Seite:Die Gartenlaube (1861) 161.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der schwarzweiße Storch.

Ein Bild von der Grenze.
Von J. D. H. Temme.

Endlich war die Grenze erreicht. Es war dunkler Abend darüber geworden und ich hatte noch eine halbe Stunde an ihr entlang zu fahren, um an den Ort meiner Bestimmung zu gelangen. Der Weg führte zwischen dichter Waldung zu beiden Seiten. Der Saum des Waldes links bildete die Grenze, er selbst war noch polnisches Gebiet. Rechts war der große preußische Trappöner Domainenforst. Der Weg zog sich eng und schmal hindurch.

Dem Kutscher, welcher stets aufmerksam rechts und links geschaut und auf jedes Geräusch hörte, schien der Weg nicht ganz sicher zu sein. Er lugte mit seinen hellen Augen forschend nach allen Seiten aus und schüttelte mehre Male brummend den Kopf. Plötzlich hielt der Wagen an.

„An der Grenze muß heute etwas los sein,“ sprach er dabei in den Wagen. „Fast alle fünfzig Schritte steht ein Doppelposten, ein Straßnik (Grenzaufseher) und ein Kosak, und man meint die lauernden Augen durch die Dunkelheit leuchten zu sehen. Was mögen die nur vorhaben?“

Er wußte es nicht, und auch ich und mein Secretair, der mit mir im Wagen saß, wußten es nicht. Gutes konnte es nicht sein, was die Russen vorhatten. Wir mußten von der Grenze abbiegen und kamen an dem Orte unserer Bestimmung an. Es war ein lithauisches Dorf, ungefähr eine Viertelmeile von der Grenze entfernt, in welchem wir die Nacht blieben.

An der Grenze war etwa acht Tage vorher einer jener schweren Excesse vorgefallen, die an scharf bewachten Zollgrenzen nicht selten vorkommen, und die an der russischen und polnischen Grenze am allerwenigsten fehlten. Preußische und polnische Schmuggler hatten gemeinschaftlich die russische Grenzwache überfallen; ein Kosak war getödtet, zwei Straßniks schwer verwundet. Das so gemeinschaftlich von preußischen und polnischen Unterthanen verübte Verbrechen mußte gemeinschaftlich von preußischen und russischen Beamten untersucht werden. Ich hatte preußischer Seits die Untersuchung zu führen, und der Thatbestand mußte an Ort und Stelle festgestellt werden. Ich war auf dem Wege dorthin. Am anderen Morgen sollte die gemeinschaftliche Arbeit beginnen.

Sechs Meilen von der Gegend entfernt wohnend, mußte ich schon am Abend vorher in dem nächsten Orte, dem lithauischen Dorfe, eintreffen, dessen Namen ich vergessen habe. In dem Dorfe war nur ein Krug, in dem ich übernachten konnte. In den gewöhnlichen lithauischen Krügen ist Nachts kein Verbleib. Es fehlt eben an Allem, was der Reisende zu seiner Bequemlichkeit bedarf. Gerade an das Allernothwendigste, eine Schlafstube und Betten, ist am seltensten zu denken. In der allgemeinen Krugstube mag man sich auf einer Streu dem Schlafe hingeben, wenn – man kann. Der Krug in jenem Dorfe hatte indeß Kammern und Betten, und ich hatte schon vorher je zwei davon bestellen lassen, für mich und meinen Secretair, der zugleich mein Dolmetscher war.

Der Krugwirth empfing uns mit der Nachricht, daß die Kammern, die den ganzen Winter nicht geheizt worden, noch nicht warm geworden seien, und lud uns ein, vorab in der Krugstube abzusteigen. Es war im April und das Wetter kalt und naß, ein scharfer Wind hatte uns vollends durchgekältet. Wir traten in die Krugstube. Ich ging auch aus einem anderen Grunde gern hinein, denn es mußten sich Leute dort befinden, von welchen ich erfahren konnte, was zu der ungewöhnlich strengen Bewachung der Grenze die Veranlassung gegeben habe.

Ich hatte mich hierin getäuscht. In der Stube befand sich nur ein einzelner Mensch. Er saß auf einer Bank am Ofen, in einen großen blauen Mantel von grobem Tuche, sogenanntem Wand, gehüllt, eine Pelzmütze tief in das Gesicht hineingezogen. Was die Mütze von dem Gesicht freiließ, war von einem großen Schnurrbarte bedeckt. Uns beachtete er nicht. Er schien gleichwohl auf etwas zu warten. Nach einer Weile sprang er ungeduldig auf, an ein Fenster, um hindurch zu horchen und zu schauen. Es wollte mir dabei Allerlei an ihm auffallen. Unter dem groben Mantel und zu der weiten Pelzmütze trug er an den Füßen feine Stiefel und an den Stiefeln kleine, klirrende Sporen. Sein Fuß war elegant geformt, seine Bewegungen waren rasch, gewandt. Der Mann war etwas Anderes, als er wenigstens hier scheinen wollte.

Er warf jetzt fast unverhohlen mißtrauische Seitenblicke auf mich. Was konnte er mit mir, was ich mit ihm zu thun haben? Ich sann darüber nach, als der Krugwirth in die Stube trat. Ich glaubte zu bemerken, daß er mit dem Fremden einen flüchtigen Blick wechselte. Dann kam er auf mich zu. Er hatte mir etwas zu sagen. Aber in dem Augenblicke, als er zu mir sprechen wollte, wurde hastig die Thür aufgerissen.

Zwei Männer stürzten in die Krugstube. Sie trugen gleichfalls weite blaue Wandmäntel und Pelzmützen. Aber wie sehr waren sie im Uebrigen von dem Fremden verschieden, mit ihren großen, derben Gestalten, plumpen Bewegungen, schweren Stiefeln und klappernden Sporen! Sie wollten auf den Fremden zueilen, aber ein gebieterischer Wink seiner Augen hemmte ihren Schritt. Er verließ gleich darauf die Stube, und sie folgten ihm.

Der Krüger brachte vor, was er mir zu sagen hatte.

„Ich hätte eine Bitte an den Herrn Director.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_161.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)