehre, den Tag von Belle-Alliance in akademischer Festrede zu verherrlichen. „Und wie uns alle Zeichen günstig werden, seit wir einig sind!“ – so freudig, so zukunftssicher blickte Dahlmann in jenen Tagen der jungen Hoffnung auf sein Volk und mahnte schon damals, daß Schleswig,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_165.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)